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2. KAPITEL

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Die Sonne hatte die Fensterluken des neuen Morgens längst weit aufgestoßen, die Vögel schellten die Unruhe des beginnenden Tages waldauf, waldab aus und Gorid stampfte und schnaubte Munterkeit und Langeweile zu dem Schläfer hinüber, der da, im Bärenfell verpuppt, unter dem Blätterdach eines Baumes ruhte, doch nichts konnte den jungen Mann aus der Tiefe seines Schlafes holen. Da kitzelte ihn etwas an der Nase. War es ein tollkühner Käfer? Eine vorwitzige Fliege? Oder war es ein vereinzelter Sonnenstrahl, der durch die Fülle der Blätter seinen Weg ausgerechnet zu diesem hervorragenden Punkt menschlicher Sensibilität gefunden hatte? Der junge Mann wischte sich schlaftrunken mit der Hand über das Gesicht. Doch der Reiz kehrte wieder, hartnäckig und alarmierend. Noch einmal versuchte der belästigte Schläfer mit einer ärgerlichen Geste die Rückkehr in die äußere Welt zu verzögern. Es gelang ihm nicht. Das Kitzeln an der Nase blieb. Er musste niesen. Das machte ihn endgültig munter, und er schlug die Augen auf, um nach der Ursache der Störung zu forschen. Einen Augenblick stutzte er ob des Anblicks, der sich ihm bot, wusste nicht, was er von ihm halten solle, ob er noch träume oder schon wach sei, doch dann hatte er Klarheit über seinen wirklichen Zustand erlangt und griff blitzschnell nach dem Schwert, das wie immer an seiner Seite lag.

Gelächter, wie kaltes Wasser über ihn gegossen, weckte den Liegenden vollends, bremste aber zugleich die mörderische Bewegung nach seiner Waffe. Der junge Mann, misstrauisch und das Schwert für alle Fälle in der Hand, richtete sich auf. Neben ihm, auf dem Moospolster eines Steinblocks, mit einem langen Grashalm über seinem Kopf auf- und abschaukelnd, kauerte ein Mädchen, in der Wildnis und Einsamkeit des Waldes wunderbar und zugleich gespenstisch. Das erste, was dem jungen Mann an der ihm zugeneigten Person auffiel, waren zwei neugierig amüsiert auf ihn gerichtete Augen, in denen das Silber und das Grün eines Waldbaches geheimnisvoll miteinander verschmolzen schienen. Das zweite, was er bemerkte, war ein mutwillig geöffneter Mund, der weiße Zähne, blitzend und rund wie Bachkiesel, beherbergte. Als drittes dann erst entdeckte der Wachgewordene die Blöße des Mädchens, die zwar von kräftigen langen und in der Farbe rötlicher Walderde schimmernden Haaren wie von einem Mantel gerahmt und bedeckt, nicht aber verborgen wurde. Die ganze ungewöhnliche Erscheinung zarter Weiblichkeit, dazu mitten im Urwald, ließ den jungen Mann rasch aus seinem Bärenfell kriechen und verwirrt auf Abstand gehen.

„Hast du mich an der Nase gekitzelt?"

Der junge Mann wusste mit einem Blick auf den Grashalm in den Händen des Mädchens nichts Besseres zu fragen.

„Kann sein", wippte das angesprochene Wesen um eine klare Auskunft herum.

„Wie kommst du hierher?" wollte der junge Mann wissen. „Hast du nichts anzuziehen?"

„Ich komme hierher, wie ich hierherkomme" antwortete das Mädchen vielsagend, und es ergänzte diese Antwort mit der unverständlichen Frage: „Anziehen? Warum das?"

Der junge Mann blieb eine Antwort darauf schuldig. Die Gegenfrage war zu befremdlich und das ungewöhnliche Bild der jungen Frau mitten in der Wildnis wirkte trotz der Harmlosigkeit des ersten Kontakts und trotz all seiner Lieblichkeit umso unheimlicher, je länger er es betrachtete. Also zog er es vor, selbst den unverfänglichsten, unschuldigsten Dialog abzubrechen. Hatte er in den vorangegangenen Tagen und Nächten nicht die überraschendsten Begegnungen in den Wäldern gehabt und die gefährlichsten Abenteuer erlebt? War es nicht ein dringendes Gebot, angesichts der schon erlebten vielfältigen Gefahren strengste Vorsicht zu üben? Das auf dem Stein kauernde Mädchen sorgsam in den Augenwinkeln behaltend, schritt er zu seinem Pferd und begann, es aufzuzäumen. Er packte seine Habseligkeiten zusammen, rollte sie in das Fell, warf das Bündel hinter dem Sattel auf die Kruppe des Gorid, zurrte es fest und war in kürzester Zeit zum Abritt fertig.

Die Sitzende, von der entschlossenen und geübten Art dieser Hantierungen beeindruckt, durchbrach das Schweigen.

„Wohin willst du?" erkundigte sie sich.

„Ich will dorthin, wo ich hinwill", ahmte der Angesprochene die vorherige Antwort des Mädchens nach und schwang sich in den Sattel.

„Hü", schnalzte er gleich und gab dem Gorid die Fersen.

Das Mädchen, als sei es von der Ernsthaftigkeit des Aufbruchs erst jetzt überzeugt, sprang von dem Stein hoch.

„Warte noch!" rief es, als werde es von der Aussicht, allein zurückbleiben zu müssen, ordentlich mit Unbehagen erfüllt. „Warum willst du fort? Wir haben uns gerade erst kennengelernt!"

Es eilte herbei, dass die Haare flogen, postierte sich vor dem Pferd und griff ihm in das Halfter. „Wie kommt es, dass du meine Sprache sprichst, obwohl du ohne Kleider gehst wie ein Tier?" fragte der junge Mann von oben in einem Ton, als könne diese Frage kaum zufriedenstellend beantwortet werden und als erhalte er dadurch einen Vorwand, das unheimliche Geschöpf loszuwerden.

„Wir sprechen alle Sprachen der Welt", erklärte das Mädchen wie selbstverständlich und verbarg seinerseits nur schlecht die Verwunderung darüber, dass es anders sein könnte.

„Wir? Wer ist wir?" Der Reiter blieb ablehnend.

„Meine Familie! Meine Eltern!" erklärte das Mädchen. „Alle meine Verwandten."

"Und warum bist du nackt?"

Das Mädchen zuckte stumm die Schultern, ohne freilich dem Gorid den Weg freizugeben.

„Warum hältst du mich fest?" wollte der junge Mann wissen. „Lass die Zügel los, ich will weiter".

Das Mädchen kam dieser Aufforderung nicht nach. „Du bist gerade erst munter geworden", erklärte es. „Seit Sonnenaufgang sitze ich an deiner Seite und wache über deinen Schlaf, und jetzt willst du einfach fortreiten."

„Du hast mich geweckt", erinnerte der junge Mann.

„Weil du überhaupt nicht aufwachen wolltest und mir langweilig wurde", rechtfertigte sich das Mädchen.

„Was willst du von mir?" kam der Reiter zum Kern der Sache.

„Du sollst noch bleiben", antwortete das Mädchen schlicht. „Du bist der erste Mensch, der mir gefällt, und du bist gerade erst angekommen."

„Das ist kein Grund, warum ich bleiben sollte", wies der junge Reitersmann die Bitte ab. „Gedulde dich nur, es werden bald andere vorbeikommen, die dir gefallen".

Er versuchte, den Zügel aus den Händen des Mädchens zu ziehen.

„Gib den Zügel frei", forderte er. „Ich muss weiter. Ich habe eine Aufgabe und will weiter.“

Das Mädchen ging auf dieses Verlangen nicht ein, sondern behielt den Zügel weiterhin in der Hand.

„Sieh mich an", schlug es vor und suchte mit einem verheißungsvollen Blick das Auge des Jünglings. „Bin ich kein Grund zum Bleiben? Gefalle ich dir nicht?"

Eine Antwort auf eine so direkte Meinungserforschung war dem jungen Helden zu persönlich und heikel. Mit einer Gegenfrage versuchte er auf Distanz zu halten.

„Hast du überhaupt einen Namen", erkundigte er sich, wohl in der Hoffnung, dass ein Wesen ohne Kleid auch eines ohne Namen sei und damit ohne Ansehen.

Doch die Rechnung ging nicht auf. Im Gegenteil.

"Vladana", kam es ungeziert von den Lippen des Mädchens Und was verhindert werden sollte, trat erst recht ein: Der Namen schuf Vertraulichkeit.

Das Mädchen nützte die neue Lage sofort zu seinen Gunsten. „Und wie heißt du?" stellte es die Gegenfrage.

Das brachte die Abwehr des Jünglings deutlich ins Wanken. Mit erhöhter Stimme und verlängerter, beschleunigter Rede versuchte er unwirsch zu stabilisieren.

„Weißt du was! Wir haben uns heute hier getroffen, du hast mich mit einem Grashalm an der Nase gekitzelt und mich geweckt, wir haben ein paar Worte gewechselt, du heißt Vladana, mich nennen sie Konrad, ich wünsche dir alles Gute, aber jetzt will ich weiter, lass also den Zügel endlich los!"

Die Lautstärke und der verschärfte Ton seiner Rede schienen die Autorität des jungen Helden nicht im erhofften Maß erhöht zu haben. Das Mädchen gab mit keinem Zeichen zu erkennen, dass es beeindruckt worden wäre und dem Pferd den Weg freizugeben beabsichtigte.

„Konrad heißt du" wiederholte es stattdessen den Namen des jungen Reiters bedächtig, als wolle es ihn auf der Zunge auf seinen Geschmack prüfen. „Konrad und Vladana! Das klingt nicht so schlecht. Findest du nicht auch?"

Dem Befragten war das zuviel. „Hü!" befahl er seinem Gaul, gab mit den Schenkeln Druck und trieb ihn mit einem Schlag des Zügels an.

Allein Gorid rührte sich nicht von der Stelle. Als ob seine Hufe im Waldboden eingewurzelt wären, so stand das Tier fest.

Konrad versuchte ein paar Augenblicke, das Pferd zu bewegen. Vergeblich.

„Was willst du noch?" knurrte er grimmig.

Dass er nicht wusste, wie der neuen Lage zu begegnen sei, vergrößerte seinen Ärger.

„Oh". lächelte die Kleine mit blitzenden Zähnen und zeigte sich so unbeeindruckt wie zuvor. „Ich will doch nicht viel. Nur dass du herabsteigst, dich ein wenig zu mir setzt und mir deine Hand reichst. Nur für einen Augenblick. Ich habe noch nie eine Menschenhand in der meinigen gehalten. Dann plaudern wir ein bisschen und sehen uns an. Das ist alles. Es ist so einsam hier und ich bin sehr neugierig."

Die Gelassenheit des Mädchens verblüffte den Reitersmann nun doch. Er schwankte, was er tun solle. Gefahr, vor der er auf der Hut sein mußte, war vorerst nicht zu erkennen, so unheimlich das Persönchen zu seinen Füßen auch erschien. Sollte er nicht doch nachgeben, gute Miene machen und mit einem Kompromiss versuchen weiterzukommen? Er gab sich einen Ruck, ließ sich aus dem Sattel gleiten, zog den Zügel aus der Hand des Mädchens, was dieses nun geschehen ließ, führte den Gorid zum nächsten Baum und band ihn fest.

„Hör zu", sprach er darauf die hartnäckige Wegelagerin an. „Wir wollen in Frieden auseinandergehen. Ich werde jetzt deinen Wunsch erfüllen, du danach den meinigen. Wenn wir zu Ende sind, werde ich weiterreiten, und du wirst mich nicht mehr daran hindern. Meine Hand gebe ich dir nicht."

„Warum nicht?" forschte das Mädchen, mit dem Teilerfolg nicht ganz zufrieden, nach dem Grund der letzten Verweigerung.

Konrad wich aus. „Machen wir´s kurz", antwortete er nur und stakste zu seiner Schlafstelle und ließ sich auf einem der dort befindlichen Steine nieder.

Vladana folgte, hielt aber keineswegs auf Distanz, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre, sondern huschte unversehens an die Seite des jungen Reiters und schmiegte sich mir nichts dir nichts an dessen rauhe Schale.

Das warf den Helden aus der Fassung. Erschrocken, fast wie in Panik, rückte Konrad zur Seite, um zwischen sich und der personifizierten Verführung wenigstens ein Minimum an Abstand und Anstand zu wahren.

Vladana war von diesem Fluchtversuch nicht irritiert und rückte augenblicklich nach, was Konrad erneut aufscheuchte. Sie hinterher, so dass sich die beiden jungen Leute in einem wellenartigen Auf und Ab von einem Steinblock zum anderen bewegten, auf einen daliegenden Baumstamm wechselten, diesen auf dem Hinterteil hinaufwallten, bis sich Konrad am Ende des Stammes auf die Füße rettete.

„Was hast du nur?" fragte das Mädchen, mit deutlicher Enttäuschung in der Stimme.

Der Angesprochene tat, als habe er Wachs in den Ohren.

„Es ist besser, ich reite jetzt", meinte er definitiv.

„Wenigstens deine Hand könntest du mir einen Augenblick lassen", schlug das Mädchen vor, als habe es Anspruch auf ein Minimum an Kontakt.

Dieses wurde verweigert.

„Warum hast du Angst vor mir?" bohrte Vladana weiter.

„Ich habe vor niemandem Angst!" verteidigte Konrad seine in Frage gestellte Ehre. „Schon gar nicht vor dir!"

„Dann setzt dich zu mir", folgerte das Mädchen sogleich aus dieser Bekundung von Mut. „Nur für einen Augenblick! Und gib mir einmal deine Hand."

„Ich setze mich dorthin", willigte Konrad nach kurzem Zögern ein und wies auf einen gegenüberliegenden einzelnen Steinblock. „Du bleibst hier. Wenn wir genug geredet haben, mache ich mich auf den Weiterweg."

Als ihm Vladana darauf mit nicht mehr als mit einem Blick der Enttäuschung antwortete, ließer sich am anderen Ende der Steingalerie nieder, die er am Abend zuvor um das Feuer aufgerollt hatte. Da saßen sie sich also gegenüber. Er, den Blick trotz oder gerade wegen soviel unverhüllter weiblicher Reize angestrengt auf den Boden gesenkt, als gebe es dort ein Geheimnis oder einen Tiefsinn zu erkennen; sie, mit den Augen die seinigen suchend, um wenigstens auf diesem Weg Kontakt mit dem spröden Passanten aufzunehmen.

„Bitte, sieh mich doch wenigstens an"! Vladana verlegte sich auf das Betteln. „Wenn man mit jemandem spricht, sollte man ihn anblicken. Das gebietet die Höflichkeit."

Der Appell an die gute Kinderstube half nicht weiter. Der Angesprochene hob zwar für einen kurzen Augenblick die Augen, senkte sie aber sofort wieder ab, als fürchte er, mit seinem Blick könne es ihm ähnlich gehen wie mit dem kleinen Finger, der , erst einmal gewährt, zum Gepacktwerden an der ganzen Hand führe.

„Hast du eine Braut", durchbrach die junge Schöne scheinbar harmlos mit einer ganz anderen Frage das Schweigen.

Doch die Harmlosigkeit des Tonfalls konnte über das besondere Interesse des Mädchens nicht hinwegtäuschen. Konrad fühlte sich wie auf dem falschen Bein erwischt. Er schwankte, ob er die sehr persönliche Frage einfach ignorieren, sie zurückweisen solle oder der unverblümten Neugier brüsken Sarkasmus entgegensetzen. Er wurde einer Entscheidung enthoben. Unvermutet, noch ehe er sich für eine der drei Möglichkeiten entschieden hatte, wurde in seinem Rücken ein lautes Krachen und Knacken hörbar. Ein riesenhafter schwarzer Kerl brach sich geräuschvoll Bahn durch das Unterholz und steuerte, selbst ein Teil der Düsternis des Waldes, auf die Sitzenden zu.

Vladana sah dem Ankömmling mit einem Ausdruck der Belustigung entgegen.

„Da kommt Rubecol", meinte sie. Und sie fügte indiskret an: „Stell dir vor, er will mich heiraten."

Es fehlte nur noch, dass sie in Gelächter ausbrach.

Konrad beschlich beim Anblick des ungeschlachten Riesen eher eine Vorahnung von Gefahr.Die schwarzen Augen, in denen die steingewordene Energie sämtlicher Kohlelager der Welt gesammelt schien, waren zu feindselig und misstrauisch auf ihn gerichtet, die baumstarken Arme und Beine, die das Ungetüm aus einem rußigen Fell vorstreckte und die riesenhafte, schwere Keule, die er mit der Leichtigkeit eines Holzsteckens führte, verrieten, dass der Bursche im Besitz außergewöhnlicher Kräfte und entschlossener Kampfesstärke sein musste. Dazu schnaubte er wild, was wie das Rasseln eines zornigen Ebers klang, und er warf sein Haupt, dass die Zotteln flogen wie die Mähne eines daherstürmenden Hengstes.

„Ich bin hier jetzt wohl überflüssig", versuchte Konrad die Gelegenheit zu nützen, um sich aus dem Staub zu machen. „Da kommt dein Freund. Du kannst die Unterhaltung mit ihm fortsetzen".

Er erhob sich gemessen und stapfte in langsamer Eile zu seinem wartenden Pferd.

Vladana nahm den Abschied nicht an. Vielmehr musterte sie den Ausreißer mit dem Blick einer Katze, die sich zum Sprung nach einem Vogel niederkauert.

„Was will der Wicht hier"? meldete sich, ohne zu grüßen und mit barschem Ton, der angekommene Rubecol bei der Angebeteten.

Er wurde auf das Liebenswürdigste empfangen. „Grüß dich, Rubecol", flötete die Sitzende mit einem großartigen Augenaufschlag. „Wie schön, dich wieder einmal zu sehen. Man trifft sich doch viel zu wenig. Wie geht es dir? Du hast dir sogar die Hände gewaschen, wie ich sehe."

Der Riese warf einen überraschten Blick auf seine erdigen und rußigen Pranken. „Ja, hm, tatsächlich, hm hm", erinnerte er sich verlegen erleichtert. „Heute hab ich´s nicht vergessen. Dir zuliebe, Vladana."

Nichtsdestoweniger bemühte sich Rubecol, seine Hände aus dem Blickfeld Vladanas zu bringen.

„Sag, hat er dich belästigt", kehrte der Riese zu dem ihm wichtiger erscheinenden Thema zurück.

„Wer?"

„Na, dieses Kind!"

„Du meinst den jungen Edelherrn", stellte sich die Befragte naiv und fuhr mit gespielter Gleichgültigkeit fort. „Nein! Wieso? Wie kommst du nur darauf? Belästigt hat er mich nicht. Er hat mich gefragt, ob ich mit ihm kommen und seine Frau werden möchte."

„Was hat er?" knurrte der Riese und prustete, als fahre ein Gewitterstoß durch die umstehenden Bäume."Er will dich zur Frau haben? Dieser Winzling? Das hat er gewagt? Sag das noch einmal!"

„Ja, natürlich. Wieso nicht! Ist etwas Schlechtes dabei? Meinst du etwa, ich wäre nicht gut genug für ihn?“

„Was hast du geantwortet", wollte der Riese wissen.

Seine Kohleaugen glühten vor Eifersucht und sein Brustkasten arbeitete grimmig.

„Also Rubecol! Ich muss doch sehr bitten!" antwortete das Mädchen hoheitsvoll und mit gekränkter Miene. „Das geht dich wirklich nichts an. Frage ich etwa dich nach deinen Geheimnissen aus? Sagen wir so: Vom Äußeren her entspricht der Junge vielleicht nicht so ganz meinen Vorstellungen, aber unhübsch ist er auch nicht. Das musst du zugeben. Eigentlich wirkt er sogar recht anziehend. Dass er ein Spruchbeutel ist, dem man nicht trauen darf, das hat mit seinem Äußeren nichts zu tun."

Rubecol hielt es kaum auf seinem Platz. Er waberte von einem Bein auf das andere, als sei er mit siedendem Wasser gefüllt.

„Ist dir der Wicht zunahegetreten?" brüllte er schon fast. „Sag an, hat er dich beleidigt?"

„So würde ich das nicht nennen", stellte sich Vladana beschwichtigend. „Wie du weißt, kann man nicht vorsichtig genug sein. Mir kommt der Junge allerdings etwas eingebildet vor, aber vielleicht hat er alles nicht so gemeint. Ich möchte ihm nicht unrecht tun. Allerdings für einen Augenblick empfand ich sein Verhalten schon als etwas verletzend - mich erst mit einem Heiratsantrag zu überfallen und dann so zu tun, als sei es nur ein Spass gewesen“.

In den Augen Rubecols loderte die Kohle.

„Das soll er büßen", platzte er heraus, außer sich vor Wut. „Ich versprech es dir, Vladana. Ich werd´s ihm eintränken! Ich zertrete diesen Wurm! Ich zerreiße ihn!"

„Halt! Warte! Alles gelogen!" meldete Konrad von seinem Pferd eine andere Sicht der Dinge an. „Ich habe dem Mädchen niemals einen Heiratsantrag gemacht. Im Gegenteil. Ich wollte fort. Sie hat mich nicht gelassen."

„Da hast du es, Rubecol", piepste Vladana resignierend und jetzt auch, unüberhörbar eine Spur gekränkt. „Man darf ihm nicht trauen. Er dreht alles um."

„Ich werde dir dein loses Maul stopfen, du Nichtsnutz, dass du nie wieder einen Ton hervorbringst!" Es war Rubecol unmöglich, länger an sich zu halten.

„Nein! Halt! Augenblick!" versuchte Konrad von seinem Pferd ein zweites Mal den Dienst an der Wahrheit. „Hör mich an! Glaube diesem Mädchen nicht. Es lügt! Ich habe es nicht belästigt! Kein einziges wahres Wort. Ich will nur fort von hier."

Von Vladana kam ein kleiner spitzer Schrei, Ausdruck höchster Entrüstung. Rubecol tobte.

„Warte! Mich kannst du nicht hinter´s Licht führen!"

Die Keule aufnehmend brach das vierschrötige Waldungetüm gegen Konrad los. Gorid scheute und schlug heftig aus. Der junge Reitersmann hatte Mühe, sich im Sattel zu halten. Er wurde, sowie er das Pferd wieder fest im Griff hatte, sehr ernst.

„Hör zu! Ich habe dem Mädchen nichts getan. Lass mich in Frieden ziehen!"

Rubecol war nicht mehr ansprechbar. Mit einem gewaltigen Streich seiner Keule versuchte er den vermeintlichen Nebenbuhler aus dem Sattel zu fegen. Ohne Erfolg. Der junge Mann war blitzschnell von seinem Pferd herunter, hatte das Schwert aus der Scheide gerissen, den runden Kampfschild ergriffen und trat furchtlos dem Riesen entgegen. Rubecol fuhr erneut mit der Keule gegen ihn. Er traf Konrad so wenig wie das erste Mal. Leichtfüßig hüpfte der Angegriffene zur Seite und die schwere Keule schwang ins Leere. Wie er begonnen, so ging der Kampf weiter. Rubecol versuchte mit seiner Keule den Gegner zu zerschmettern, Konrad wich den Schlägen geschickt aus. Dafür kriegten die umstehenden Bäume und Sträucher einiges ab. Dann, in einem Augenblick der Unachtsamkeit, konnte Konrad dem Riesen einen ersten Schwerthieb versetzen. Schon tropfte es rot auf die dunkle Walderde. Wildes Wutgeheul war die Antwort Rubecols auf diesen Erfolg seines Gegners. Wieder stürmte er vor und wetterte blindlings gegen den behenden Gegner los. Der Wald dröhnte und schallte von Schlägen und Schreien. Doch je unbeherrschter Rubecol losrannte, desto vergeblicher waren seine Bemühungen, Konrad zu Boden zu strecken.

Vladana, als sei dieser Kampf auf Leben und Tod eine Veranstaltung zu ihrer besonderen Kurzweil, beobachtete das Getümmel mit unverhohlener Faszination und zupfte nach dem Vorbild des Verliebtenspiels: Er liebt mich, er liebt mich nicht! den Blumen zu ihren Füßen die Blütenblätter aus. Dann, als sich der Kampf in die Länge zog: Er gewinnt, er gewinnt nicht! Das Orakel fiel von Blume zu Blume anders aus.

Es wollte Rubecol nicht gelingen, den jugendlichen Gegner entscheidend zu treffen. Wenn er ihm je die Keule auf den Schild donnerte, so erwies sich Konrad durchaus nicht als ein Gegenüber, der deswegen gleich in die Knie ging. Im Gegenteil. Mit blitzschnellen Ausfällen nützte er jede Unachtsamkeit und Leichtfertigkeit des Grobians, traf diesen, wo er ihn treffen konnte, und bald war der schwarze Pelz des Unholds von Rot überfärbt. Der Blutverlust und Konrads große Beweglichkeit begannen, den Schwarzen mehr und mehr zu schwächen und zu ermüden. Er erlahmte, und der Fortgang des Duells wurde immer mehr von Konrad bestimmt.

Zur Beendigung des Kampfes kam es, als Rubecol in blindwütiger Aufwallung über einen morschen Ast stolperte und zu Fall kam. Sofort war Konrad über ihm und setzte ihm die Schwertspitze an die Kehle.

„Gnade", schnaufte der Gestrauchelte schweratmend und rollte seine Augen wie kläglich davonlaufende Murmeln. „Du hast gesiegt! Ich ergebe mich!"

„Ich könnte dir den Hals auf der Erde festspießen!" fauchte Konrad noch im Zorn des Kampfes. „Oder soll ich dir den ganzen Kopf herunterschlagen? Du Narr!"

„Nein! Das nicht! Ich ergebe mich ja!" flehte der Geschlagene unterwürfig.

„Ich sollte dich in Stücke hauen", knurrte Konrad, immer noch wütend. „Hab ich dir nicht gesagt: Das Mädchen lügt!"

„Das glaube ich jetzt", beteuerte Rubecol, die Augen voll Angst auf die Spitze des Schwertes fixiert. „Ich wollte Vladana immer heiraten. Aber damit wird es wohl nichts mehr."

„Mach mit dem Biest, was du willst"! Konrad begann, sich zu beruhigen. „Aber merke dir, das nächste Mal kommst du nicht so glimpflich davon."

„Ja!" Rubecol war nun ganz die Einsicht in Person. „Ich konnte dir nicht glauben. Vladana ist so schön.

„Konrad enthielt sich einer Äußerung zu diesem Lob. „Jetzt schwöre, dass du nie wieder die Waffe gegen mich erheben wirst", forderte er. „Falls ich nochmals in die Gegend komme. Und dass du mir zu Diensten sein wirst, wenn ich dich rufe!"

Rubecol, was blieb ihm anderes übrig, schwor die Urfehde.

Konrad ließ ihn laufen. Und Rubecol, nachdem er sich ächzend vom Boden erhoben und seine Wunden begutachtet hatte, trollte sich hinkend in den Wald davon, aus dem er hervorgewechselt war, den Weg mit Blutstropfen wie mit Blumen bestreuend.

Konrad blickte dem Davonhinkenden nach, bis er verschwunden war. Dann rieb er sein Schwert auf dem Waldboden blank und reinigte es mit Moos. Er wischte sich die Stirn.

„Jetzt zu dir, Vladana, du Hexe!" murmelte er, als er fertig war. „Du sollst an der Siegesfeier teilhaben, daß dir Hören und sehen vergeht!"

Vladana flog, als sie Konrad heranschreiten sah, von ihrem Platze hoch und, als sei nichts vorgefallen, dem jungen, prächtigen Sieger entgegen und an den Hals.

„Ich habe es gewusst!" jubelte sie begeistert. „Ich habe es gewusst, daß du endlich diesem ungewaschenen Rubecol eine Lehre erteilen wirst."

In der Gegenwart Rubecols vor wenigen Augenblicken ganz noch beleidigte Schöne, spröde und walderdekühl, war Vladana nun wie Butter in erwärmtem Topf.

„Seit ich mich zurückerinnern kann, verfolgt mich dieser schwarze Bär. Und immer mit schmutzigen Fingernägeln. Du warst herrlich, Konrad! Du bist ein Held, hast den Rubecol besiegt! Wie ich dich liebe!"

Das Echo auf soviel unwiderstehliche weibliche Treuherzigkeit kam ernüchternd. Konrad fasste die begeisterte junge Dame unsanft an den Handgelenken und befreite sich, auf Zärtlichkeit nicht eben bedacht, ruckartig aus dieser bestrickenden Schlinge.

„Du Schlange", fauchte er zornig. „Ich sollte dich zertreten wie eine Viper!"

Er wollte das Mädchen fortschleudern, doch Vladana klammerte sich fest.

„Wie stark du bist, Konrad", hauchte sie zärtlich bewundernd. „Wenn du mich doch nur ein bisschen liebhaben könntest..."

„Diesen Rubecol gegen mich aufhetzen! Mit unverschämten Lügen!" Konrad erbittert. „In einen Kampf auf Leben und Tod! Was hast du dir dabei gedacht?"

„Wenn ich dich nicht bekomme, soll dich niemand kriegen", gestand Vladana freimütig.

„Ich werde dir zeigen, was du kriegst", zürnte Konrad weiter, unbeeindruckt von soviel Freimut. „Das kriegst du!"

Ohne großes Federlesen fasste er das rätselhafte schöne Waldwesen, legte es über´s Knie und zahlte ihm den Lohn für sein Schelmenstück auf den blanken Hintern. Das klatschte wie das Flügelschlagen eines großen Vogels.

Vladana wehrte sich nicht, sondern ließ die Bestrafung demütig über sich ergehen. „Oh Konrad", wisperte sie in Schmerz und Bewunderung, Tränen in den Augen. „Besser du schlägst mich, als du siehst mich nicht einmal an. Du hast mich sehr gekränkt. Aber jetzt ist alles gut. Du wirst mein Mann!"

Und als ob sie sogar die strafenden Schläge, die Berührungen des Zorns und der Vergeltung, noch in einen Weg der Verführung und Verzauberung zu verwandeln vermöchte, so begann in Konrad der Wunsch nach Rache und Sühne zu erlahmen. Die Schläge auf das Hinterteil der zierlichen Zauberin wurden schwächer, klangen ab und versiegten. Konrad wollte das Mädchenwegschieben.

Doch: „Konrad!" hauchte dieses, richtete sich auf und küsste seine Hände. „Konrad, mein Geliebter! Warum hast du es mir so schwer gemacht? Hast du denn meine Liebe überhaupt nicht bemerkt?"

Während ein Lächeln einen ersten Regenbogen des Glücks in die Tränenspuren auf ihrem Gesicht zog, schlang Vladana ein zweites Mal die Arme um den Hals des jungen Reiters, und ein Paar junger Lippen suchte, jetzt endlich ungehindert, seinen Mund. Da war es eben doch um ihn geschehen.

Konradsgrün

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