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4. KAPITEL
ОглавлениеFürst Ahiras Wohnsitz lag im Westen. Als Vladana nach langem Weg ihrem Begleiter das Ende der Wanderung ankündigte, befand sich das Paar vor einer abweisenden Felsformation, unter der mit grünem Glanz ein Fluss vorbeiströmte und die von Nebelschwaden wie von einem Abwehrwall umlagert wurde.
„Wir sind da" erklärte Vladana einfach, auf den Felsen deutend.
„Ich sehe nichts", antwortete Konrad. „Wo ist die Burg?"
„Gleich!" verhieß Vladana die Lösung des Rätsels.
Sie nahm ihn bei der Hand. Zielsicher schritt sie auf das Felsmassiv zu. Doch die Nebelschwaden, als sei es ihre Aufgabe, den beiden den Weiterweg zu verlegen, lösten sich von ihrem Platz, waberten dem Paar entgegen und raubten ihm sofort die Sicht. Vladana zeigte sich von dem Verwirrspiel der grauen Massen unbeeindruckt.
„Das sind die Nebelmänner", erklärte sie dem Geliebten. „Die Wachen meines Vaters."
Mit sicheren Schritten, Konrad hinter sich herziehend, strebte sie voran. Und schon, als hätten sie die Ankömmlinge erkannt oder sich von ihrer Ungefährlichkeit überzeugt, hoben die Nebel von dem Paar ab und ließen es einen schmalen, absturzgefährlichen Steig bis vor die größte der Felswände vordringen. Am Ende dieses Pfads, mitten im abschießenden Stein, blieb Vladana stehen.
„Hier ist es", meinte sie zu dem schweigenden Konrad.
Im gleichen Augenblick, als wäre die Ankunft der Besucher bereits gemeldet, wurde ein unterirdisches Grollen und Donnern vernehmbar, das Gestein zitterte und bebte, und knirschend schoben sich die Felsen auseinander. Der Bogen eines Ganges klaffte auf.
„Mein Vater erwartet uns"! Mit diesen Worten forderte Vladana Konrad zum Betreten des dunklen Loches auf.
Vom hellen Tageslicht ging es durch das Höhlenportal wie durch einen Vorhang der Dunkelheit. Konrad tapste und tastete sich hinter seiner Führerin her. Nur am hallenden Geräusch der Schritte konnte er feststellen, daß sich der Felsengang zu einer Höhle geweitet haben musste.
„Der Saal der Finsternis", sagte Vladana mit der unaufgeregten Sachlichkeit des Ortskundigen. „Man verirrte sich, wenn man den Weg nicht kennt."
Die undurchdringliche Schwärze des Höhle wurde mit einem Mal durch den Schimmer eines Lichtes aufgehellt, das vor den Besuchern in einiger Entfernung auftauchte und ihnen rasch entgegeneilte.
„Endlich", begrüßte Vladana diese Erscheinung. „Es ist doch zu finster hier."
Das Licht stellte sich bei seiner Annäherung als ein Schwarm von Glühwürmchen heraus, der in Form einer Kugel anflog, vor dem Paar wendete und mit seinem phosphorfarbenen Licht ein rascheres Ausschreiten ermöglichte. So ging es ein Stück dahin, bis nach einer Wegbiegung das Ende dieser Höhle erreicht war und sich ein zweiter, freundlicherer Höhlenabschnitt öffnete.
„Der Saal des Morgens", meinte Vladana zu diesem Abschnitt.
Die Glühwürmchen entschwebten. Ihre Anwesenheit war angesichts des zarten rosenfarbenen Lichtes, das von der Decke und den Wänden strahlte, nicht mehr vonnöten.
Das Vorankommen wurde noch leichter. Konrad hätte sich gern dem Zauber dieses Raums hingegeben, aber Vladana ließ ihm zum Staunen kaum Zeit. Sie drängte vorwärts, war ihr doch der väterliche Palast nicht unvertraut.
Weiter ging es durch den Saal des Abends, einen mit rauchfarbenen Quarz ausgekleideten Teil der Höhle.
Auf diesen folgte der Saal der singenden Quellen. Auf die unterschiedlichsten großen und kleinen Sinterbecken fielen von der Felsdecke Wassertropfen herab und erzeugten in der Reihenfolge ihres Niederfallens vielfache, stets wechselnde Melodien.
Es kam der Feuerofen. Eine Felsbrücke führte über einen scharfen, schlundartigen Abgrund, in dessen Tiefe rotgeschmolzenes Gestein brodelte. Aus den Felsklüften und Schrunden zu beiden Seiten der Schlucht zischten Dampfsäulen hervor wie aus den Nüstern eines riesigen Drachen.
Noch ein Raum folgte, die Spiegelkammer. Eingelegt in weißen Marmor, facettierten hunderte und tausende Bergkristalle das Bild der Vorüberschreitenden.
Schließlich war man da, im Regenbogensaal, im fürstlichen Thronsaal.
Der Regenbogensaal erwies sich als eine lange, hochgewölbte Halle, deren vordere Hälfte an den Wänden und auf dem Boden mit Edelsteinen so ausgelegt war, daß sie in den Farben des Regenbogens leuchtete. Beim Eingang des Saales gossen Rubine und Granate Blut über das Gewölbe; Bernstein und Goldtopas schlossen mit der Lichtheit des Tagesgestirns an; Smaragde und Turmalin erinnerten an Natur und grünendes Leben; Saphire und Aquamarin erweiterten den Raum zum Baldachin des Himmels; mit der Nachdenklichkeit ihrer Farbe schlossen Amethyste das Prunkwerk ab. Die zweite, mit dunkleren Gesteinen, Onyxen und Achaten, ausgelegte Hälfte des großen Raumes wurden von einem mit Türkis und Lapislazuli gefaßten mächtigen Quelltopf ausgefüllt, in dem klares Wasser quoll. In der Mitte des Beckens ragte ein auf wohlgeformten weißen Tropfsteinen wie auf Löwenpranken abgestützter Sitz.
Konrad, der seiner Führerin staunend in den funkelnden, in allen Farben der Welt und des Lebens blinkenden Regenbogensaal gefolgt war, bemerkte auf dem Thron eine großgewachsene, von langen grünen Haaren und einem ebensofarbenen Bart wie von Wasserpflanzen umwallte Gestalt, die mit über einem silbrigen Schuppenleib gefalteten Händen und mit abwägenden Augen den Ankömmlingen entgegensah. Noch ehe Konrad sich ein Bild von dem im Wasserrund thronenden Wesen machen konnte, raunte im Vladana beschwörend ein paar Worte zu.
„Ich verändere jetzt meine Gestalt, mein Liebster. Erschrick nicht!“
Sprach´s, drückte Konrad liebevoll an sich, glitt vom Rand des Beckens ins Wasser und schwamm schon mit dem kräftigen Schlag eines Fischschwanzes, den sie plötzlich gleich ihrem fürstlichen Vater statt ihrer Beine trug, durch die Quelle zu dem Thronsitz hin. Dort verharrte sie.
„Guten Tag, Väterchen", wandte sich Vladana dem sich zu ihr herabbeugenden Wesen zu.
„Guten Tag, meine Tochter", grüßte der Angesprochene mit einer Stimme zurück, die etwas vom Orgeln und Brausen eines Wasserfalls an sich hatte.
„Da bin ich wieder einmal", fuhr Vladana zunächst belanglos fort wie jemand, der sich vor einem schwierigen Gespräch weiß und noch unsicher ob des richtigen Beginns ist.
„Das sehe ich", antwortete der Vater ebenso harmlos, doch mit einem Blick über den Quelltopf zu Konrad hinüber, als sei er sich über die Ursache des Erscheinens seiner Tochter bereits im klaren. „Ich freue mich immer, dich wiederzusehen. Willkommen zu Hause."
„Darf ich mich nach Euerem Befinden erkundigen, mein Vater?"
„Danke, es geht mir gut", antwortete der Fürst mit gemessener Würde. „Wie geht es dir selbst, mein Kind?"
„Oh, ich bin zufrieden", bestätigte auch Vladana ihr Wohlbefinden.
Vater und Tochter zögerten einen Augenblick: Vladana, weil sie unsicher war, wie sie zum Kern ihres Anliegens vordringen sollte; ihr Vater, weil er aus Erfahrung wusste, dass Geheimnisse von Untertanen und von Kindern durch geduldiges Abwarten am sichersten gelüftet werden.
Vladana gab sich einen Ruck und kam direkt zur Sache.
„Ich bin gekommen, um Euch meinen Gemahl vorzustellen, mein Vater.“
Damit war es heraus.
„Sagtest du - Gemahl?"
Fürst Ahira gab sich erstaunt. Er richtete mit einer geradezu offiziellen Wendung die Augen auf Konrad und musterte ihn ernsthaft.
„Meinen Glückwunsch", fuhr der Fürst fort. „Wie schön."
Doch mit ungläubigem Ausdruck und scheinbar harmlos fügte er hinzu: „Aber ist er nicht ein Mensch?"
„Er ist ein Mensch!"
Diese Antwort wurde von Vladana so bestimmt und fast trotzig gegeben, als solle schon durch den Tonfall klargestellt werden, dass sie mit diesem Einwand gerechnet habe, auf ihn vorbereitet, nicht aber gewillt sei, ihn zu akzeptieren.
Hatte Vladana an dieser Stelle eine spontane und heftige Äußerung des Unmuts erwartet, so musste sie diese Erwartung als Fehleinschätzung erkennen. Fürst Ahira antwortete weder laut noch leise; er schwieg und strich sich nur nachdenklich den Bart, so dass dieser wie der bedächtige Flossenschlag eines großen Fisches hin und her wogte. Seine Zurückhaltung entsprach der uralten Gepflogenheit der Mächtigen, sich in schwieriger Lage nicht festzulegen, sondern erst einmal anzuhören und zu schweigen und sich dadurch die natürliche Unsicherheit des Schwächeren zum Verbündeten zu machen.
Prompt preschte Vladana in das Vakuum vor.
„Wir lieben uns", schob sie einfach und ohne rhetorische Schnörkel nach und unterstrich mit der Einfachheit dieses Bekenntnisses die Endgültigkeit ihrer vorher bekanntgegebenen Entscheidung, denn zur Übermacht von Gefühlen gibt es in keinem Fall eine Alternative.
„Ich bin sehr verwundert über dich, meine Tochter", deutete Fürst Ahira nun doch Distanzierung an.
Dem maßvollen Ton dieser Antwort, das Ausbleiben von Tadel und Kritik wertete Vladana sofort zu ihren Gunsten. Entsprechend lebhaft fuhr sie fort.
„Ihr müsst Konrad kennenlernen, mein Vater"! rief sie überschwenglich. „Er ist der wunderbarste Mensch!"
„Aber eben nur ein Mensch", kam Fürst Ahira auf die Ursache des unausgesprochenen Unbehagens und den Punkt möglicher Schwierigkeiten. „Es fällt mir schwer, deine Entscheidung zu verstehen, Vladana. Musste das sein? Vor allem die Schnelligkeit deines Entschlusses! Konntest du dir nicht Zeit lassen?"
Vladana wurde gleich wieder kühler.
„Bei allem, was geschieht, kann man sich immer die Frage stellen, lieber Vater: Muss das sein oder nicht! Ich weiß nicht, woran man erkennt, ob und wann etwas sein muss oder nicht. Man kann das nicht lernen. Was für Euch gilt, lieber Vater, muss nicht unbedingt für mich gelten. Obwohl wir einer gemeinsamen Wurzel sind, sind wir doch nicht gleich. Wir sind verschieden und verschieden sind unsere Bedürfnisse und Gefühle."
„Du redest wie eine verliebte junge Frau, Vladana", fiel Fürst Ahira mahnend in die Rede seiner Tochter. „Ich habe es immer befürchtet." Die innere Bewegung des Fürsten wurde nun auch äußerlich sichtbar, denn der grüne Bart wallte wie in der Strömung eines kräftigen Baches.
„Du hattest immer einen eigenen Kopf, Vladana" fuhr er fort, „vorsichtig ausgedrückt. Immer wolltest und suchtest du das Besondere - was stets ein Quell für Unsere Besorgnis war. Das Glück liegt im Gewöhnlichen - nicht im Ungewöhnlichen. Es ist der große Irrtum, dem so viele - leider auch unseres Geschlechtes - erliegen, zu denken, das Fremde sei dem Eigenen vorzuziehen. Der Reiz des Augenblicks verfliegt schnell. Was kommt dann? Wird sich um einer kurzen Freude willen eine lange Entbehrung lohnen? Es bleibt die Ernüchterung, es bleibt der Jammer. Den wollen Wir dir ersparen. Dein Mann, den vorzustellen du gekommen bist, ist nur ein Mensch. Hast du vergessen, was es bedeutet, sich mit einem Sterblichen einzulassen?"
„Ich habe es nicht vergessen, mein Vater", beruhigte Vladana. „Ihr unterschätzt mich."
„Dann verstehe ich deine Entscheidung nicht", brach es aus dem Fürsten hervor. „Wenn ich etwas als richtig und sinnvoll erkenne oder begreife, dann handle ich danach."
„Das sagt Ihr so einfach, Vater", wandte Vladana ein. „Es hört sich auch einfach an. Ich habe Euch schon immer um die Kraft Euerer Vernunft bewundert, aber könnte man nicht sagen, einmal das große Glück gefunden und erlebt zu haben, einmal einen wunderbaren Höhepunkt in seinem Dasein gehabt zu haben - und sei es nur für die kurze Spanne eines Menschenlebens - wiegt das nicht alle Nachteile und späteren Kümmernisse auf? Entschädigt uns das nicht für alle möglichen Entbehrungen?"
„Von Erinnerungen wird man nicht satt", antwortete der Fürst. „Ein Fluss fließt bergab, nicht umgekehrt. Aus der Vergangenheit erwachsen uns keine Chancen, nur aus der Zukunft. Du musst nach vorne blicken und leben, Vladana!"
Die Stimme des Fürsten war eindringlich.
„Du bist noch junge, Vladana. Es liegt soviel vor dir!"
„Mit Rubecol etwa?" warf Vladana dazwischen.
Fürst Ahira wehrte ab. „Aber nein, Vladana. Gedulde dich. Man muss auch warten können. Die Dinge regeln sich meist von selbst. Und viel problemloser, als man erwartet."
„Das ist Trost für diejenigen, die alles hinter und nichts vor sich haben", relativierte Vladana die väterliche Weisheit, „Ich bin nicht die erste aus dem Wasser, die etwas Ungewöhnliches wagt."
Fürst Ahira war mit diesem Einwand nicht zufrieden.
„Ich habe erwartet, dass du das vorbringen würdest. Man sucht sich die Zeugen, wo man sie findet. Und du hast recht, es gibt in der Tat auch unter unseresgleichen verrückte Geschichten - mehr sogar, als man bei unseren kühlen Gefühlen vermuten könnte. Man hofft natürlich, dass alle verrückten Geschichten die Geschichten der anderen und nicht die der eigenen Kinder sind, aber warum sollte es die eigene Tochter besser machen als die anderen? Trotzdem ist meine Meinung, dass ungewöhnliche und verrückten Geschichten dazu da sind, aus ihnen zu lernen, und nicht, sie nachzuahmen."
„Man bleibt immer das Kind", gab Vladana einen Stoßseufzer von sich, „selbst wenn man hundert mal tausend Jahre alt ist."
„Ein Mensch wird, wenn er Glück hat, gerade einmal hundert, und wie sieht er nach dieser Zeit aus? Aber das muss ich dir nicht sagen.!
Fürst Ahira beugte sich vor und senkte diplomatisch die Stimme ab.
„Ich mache dir einen Vorschlag, Vladana. „Sei vernünftig und überlasse diesen Konrad mir."
„Was habt Ihr vor, Vater", fuhr Vladana argwöhnisch empor.
„Ich werde ihm nicht wehtun, ich versprech´s dir", fuhr der Vater vertraulich fort. „Er wird nicht viel spüren, und du wirst die Geschichte bald vergessen haben".
„Nein!" schrie Vladana furchtbar empört auf. „Wisst Ihr, was Ihr das redet, Vater? Ich bin euere Tochter! Ich verbiete Euch, auch nur noch einen einzigen Gedanken an so etwas Schreckliches zu verwenden!"
„Beruhige dich, Kind", zog sich der Fürst auf seine Bank und in die vorherige majestätische Haltung zurück. „Es war ja nur ein Vorschlag. Selbstverständlich werde ich nichts gegen deinen Willen unternehmen. Ich sehe die Dinge zwar anders als du - ich habe, das kann ich wohl in Anspruch nehmen, schon sehr viel mehr erlebt und gesehen als du, und das Gute beurteile ich ebenfalls anders als du, und ich meine deshalb auch, dass mein Vorschlag nicht schlecht wäre, die ganze unglückliche Angelegenheit schnell und schmerzlos zu regeln - aber ich respektiere deinen Willen. Bitte sehr! Nichts gegen deinen Wunsch! Es ist dein Glück, um das es geht, nicht meines. Selbst wenn das Glück der Kinder auch das Glück der Eltern ist und selbst wenn man das Unglück der Kinder als Eltern dann doch immer mittragen muss - du musst wissen, was du willst. Nicht ich!"
Die besänftigenden Worte des Fürsten konnten Vladana nicht zufriedenstellen. Erregt hakte sie nach.
„Ihr habt mir einen furchtbaren Schrecken eingejagt, Vater", klagte sie an. „Ich bedauere es, mit Konrad zu Euch gekommen zu sein. Aber ich dachte, selbst wenn meine Wahl nicht unbedingt Gnade vor Eueren Augen finden sollte - was ich mir eigentlich vorher hätte ausrechnen können - so sei es doch meine Pflicht als Tochter, Euch meinen Gemahl vorzustellen. Außerdem wiegte ich mich in der Hoffnung, Ihr könntet einer Begegnung mit Konrad auch eine erfreuliche Seite abgewinnen. Wenn ich geahnt hätte, was Ihr wirklich denken würdet..." Vladana klatschte vor Erregung mit ihrem Nixenschwanz so heftig auf das Wasser, daß es weithin spritzte..."Ihr müsst mir versprechen, niemals etwas gegen Konrad zu unternehmen! Ihr müsst mir das schwören! Ja, schwört mir das, Vater. Ich bitte Euch darum! Ich verlange es von Euch! Ich habe sonst keine Ruhe!"
„Schon gut, meine Tochter", zog sich der Vater, der sich unter den anklagenden Worten Vladanas in einer gewissen Verlegenheit auf seiner Thronbank hin- und herdrehte, weiter zurück."Ich weiß selbst nicht, wie mir dieser Einfall in den Kopf kommen konnte. Man sollte nicht spontan sein. Spontaneität ist der Grund aller Fehler. Wie du weißt, mag ich die Menschen nicht, vielleicht liegt darin die Ursache meiner Anmaßung. Ich möchte mich entschuldigen, und ich verspreche dir feierlich: Ich werde niemals etwas gegen deinen Gemahl unternehmen und auch nichts mehr gegen ihn äußern. Deine Entscheidung soll mir heilig sein, selbst wenn sie mir nicht behagt und du meiner Meinung nach schon zu menschlich denkst."
Und, als ob er den Schaden, den er eben bei seiner Tochter angerichtet hatte, wiedergutmachen und vielleicht auch sein schlechtes Gewissen beruhigen wolle, gab Fürst Ahira dem Gespräch betont eine Wendung ins Persönliche.
„Ich kenne deinen Konrad nicht, und Voreingenommenheit ist ein schlechter Ratgeber. Ich sollte mich bei der Nase fassen und meine klugen Einsichten, die ich auch dir immer zu vermitteln versuchte, selbst mehr beherzigen. Also, wer ist er, dein Gemahl? Woher kommt er? Was hat er erlebt? Wie habt ihr euch kennengelernt? Wie ist das Zusammenleben mit einem Menschen? Hat er dich oder hast du ihn erobert? Wie soll es weitergehen mit euch beiden? Was habt ihr vor? Wo wollt ihr euch niederlassen? Ich bin jetzt doch neugierig. Komm, erzähle!"
Vladana zögerte erst einmal und blickte unschlüssig zu ihrem Vater auf, als sei dessen raschem Sinneswandel nicht zu trauen. Sie schwieg sich verbittert aus.
Fürst Ahira strengte sich an, seinen Fehler wiedergutzumachen.
„Es ist, wie ich es sage", beteuerte er. „Nichts mehr gegen deinen Gemahl. Ich werde mich bemühen, als Schwiegervater loyal zu sein. Verlass dich drauf. Ich verspreche es."
„Konrad kommt aus dem Norden", hob daraufhin Vladana zögernd und einsilbig an. "Über das Gebirge."
"Über das Gebirge?" wunderte sich der Vater und beugte sich neugierig etwas auf seiner Thronbank vor. „Alle Wetter! Ist das wahr? Kaum zu glauben! Das hat er geschafft? Wie hat er das gemacht?"
„Er kennt keine Furcht", erklärte Vladana immer noch zurückhaltend. „Gefahr berührt ihn nicht. Er hat auch Rubecol besiegt."
„Den guten alten Rubecol!" amüsierte sich der Fürst. „Ein Mensch besiegt Rubecol! Wer hätte das je erwartet! Das ist außergewöhnlich. Wahrhaftig, ich beginne Respekt zu empfinden."
Ernsthafter und nachdenklicher fuhr Ahira fort.
„Genau betrachtet ist es ein schlechtes Zeichen, wenn ein Mensch, dazu allein, den Weg über das Gebirge findet, quer durch alle Hindernisse und Gefahren."
„Warum", horchte Vladana besorgt hellhörig auf.
„Du kennst die Prophezeiung unseres Volkes", erläuterte Fürst Ahira. „Das Ende unserer Herrschaft ist uns vorhergesagt."
„Was hat das mit Konrad zu tun?" widersprach Vladana.
„Vielleicht nichts, vielleicht sehr viel!" Fürst Ahira schritt von einer ersten, spontanen Vermutung rasch den Weg zunehmender Gewißheit weiter. „Es werden weitere Menschen den Weg finden und über das Gebirge kommen. Und nicht nur über das Gebirge, auch über die Flüsse und die Seen und durch die Wälder. Auch sie werden wie Konrad ohne Furcht kommen Sie werden sich niederlassen und überall breitmachen. Sie werden uns einengen, uns den Platz nehmen. Wir werden manchmal in ohnmächtigem Zorn gegen sie losschlagen, wir werden ihnen das Leben schwer machen, aber ich fürchte, wir werden keinen dauerhaften Erfolg erringen. Was ist Furcht anderes als geheime Anerkennung der Macht. Wenn erst einmal die Furcht vor uns verloren geht, dann geht auch die Achtung vor unserer Macht verloren. Und damit die Macht selbst. Das ist dann nur noch eine Frage der Zeit."
„Meint Ihr das wirklich, Vater, was Ihr da sagt?" fragte Vladana ihren Vater, vom Ernst seiner Worte beeindruckt. „Oder redet Ihr nur so, um mich einzuschüchtern?"
„Nein, nein, meine liebe Tochter", beruhigte Fürst Ahira. „Ich will dich nicht einschüchtern. Ich meine es tatsächlich so, wie ich es sage. Ich denke seit langem über vieles nach und beginne unsere Zukunft tatsächlich zu sehen. Aber die Dinge sind wohl so, wie sie sind, und selbst wir können kaum etwas daran ändern. Konrad hat damit nichts zu schaffen. Jeder tut, was er kann und was er muss. Er folgt seinem Weg."
Fürst Ahira machte eine Denkpause. Dann fuhr er fort und schwächte seine ernsten Worte ab.
„Möglicherweise lasse ich mich von meinem Pessimismus selbst zu sehr beeindrucken. Man hat halt so Zeiten der Nachdenklichkeit."
„Mich hat Konrad sehr beeindruckt", gestand Vladana. „Ihr werdet es nicht glauben, aber er hat sogar mir widerstanden. Und wie!"
„Das will etwas heißen, meine schöne Tochter!"
Über das Gesicht Fürst Ahiras huschte trotz des eben erörterten ernsten Themas ein amüsiertes Lächeln.
„Wenn nicht Rubecol dazugekommen wäre, ich glaube, ich hätte Pech gehabt", gestand Vladana.
„Rubecol? Wieso?" Fürst Ahira beugte sich neugierig vor. „Ich denke, er hat mit Konrad gekämpft."
„Das war es ja. Einen Sieger zu erobern ist leichter als einen misstrauischen Wandersmann. Entweder Rubecol siegte, dann war es die gerechte Strafe für einen dahergelaufenen, gefühllosen Fremden, oder Konrad siegte, dann war ich den lästigen Rubecol los und der erschöpfte,vielleicht auch verwundete Sieger konnte mir kaum noch Widerstand leisten. Er wollte mir nicht einmal die Hand reichen."
„Das spricht für seine Klugheit", erlaubte sich Fürst Ahira mit einem Anflug von spöttischer Anerkennung zu bemerken.
Vladana verzog über diesen Humor gleich unwillig das Gesicht und Fürst Ahira verbesserte sich sofort.
„Ich wollte sagen, ihr Frauen erreicht doch alles. Notfalls auf den seltsamsten Umwegen. Der schwarze Rubecol als Mittel, das Herz eines widerborstigen Jünglings zu erobern. Das ist gut! Wahrhaftig, das ist lustig! Ha, ha, ha! Der schwächste Augenblick ist der eines Triumphes. Wo hast du das nur her, meine Tochter? Ich glaube, ich habe dich unterschätzt."
Der Fürst rieb sich so vergnügt die Hände, dass die Fischschuppen flogen, und er lachte, dass sich das Wasser im Becken kräuselte.
„Nicht einmal angeblickt hat er mich", beklagte sich Vladana. „So ein junger Held hat vor einer verführerischen, schönen Frau mehr Angst als vor einem kohleverrußten, schwarzen Waldungeheuer."
Fürst Ahira kehrte von seinem Lachanfall in die weise Gesetztheit seines Alters zurück.
„Man könnte fast vermuten, Heldentum ist nichts anderes als eine Art Verzweiflung, die ausdem Bedürfnis nach Liebe - Liebe, die unerfüllt bleibt - geboren wird. Da ist etwas in der Brust, das muss raus. Also wird man ein Held."
Vladana widersprach dieser Ansicht ihres Vaters, noch ehe dieser seine Rede beendet hatte.
„Mag sein, dass Ihr im allgemeinen recht habt, Vater", meinte sie kritisch. „Im Falle Konrads irrt Ihr Euch. Ganz gewiss! Konrad hat den Dreinächtetraum gehabt."
In Vladanas Stimme schwang etwas wie Triumph mit. Und sie unterstrich die Bedeutung ihrer Äußerung noch durch die Knappheit ihrer Worte. Gespannt beobachtete sie die Wirkung auf ihren Vater.
In der Tat, Fürst Ahira merkte auf und zeigte sich beeindruckt.
„Augenblick! Was hast du gesagt?"
Vladana wiederholte knapp, aber mit Nachdruck. „Ja, den Dreinächtetraum. Es ist, wie ich sage."
„Bist du sicher? Unterliegst du keinem Irrtum? Woher weißt du das?"
„Konrad hat es mir erzählt", berichtete Vladana. „Ich fragte ihn, wie er überhaupt auf den Einfall gekommen sei, über das Gebirge zu reiten. Ihr kennt die Gefahren, Vater. Da hat er mir den Traum erzählt. Und, Ihr werdet es nicht glauben, mein Vater, das Beste kommt noch. Der Dreinächtetraum hat sich in drei Jahren wiederholt. Tatsächlich dreimal!"
Das schien über die Auffassungsgabe des Fürsten hinauszugehen. Ungläubig starrte er seine Tochter an.
„In drei Jahren dreimal den Dreinächtetraum? Das gibt es nicht. Das hat es noch nie gegeben! Unmöglich!"
„Doch", bekräftigte Vladana. „Fragt Konrad selbst."
„Bei meinem Bart, was hat er denn so Wichtiges geträumt?"
Fürst Ahiras Interesse war jetzt deutlich von Respekt geprägt.
„Eine Stimme hat ihn aufgefordert, über das Gebirge zu reiten. Dort werde er zum Herren über die Welt aufsteigen.“
Fürst Ahira schwieg, als bedürfe er erst einmal Zeit, das Gehörte zu verarbeiten.
„Seltsam", murmelte er, „wirklich seltsam. Dass er so etwas geträumt hat!"
Direkt zu Vladana fuhr er fort. „Wie du dich vielleicht noch erinnerst, geht die Sage, in unseren Bergen liege der größte Schatz der Welt verborgen. Ob das etwas mit dem Traum zu tun hat? Es ist doch zu seltsam! Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Er ist doch nur ein Mensch!"
„Er ist trotzdem berufen", erklärte Vladana mit der unumstößlichen Gewißheit, die verliebte Leidenschaft verleiht. „Ich werde ihm helfen. Wir werden den Traum verwirklichen."
Fürst Ahira zog es vor, sich hierzu nicht zu äußern. Nachdenklich blickte er auf seine ehrgeizige Tochter.
Vladana, kühngemacht durch das Beeindrucktsein des Vaters und seine nachdenkliche Zurückhaltung bei der Kritik so hochfliegender wagemutiger Absichten, versuchte durch das Erstaunen und die Verwunderung des Vaters wie durch eine Bresche vorzudringen und zusätzliche Bodengewinne in seiner Sympathie zu machen.
„Vielleicht könnt Ihr uns dabei helfen, Vater", schlug sie selbstsicher und deshalb unbescheiden vor.
Doch Fürst Ahira wollte sich nicht festlegen lassen. Statt zum Vorschlag Vladanas Stellung zunehmen, gab er mit der Hand einen kleinen Wink nach hinten, worauf sich eine große perlmuttfarbene Muschel vom hinteren Rand des Beckens löste und Kurs quer über das Wasser auf Konrad nahm.
„Ich will jetzt doch deinen Mann kennenlernen", begann Ahira von etwas scheinbar ganz anderem zu reden. „Wir müssen außerdem klären, was ihr euch zur Hochzeit wünscht. Ich hätte an eine Burg gedacht, das scheint mir ein nützliches und brauchbares Geschenk zu sein - schließlich ist dein Mann ein Mensch. Da könnt ihr nicht die ganze Zeit im Wald und unter den Bäumen hausen. Aber ich will nichts über euere Köpfe hinweg entscheiden."
„Eine Burg wäre nicht schlecht", kommentierte Vladana den väterlichen Vorschlag. „Konrad wird damit einverstanden sein."
„Was euere weitergehenden Pläne betrifft", fuhr der Fürst sachlich fort, „ich fürchte, dafür bin ich nicht der richtige Mann. Ich glaube kaum, dass ich euch besonders dienlich sein kann."
„Wer sonst, wenn nicht Ihr, Vater", bezweifelte Vladana die väterliche Skepsis.
„Kinder neigen dazu, ihre Väter zu überschätzen", versuchte Ahira die Erwartungen seiner Tochter zu dämpfen. „Sie sehen so eine Art allmächtiger Riesen in ihnen. Das sind wir nicht".
„Ein ohnmächtiger, harmloser Zwerg seid Ihr aber auch nicht", berichtigte Vladana mit leisem Spott. „Es gibt nichts, worüber Ihr nicht Bescheid wüsstet. Ihr kennt die Welt."
„Nicht die ganze Welt! Das ist es ja! Schon zu sagen, ich kennte die halbe Welt, wäre wirklich vermessen." Fürst Ahira wollte die Diskussion über die Zuständigkeit seiner Person nicht fortsetzen. Er gab dem Gespräch eine Wendung. „Ich werde euch Onkel Wodnik schicken. Der ist zwar etwas aus der Reihe geschlagen, sozusagen das schwarze Schaf unserer Familie, aber eines hat er mir voraus. Er ist herumgekommen. Im Unterschied zu mir kennt er wirklich die Welt. Kein Ort, an dem er nicht gewesen ist! Er ist sozusagen mit allen Wassern gewaschen. Bei allem, was ihr vorhabt, kann sicher er euch am besten raten und helfen.“
Vladana kam nicht mehr dazu, diesen Vorschlag ihres Vaters zu bewerten. Von unsichtbarer Kraft bewegt, schaukelte die große perlmuttfarbene Muschel in diesem Augenblick durch das Bassin heran und legte an der Seite Vladanas vor dem Thron Ahiras an, Konrad als Fracht in der ausgebauchten, mattschimmernden Schale.
Fürst Ahira verzichtete auf die üblichen Fürstenallüren, einen Besucher erst einmal warten zu lassen, um ihm dann umso gnädiger das Ohr zu leihen; er wandte sich Konrad sofort zu.
„Mein Sohn", sprach er den eben Angekommenen mit einer Stimme an, deren patriarchalisch wohlwollender Orgelton nichts davon verriet, dass sie noch wenige Augenblicke zuvor ernsthafte Mordabsichten geäußert hatte. „Sei in meinem Haus willkommen!"
Konrad bedankte sich für das Wohlwollen und erwiderte den Gruß in gesetzten und gewählten Worten, die ganz auf die hohe Würde des zukünftigen Schwiegervaters abgestellt waren.
Das machte Eindruck, und Vladana, die doch etwas unsicher und daher auch besorgt dem Beginn des Dialogs zwischen ihrem Vater und seinem Schwiegersohn entgegengeharrt hatte, registrierte den Abzug allen finsteren Gewölks aus dem Gemüt ihres Vaters mit aufatmender Erleichterung.
Fürst Ahira fuhr in seiner Rede fort, und Konrad hörte mit jener höflich geduldigen Aufmerksamkeit zu, die darum weiß, dass die Eitelkeit der Mächtigen sich am liebsten selbst reden hört.
Zuerst trug Ahira Glückwünsche zum Bund Konrads mit seiner Tochter vor. Er verwies auf die Außergewöhnlichkeit dieser Verbindung, deutete die Schwierigkeiten an, die sich aus ihr ergeben könnten, betonte jedoch gleichzeitig seinen Respekt vor der Entscheidung und betonte seine Bereitschaft, in schwieriger Situation dem jungen Paar hilfreich zur Seite zu stehen.
Konrad beantwortete diese Deklamation mit ähnlichen Floskeln. Er nahm die hoheitlichen Glückwünsche mit einem Ausdruck ehrerbietiger Hochschätzung entgegen, verwies auf die Liebe und Zuneigung zwischen Vladana und sich, die ein sicherer Garant für die Überwindung aller kommenden Schwierigkeiten sei, und bedankte sich für die Bekundung der schwiegerväterlichen Hilfsbereitschaft.
Mit dem vom Schwiegervater angebotenen Hochzeitsgeschenk - einer Burg - erklärte er sich unverzüglich einverstanden, bat aber darum, dass die Errichtung des Bauwerks erst dann beginnen solle, wenn Vladana und er in dem ferngelegenen Waldtal einen geeigneten Platz ausgesucht hätten.
Das wurde zugestanden.
Seiner offiziellen Hochzeitsgabe fügte Fürst Ahira ein privates Geschenk an Konrad hinzu. Er nahm einen gewöhnlichen, rundgeschliffenen weißen Kieselstein aus einer Muschel und hielt ihn sorgsam in die Höhe, als handele es sich um einen Edelstein von großer Kostbarkeit.
„Ihr Menschen", so philosophierte der Fürst, „seid ein verwundbares, sterbliches Geschlecht. Der Gefahren gibt es viele für euch, der Tod lauert überall. Vielen Bedrohungen seid ihr nicht gewachsen."
Ahira beugte sich vor und überreichte den Stein Konrad, der diesen ebenso würdevoll und ernsthaft entgegennahm, wie ihn der Schwiegervater präsentierte.
„Verachte mir diesen Stein nicht, mein Sohn", fuhr Ahira fort. „Selbst wenn er nur wie ein gewöhnlicher Kiesel aussieht, wie man ihn in jedem Bachbett findet, so trügt der Schein. Der harmlose Stein besitzt große Kraft. Wo auch immer du bist, in welchem Teil der Welt du immer dich befindest, der Stein, hinter dich geworfen, ruft augenblicklich meine Hilfe herbei. Allerdings", ergänzte der Fürst gewichtig, „ich muss dich zur Vorsicht mahnen. Der Zauber des Kiesels wirkt nur einmal. Sei also vorsichtig und vergeude sie nicht. Was du aus eigenem Mut und eigener Tapferkeit leisten kannst, erledige selbst. Denn, einmal gebraucht, ist die Kraft des Steines dahin. Der Kiesel ist dann nichts weiter mehr als jeder andere Kiesel auch."
So sprach der Fürst, und Konrad, den unscheinbaren Stein in der Hand, verbeugte sich und dankte und gelobte, die Empfehlung des Schwiegervaters zu beherzigen.
Fürst Ahira entließ Konrad in Wohlwollen und Gnade und verabschiedete sich, ein paar gutgemeinte väterliche Ratschläge auf den Lippen, auch von seiner Tochter. Die Muschelfähre brachte Konrad zurück an den jenseitigen Rand des hoheitlichen Gewässers, Vladana folgte und kehrte in ihr eigenes Leben und ihre menschliche Gestalt zurück. Man machte sich auf den Rückweg.
Das Versprechen seines Hochzeitsgeschenkes wurde von Fürst Ahira, kaum waren Konrad und Vladana in ihr Waldtal zurückgekehrt und hatten sich über einen angemessenen Platz für ihren Wohnsitz geeinigt, umgehend erfüllt. In den ersten Nächten ging ein Krachen und Bersten durch den Wald, dazu ein Zischen und Ziehen, als wüte ein furchtbarer Herbststurm im Gehölz oder als bahne sich eine Schar Riesen mit ungestümer Wucht den Weg durch das Dickicht. Schon war ein freier Platz in den Hochwald gerissen; allerdings bot er noch ein Bild chaotischer Verwüstung. Büsche und Bäume lagen durcheinander und überquer, Wurzeln griffen, als suchten sie einen letzten Halt, in das trügerische, nicht fassbare Element der Luft, gesplittertes Holz hatte die Farbe bloßgelegten Wundfleisches. Die Erde war durchgepflügt wie von einem ungeheueren Maulwurf.
Auf die ersten Nächte der Rodung folgten die Nächte der Einebnung. Der Platz ward gesäubert, von all dem geborstenen und niedergebrochenen Waldzeug freigeputzt und von Felsen und Wurzelklumpen gereinigt. Ein glattgestampftes, plangestrichenes Feld entstand, inmitten der geradezu erstaunten, finsteren Fronten des Hochwaldes von angenehmer Helle.
Dann wühlten unsichtbare Kräfte eine riesige Grube in die Erde. Grundmauern, aus granitenen Blöcken zyklopisch gefügt, sprossen in die Höhe, wie von geheimen Kräften zum Wachstum gebracht. Schon stürmten die Wände der Wohngebäude hoch, erschienen Türme und Wehrmauern, wurden Plafonds aus hartem eichenem Gebälk eingezogen und setzten sich Stockwerke übereinander wie der kunstvolle Wabenbau der Bienen. Das Dach ward gedeckt, der Brunnen gegraben. Tür und Tor wurden eingesetzt, die Fenster geschlossen, der Innenhof ausgepflastert, Weg und Steg befestigt.
Als Konrad und Vladana nach der Frist eines Mondes in ihr fürstliches Heim einzogen, fanden sie es mit all dem ausgestattet, dessen es zu einer vornehmen Haushaltsführung bedurfte. Die Wände und Mauern waren wohnlich mit Fellen und Stickereien überkleidet, Fackelkörbe und Kerzenhalter dienten zur abendlichen Beleuchtung. Truhen und Schränke, Borde und Bänke, Tische, Stühle und Liegestätten machten die Räume bequem. In Kammern war Hausrat gesammelt, auf den Speichern und in den Kellern lagerten Speise und Trank. Die Waffenkammer trotzte mit Schwertern und Spießen, aus den Ställen klang das Stampfen und Kettengeklirr der Pferde. Vom Bergfried ging der Blick weit über den dunklen Ring der Wälder hinaus: nach Norden zu den wolkennahen Häuptern des Gebirges, nach Osten und Westen zu seinen niederströmenden Profilen und nach Süden zum Silberdampf des fernen Tieflandes.
„Hier werden wir glücklich sein", sinnierte Konrad.
„Von hier aus werden wir herrschen", verbesserte Vladana.