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15. KAPITEL

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Der Abend und die Nacht gehörtem dem Sieg. Die Politik trat in ihre Pflicht erst wieder am nächsten Morgen ein. Konrad ließ den Bewohnern Fragas die Botschaft senden, sie gnädig behandeln zu wollen, wenn sie sich bis zum Abend ergäben und die Burgtore öffneten. Dagegen werde er, so ließ er androhen, ohne Gnade und Nachsicht verfahren, sollte er gezwungen werden, die Burg stürmen zu lassen.

Die Einwohner Fragas und Untertanen Borschiwois schienen sich nicht klar werden zu können, wie sie sich verhalten sollten. Den ganzen Tag warteten Konrad und seine Führer, dass auf den Türmen oder Toren ein Zeichen der Übergabe sichtbar würde. Vergeblich. Die Sonne fuhr den Himmelsbogen aus und nichts geschah. Schon begann man mit der Beratung darüber, wie man am nächsten Morgen den Sturm auf die Wälle und Palisaden der Burg führen solle, wo die Ablenkungsmanöver, wo die Stöße des Hauptangriffs erfolgen sollten, schon teilte man Aufgaben und Hundertschaften ein, bildete Reserven und Sicherungsmannschaften, schon wurde der Tag mit der Dämmerung zugehängt, als plötzlich die Hörner Laut gaben und die Späher meldeten, das Burgtor Fragas zum Fluß hinab habe sich geöffnet und ein kleiner Zug Abgesandter sei daraus hervorgetreten. Also doch!

Die Delegation, ganz in schwarze Gewänder gehüllt, näherte sich, von der Lagerwache empfangen, untersucht und geleitet, demütig den Zelten Konrads, die tagsüber aus dem alten Lager herangeschafft und an gesicherter Stelle, der trutzigen Burg gegenüber, wieder aufgebaut worden waren. Wie sehr erstaunte Konrad, als der Zug der Burgvertreter nicht nur einen Esel, beladen mit Kostbarkeiten, Gold, Geschmeiden und seltenen Dingen, sondern auch ein halbes Dutzend der schönsten jungen Mädchen mitführte. Das ganze Heerlager lief zusammen wie Wasser im Mund. Zwischen den Mauern, der sich drängenden und gaffenden Krieger hindurch, die nicht mit anzüglichen Bemerkungen und Obszönitäten zurückhielten, schlichen die jungen Dinger bedrückt und verschüchtert wie junge Hündchen vor Konrad und seine Hauptleute hin. Die Anführer der Gesandtschaft, drei würdige Grauköpfe, warfen sich vor Konrad und den anderen zusammengetretenen Führern auf die Knie.

„Herr", begann der Älteste, nachdem er gleich den anderen schweigend am Boden gekauert hatte und erst durch ein „Was wollt ihr?" Konrads zum Sprechen ermuntert worden war. „Herr", begann also der Älteste. „Ihr habt uns Schonung für unsere Burg, für unsere Frauen und Kinder zugesagt, wenn wir Fraga übergeben. Da sind wir, der Tag ist noch nicht zu Ende. Borschiwoi ist geflohen. Er hat uns im Stich gelassen. Er ist nicht mehr unser Gebieter. Wir wollen nicht für einen Herrn sterben, der nur an sein eigenes Heil denkt, nicht aber an das seines Volkes. Wir wollen leben und erbitten Frieden für uns und unsere Kinder. Wir bitten Euch, Herr, Euerem Wort treu zu bleiben".

„Ich bleibe meinem Wort treu", versicherte Konrad auf diese Rede. „Wenn ihr die Burg übergebt, soll euch nichts geschehen. Der Tag ist tatsächlich noch nicht erloschen, viel Zeit hattet ihr nicht mehr."

„Wir übergeben die Burg", erklärte der Greis.

„Dann sei es, wie ich gesagt habe", betonte Konrad.

„Wir haben Euch Geschenke mitgebracht", fuhr der Alte fort und winkte den Esel heran. „Erlaubt uns, sie Euch als ein Zeichen unserer Demut und unseres guten Willens zu überreichen".

„Wir nehmen die Geschenke an", erklärte Konrad voll Huld.

Er bedeutete einem der umstehenden Krieger, den Esel hinters Zelt zu führen. Der Mann folgte dem Befehl, ergriff den Esel am Halfter und brachte ihn weg.

„Wir haben Euch und Eueren Anführern außerdem eine Erquickung für die Anstrengungen der Schlacht mitgebracht", fuhr danach der Alte fort. „Seht! Die schönsten Jungfrauen unseres Volkes".

Wiederum winkte der Alte. Diesmal traten die schüchtern im Hintergrund wartenden Mädchen nach vorne.

„Sie stehen Euch zu Diensten."

„Du bist sehr schlau, Alter", nahm Konrad auch dieses Geschenk an. „Du weißt deine Worte klug zu setzen und das Richtige zu tun, um das Herz eines Siegers zu gewinnen."

„Was anderes denn als Klugheit bleibt dem Besiegten, Herr", erklärte der Alte mit leiser Stimme und gesenktem Haupt. „Es ist uns nicht leicht gefallen. Auch mein Enkelkind ist unter den Mädchen. Aber das ist nur ein geringes Opfer, wenn wir unsere Heimat retten können. Die Kleinen müssen die Rechnungen der Großen begleichen.“

„Wir nehmen auch dieses Geschenk an, Alter", ergriff Konrad jetzt das Wort. „Aber der Preis für unsere Gnade ist höher. Nichts ist umsonst. Viele unserer Männer sind gefallen, hinterlassen Frau und Kind. Viele sind verletzt, verwundet, haben Schmerzen. Ich kann meine Leute nicht einfach nach Hause schicken und sagen: Geht heim, Leute, der Kampf ist aus. Das wär´s gewesen. Ich kann meine Leute nicht mit leeren Händen entlassen, wenn soviel Beute winkt."

„Wir geben, was wir können", versicherte der Alte bereitwillig.

„Der Besitz Borschiwois soll ungeschmälert unser sein", stellte Konrad die Forderung auf. „Außerdem soll alles Gold, Silber und Edelgestein unser sein und von allem die Hälfte abgeliefert werden: vom Vieh ebenso wie vom Linnen,vom Hausgerät ebenso wie von der Feldfrucht.“

„Ihr fordert viel, Herr", wagte der Alte niedergeschlagen einen vorsichtigen Einwand.

„Nein", widersprach Konrad. „Ich lasse euch viel. Meine Forderungen sind billig. Ich kann meine Leute nicht mit hungrigen Mägen ziehen lassen. Was ist besser? Sein Leben und sein Hab und Gut zu verlieren, oder sein Leben und die Hälfte von allem zu behalten? Auch meine Leute werden unzufrieden sein, nur die Hälfte dort zu erhalten, wo sie alles nehmen könnten."

„Kriege bringen nur Unglück", seufzte der Alte. „Es sei, wie Ihr gesagt habt, Herr. Gold und Silber und Edelgestein und von allem anderen die Hälfte. Das wird viele schmerzen, aber wir können damit leben. Wir müssen es. Wir danken Euch, Herr, für Eueren Großmut."

Die Übergabe der Burg wurde für den nächsten Morgen vereinbart.

Der Alte und seine beiden Begleiter verneigten sich nach dem Abschluss der Verhandlungen bis zur Erde. Das Licht der Fackeln zuckte über sie, als schüttle sie der Schmerz der ganzen Welt. Dann erhoben sich die drei, wandten sich stumm ab, der alte Wortführer schritt auf das erste der versteinerten Mädchen zu, küsste es auf die Stirn, wischte sich die Augen, drehte sich weg und war, eskortiert von einer Wache, gleich von der Dunkelheit verschluckt. Das Mädchen brach in Tränen aus und konnte sich trotz des Trostes der anderen kaum fassen.

„Wie ist dein Name?" Mit dieser Frage trat Konrad, nachdem der Alte und seine Begleitung in der Nacht verschwunden waren, auf das erste der Mädchen zu.

„Ludmilla, Herr", wisperte das junge Ding mit brechender Stimme, ohne die tränengefüllten Augen zu heben.

„Bist du die Enkeltochter des Alten", wollte Konrad weiter wissen.

„Ja, Herr", antwortete das Mädchen.

„Sieh mich an", forderte Konrad.

Das Mädchen, das bisher nicht gewagt hatte, die Augen auch nur einen Fingerbreit zu heben, schlug die Lider hoch. Eingerahmt von blonden Locken glänzte es in den hellen blauen Augen wie von Vergißmeinnicht. Ein liebliches Geschöpf.

„Du bist hübsch", stellte Konrad fest.

„Der Herr belieben zu scherzen". Das Mädchen versank fast.

„Du kommst in mein Zelt", bestimmte Konrad.

„Ja, Herr", fügte sich das junge Ding leise und ergeben in sein Schicksal.

Die anderen Sendbotinnen der Unterwerfung gingen an Konrads Führer, die es sich trotz ihrer Erschöpfung, ihres Alters oder ihrer Wunden nicht nehmen ließen, den Preis des Sieges auch auf diesem zartesten Feld zu pflücken.

Als Konrad am vorgerückten Abend von der Siegesfeier mit seinen Freunden und Gefolgsleuten in sein Zelt zurückkehrte, fand er Ludmilla fassungslos und in Tränen aufgelöst. Das Mädchen saß allein, ein Häufchen Elend, in der Dunkelheit und war von den Ereignissen, die es für die Nacht erwarten musste, ganz niedergedrückt. Es zitterte vor Angst und Aufregung. Konrad richtete sein Wort an die Kleine, erkundigte sich nach seinem Alter und was ihm fehle.

Es wolle zu Vater und Mutter zurück, schluchzte Ludmilla.

Konrad strich dem Mädchen beruhigend über das Haar und tröstete es. „So lange du bei mir bist, brauchst du nichts zu fürchten. Morgen schicke ich dich zu deinen Eltern zurück."

Ludmilla blickte zu Konrad hoch, als könne sie den eben vernommenen Worten keinen Glauben schenken. „Ihr wollt nichts von mir, Herr?", fragte sie , jetzt fast noch mehr verwirrt.

„Nein", erklärte Konrad. „Weißt du, ich bin mit einer Frau verheiratet, neben der es keinen Platz für eine andere gibt. Auch nicht nach einer gewonnenen Schlacht und selbst wenn sie so hübsch ist wie du. Und jetzt leg dich auf das Fell hier und schlaf dich aus. Sonst hast du morgen rote Augen wie ein Kaninchen."

Mit diesen Worten entrollte Konrad im Hintergrund des Zeltes ein Bärenfell, das er von seiner Schlafstatt abzog, und wies das Mädchen an, darauf Platz zu nehmen.

Ludmilla zögerte zunächst, als dürfe sie der wundersamen und unerwarteten Wendung ihres Geschicks nicht trauen, doch dann ließ sie sich auf der Schlafstätte nieder, kuschelte sich in das Fell und schien, den Bedürfnissen ihrer Jugend und den schlimmen Aufregungen Tribut zollend, bald den schrecklichen Albträumen und Befürchtungen des Tages entrissen. Eine Weile betrachtete Konrad das liebliche Bild. Er lächelte und dachte an Vladana. Dann löschte er die Fackel.

Doch so einfach kam Konrad nicht um die Pflichten eines Siegers herum. Er hatte es sich auf seiner Schlafstelle noch nicht richtig bequem gemacht und Felle und Decken angewärmt, als diese schüchternmutig hochgehoben wurden und ein junger, schmaler Mädchenkörper zu ihm schlüpfte.

„Herr, mir ist kalt. Ich habe solche Angst!" hörte er eine wispernde Stimme.

Ehe er wusste, wie ihm geschah, kuschelte Ludmilla zu ihm und schmiegte sich an ihn mit einer Zärtlichkeit, als sei es ihr gutes Recht, etwas einzufordern, was ihr ungerechterweise vorenthalten bleiben sollte. Es war, als habe sich ein neugieriger Schmetterling zu ihm verirrt.

Konrad wäre vor Überraschung fast vom Lager gefallen.

„Was machst du da, Ludmilla? Was soll das? Weißt du, was du da tust? Ich dachte, du wolltest....."

Weiter kam er nicht.

„Herr, Ihr seid so gut zu mir", wisperte die Kleine treuherzig. „Ihr seid so stark!" und umfasste ihn mit zarten Armen.

Da kam Konrad in große Bedrängnis. Er musste erfahren, dass auch die Sanftheit Kraft besitzt und Sieger ihre Schwächen haben.

Konradsgrün

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