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5. KAPITEL

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Von ihren Verwandten schätzte Vladana Onkel Wodnik am meisten. Sie erwartete täglich, fast stündlich sein Erscheinen auf der Waldburg, und das nicht nur, weil ihr von ihrem Vater der Besuch des Onkels angekündigt worden war, sondern auch, weil sie ihrem Onkel herzlich zugetan war und sich darauf freute, ihm ihren Gemahl vorzustellen. Außerdem wälzte sie wichtige Pläne, bei deren Verwirklichung sie auf den Rat und die entschlossene Hilfe ihres Onkels hoffte.

Onkel Wodnik indes ließ sich nicht blicken. Wochen, Monde und Jahre verstrichen, ohne dass sich der zunächst nur erwartete und dann immer inständiger herbeigesehnte Gast vor dem Burgtor einfinden wollte.

„Hat dein Vater nicht von einem baldigen Besuch deines Onkels gesprochen", schnitt Konrad das Thema einmal an, als Vladanas Ungeduld besonders auffällig war.

„Ja", seufzte Vladana. „Das hat er. Aber unter bald verstehen wir etwas anderes als ihr Menschen. Das kann hundert Jahre dauern."

„Er wird vorher kommen. Ich will doch hoffen, dass er mich zu Lebzeiten sehen möchte", versuchte Konrad die Angelegenheit amüsiert zu nehmen.

„Das hoffe ich auch". Vladana teilte zwar die Hoffnung, nicht dagegen die Belustigung Konrads. „Wenn er nur schon da wäre. Mein Vater bezeichnete die Ungeduld der Menschen immer als ihren unangenehmsten Wesenszug. Ich habe nie wirklich verstanden, was er damit gemeint haben könnte. Jetzt weiß ich es. Man muß alles erst selbst erleben, um es wirklich zu verstehen."

Konrad griff diese Erfahrung auf. „Die Not gebiert die Klugheit", erweiterte er sie. „Dein Vater hat gut reden. Mangel macht die Dinge kostbar. Mich wundert nur, dass du mehr darunter zu leiden scheinst als ich, obwohl es mich betrifft."

Vladana fand das nicht so sonderbar.

„Es betrifft nicht nur dich, es betrifft auch mich", widersprach sie. „Vielleicht sogar noch mehr als dich. Bin ich nicht deine Frau? Liebe ich dich nicht? Was werde ich beginnen, wenn du einmal nicht mehr sein solltest? Was wird aus unserem Traum? Was wird aus unsrem großen Ziel? Hast du das etwa schon vergessen?"

Konrad ließ sich durch Vladanas Kummer nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Das vergebliche Warten auf den Onkel belastete Nerven und Wohlbefinden bei ihm lange nicht so wie bei seiner Frau. Er vermisste nichts. Sein Leben kam ihm nicht unausgefüllt vor. Er machte weite Ausritte und erkundete das Land. Oft ging er auf die Pirsch, stellte Bären und Luchsen, Auerochsen oder Wildschweinen nach, oder er versuchte mit Angel und Haken die Forellen der Berggewässer zu überlisten. Es gab auch in der Burg, drunten im Tal und überhaupt auch sonst genug zu tun. Und oft blieb er einfach bei seiner zauberischen Frau, vergaß an ihrer Seite Vergangenheit und Zukunft und ward auf diese Weise frei von allen Beklemmungen der Vergänglichkeit. Was wollte er noch? Das Ausbleiben des Onkels beunruhigte ihn nicht übermäßig.

Dafür tauchten die ersten Siedler auf: Jäger und Köhler, Bauern und Hirten. Sie erbaten sich von Konrad die Gnade, siedeln zu dürfen, und kolonisierten das Land. Der Wald wurde gerodet, die freigelegte Erde unter den Pflug genommen. Hütten und Höfe verwandelten die Landschaft. Bald kauerten mehrere Blockhäuser und Siedlerkaten unterhalb der Burg im Talgrund; ein Dorf spross heran, nicht umfangreich, aber doch der Anfang eines Gemeinwesens. Konradsgrün nannten die Zuwanderer den Flecken, dem Herrn der Gegend zu Ehren. Konrad vernahm es mit Stolz. Er hatte allen Grund, zufrieden zu sein.

Onkel Wodnik meldete sich im siebten Jahr des Wartens. Es war eben der Tag, an welchem Vladana des Morgens mit prüfendem Blick ihren Gatten unerwartet festhielt, ihn einen Augenblick um Stillstehen bat, sein Haupt zu ihren Augen niederzog und ihm mit kurzem Ruck und einem ebensolchen Wort des Unwillens ein Haar ausriss.

„Da! Dein erstes grauen Haar!" kommentierte Vladana das Herausgerissene und hielt es Konrad wie einen Vorwurf vor. „Weg damit!" fügte sie energisch hinzu. „Sonst färbt es die anderen Haare mit!"

Konrad ließ sich von diesem ersten Nebelstreif des Alters nicht beeindrucken. Er würdigte den silbrigen Faden zwischen Vladanas Fingern nur eines kurzen Blicks.

"Älterwerden ist nun mal unser Schicksal", meinte er lakonisch dazu und entzog, indem er sich abwendete, dem Thema sein Interesse.

„Du darfst nicht älter werden", beharrte Vladana verbissen, und Ungeduld und Sorge verschatteten ihre Miene. „Die Zeit darf uns nicht trennen. Wenn nur der Onkel schon da wäre. Langsam beginne ich den Saumseligen zu hassen!"

Konrad versuchte den Ärger seiner Frau zu dämpfen. „Du tust deinem Onkel unrecht, Vladana. Mach dich nicht verrückt. Niemand kann etwas gegen Alter und Tod ausrichten; niemand kann sie abwehren. Auch dein Onkel nicht, ob er nun früher oder später in unser Haus tritt. Du musst dich damit abfinden."

„Nein", antwortete Vladana trotzig. „Das werde ich nicht. Onkel Wodnik wird einen Ausweg finden. Dessen bin ich sicher. Wir haben noch eine Aufgabe vor uns. Vergiss das nicht."

„Immer der Traum!" wehrte Konrad unwillig ab. „Manchmal bilde ich mir schon ein, nicht ich, sondern du hast ihn geträumt. Warum vergisst du ihn nicht einfach. Wir schleppen ihn wie einenStein mit uns herum. Er belastet uns nur. Mir wird das zu schwer. Dabei sollten wir zufrieden sein. Sind wir nicht glücklich hier? Haben wir nicht alles, was wir brauchen? Wir lieben uns, was wollen wir mehr! Mein Traum sagte, ich würde die Welt erobern. Na schön! Aber was meinte er mit: Welt? Ist die Welt des Mannes nicht seine Frau? Der Traum hat mich zu dir gewiesen und ich habe den Weg über das Gebirge gefunden. Damit hat sich der Traum erfüllt. So sehe ich das."

„Ich sehe das nicht so". Vladana schüttelte energisch den Kopf. „Nein, Konrad! glaube mir, die Welt des Mannes darf sich nicht am Suppentopf und im Schlafgemach seiner Frau erschöpfen. Du siehst das zu begrenzt. Ich weiß, daß du zu Höherem berufen bist. Die Aufgabe der Frau ist es, dem Mann zu helfen, sich treu zu bleiben. Du musst dir treu bleiben, schon um meinetwillen. Denn das ist Teil unserer Liebe. Jeder Mann trägt ein Versprechen in sich, das muss erfüllt werden. Auch deswegen wird er geliebt."

Als Konrad am Abend des gleichen Tages von einem Ausritt zurückkehrte, kauerte vor dem Burgtor ein noch nie gesehener, fremdartiger Wandersmann, von einem ungeheueren Schlapphut wie von einem Schutzschirm bedeckt und halb versteckt. Er hielt eine krummgebogene Nadel in der Hand, in die ein langer dünngeschnittener Lederpfriem eingefädelt war, und nähte hingegeben und versunken einen Schuh zusammen. Diese Tätigkeit begleitete er, unbekümmert summend, mit einer Melodie, deren Harmonie mehr an Froschgequake als an ein Lied denken ließ.

Konrad dirigierte sein Pferd dich an den in seine Arbeit vertieften, offenbar vergnügten Fremden heran, um ihn in Augenschein zu nehmen und ihn nach Kommen und Gehen zu befragen.

„Wer bist du und woher kommst du"? sprach er den Fremdling mit einfachen Worten an. „Was willst du hier?"

Der Fremde stockte augenblicklich in Lied und Näherei, hob ein breites, grüngraues Froschgesicht unter dem Schlapphut empor und richtete den Blick mit einem so ungenierten Ausdruck spaßvogelhafter Respektlosigkeit, hintergründiger Würde und zugleich auch pfiffigem Wohlwollen auf Konrad, dass er wohl jeden, der mit mehr als nur seinen Hinterbacken auf hohem Roß gesessen hätte, von diesem augenblicklich heruntergeholt hätte.

„Ich bin auf der Durchreise", sagte der Fremde mit schnarrender Stimme, und ein langsames, freundliches Grinsen zog den breiten Mund von einem Ohr bis zum anderen. „Ich suche eine Bleibe für die Nacht. Du hättest wohl nicht ein Plätzchen frei für einen ermüdeten Wandersmann?"

Der Fremde zeigte keine Hemmung, Konrad zu duzen, und machte auch keine Anstalten, die Bequemlichkeit seines Sitzplatzes mit der stehenden Höflichkeit eines Bittstellers zu vertauschen.

Konrad überging die Nonchalance des Unbekannten. „Wenn´s weiter nichts ist", antwortete er großzügig. „Du scheinst mir ein lustiger Vogel, und Spaß ist wie der Honig im Brei. So lange du mir nicht das Dach über dem Kopf anzündest, kannst du bleiben, so lange es dir gefällt."

„Puh, Feuer!" schüttelte sich der Fremde und krümmte sich weg, als fühle er sich unmittelbar einer sengenden Flamme ausgesetzt. „Wie schrecklich! Rede mir nicht vom Feuer! Das ist das Grässlichste, was es gibt. Nein, nein! Das Dach werde ich dir nicht über dem Kopf anstecken. Feuer in meiner Hand! Pfff! Mich schaudert beim bloßen Gedanken daran. Bei mir brauchst du eher Wasserbottich und Wischlappen. Es kann dir passieren, daß ein ganzer Bach deine Treppe herunterplätschert."

„Wenigstens würde die Treppe gewaschen", versuchte Konrad dieser nassen Ankündigung eine scherzhafte Seite abzugewinnen.

Der Frosch nickte, schon wieder vergnügt.

„Jaja! Das gewiss! Saubermachen, das kann ich!"

Der Eifer trieb ihn hoch, als beabsichtige er, seine reinigenden Kräfte schon gleich hier, vor dem Burgtor, unter Beweis zu stellen.

Doch dazu kam es nicht mehr, denn in diesem Augenblick schlug das Burgtor heftig auf und Vladana, kaum bekleidet, so sehr schien sie von Eile und Freude getrieben, flog heraus, zu dem Fremden hin und ihm um den Hals.

„Onkel Wodnik", jubelte sie, umhalste den Fremden, drückte und presste ihn atemlos an sich und küsste ihn ab. „Dass du endlich da bist! Wo treibst du dich so lange herum?"

In das Gesicht des Frosches zog beim Anblick der Herausstürmenden ein strahlendes Lächeln. Aus seinen wasserblauen Kulleraugen drängte die Freude wie aus Quelltöpfen hervor. Er erwiderte die Umarmung Vladanas mit der gleichen Inbrunst, küsste und herzte die Nichte. Die beiden hüpften in einer ausgelassenen Polka herum, wobei Konrad vor allem die übermäßig breiten Platschfüße des Onkels auffielen. Er kam aus dem Staunen nicht heraus.

„Da bin ich also wieder einmal, meine liebste Vladana", quarrte der Onkel in den zartesten Ouaktönen, deren sein dicker Hals fähig war. „Wie wunderbar, dich wieder einmal im Arm zu halten. Der Wert von etwas Vermisstem wird einem manchmal erst dann klar, wenn man es wiederfindet. Ist es nicht so?"

„Na, so sehr heiß scheinst du dich aber nicht nach meinem Anblick gesehnt zu haben", hielt Vladana scherzhaft skeptisch dem Onkel vor.

Dieser zeigte sich überrascht. „Aber, meine Beste, wieso?" Bin ich zu lange weggeblieben? Ich bin doch schon wieder da. Die paar Jahre! Deinen Vater sehe ich manchmal länger als hundert Jahre nicht. Das ist nichts Besonderes. Außerdem denke ich mir: So ein breiter Frosch wie ich darf seiner hübschen Nichte nicht immer wieder zur Last fallen".

„Mein Mann ist ein Mensch", erklärte Vladana kurz, und Ernst überschattete ihre Wiedersehensfreude wie eine Wolke die Sonne.

„Ich weiß", erwiderte Onkel Wodnik mit einem Seitenblick auf Konrad.

„Heute morgen habe ich ihm das erste graue Haar ausgezupft".

Der Vorwurfston in Vladanas Stimme war unüberhörbar.

„Hm!"

Es war, als beschatte die Wolke in Vladanas Miene plötzlich auch Onkel Wodniks Gesicht.

„Ich kam, so schnell ich konnte", beteuerte er. „Unsere Zeit ist eben eine andere als die der Menschen. Das weißt du selbst, liebe Nichte. Ich habe erst bei Ahira von deiner Heirat erfahren. Und sofort bin ich hergeeilt. Habe alles liegen und stehen lassen."

Onkel Wodnik trat von einem Fuß auf den anderen, als müsse er befürchten, dass ihm etwas Schweres darauf gestellt werde.

Doch auf Vladanas Miene begann sich die Wolke des Unmuts wieder zu heben. „Du alter Vagabund", meinte sie etwas freundlicher. „Da hat man einen Onkel, und wenn man ihn einmal braucht, dann ist er nicht da. Ich war schon fast zornig auf dich! Kannst du dir das vorstellen?"

„Bei euch Frauen ist vieles möglich", sinnierte der Onkel gutmütig. „Oh, oh, oh! Da kann man etwas mitmachen".

Von seinem Gesicht zog der Schatten ebenfalls weg, und der breite Lichtschein der ersten Wiedersehensfreude kehrte darauf zurück. Sein Mund spannte sich erneut wie eine Mondsichel von Ohr zu Ohr.

„Weißt du, liebe Nichte, du bist immer noch das schönste Mädchen, das mir je begegnet ist. Dazu bist du meine Nichte. Jedes Mal, wenn ich dich wiedersehe, kommst du mir noch hübscher vor als bei der letzten Begegnung."

Onkel Wodnik rollte seine Kulleraugen bei diesen Worten so lebhaft hin und her, als sei Schönheit etwas Heißes, das es zu kühlen gelte.

Vladana musste lächeln.

„Dir kann man nicht böse sein, Onkelchen. Jedenfalls nie sehr lange." Sie hakte ihn versöhnlich unter."Trotzdem hätte ich Lust, dich an den Ohren zu ziehen."

„Was sollte ich da erst mit deinen Ohren anfangen", spann der Onkel diesen Faden auf seiner eigenen Spindel weiter. „Zu heiraten, ohne mich um Erlaubnis zu fragen - mich, den Lieblingsonkel. Wenn das kein Grund wäre, die Ohren einer bestimmten Person auf ihre Dehnbarkeit zu prüfen...!"

„Ja schimpfe nur, Onkel. Du hast recht. Ich sehe es ein, ich hatte keinen Grund, böse auf dich zu sein". Sie schlug sich den gestreckten Zeigefinger auf den Mund, als wolle sie diesen endgültig gegen voreilige und ungerechte Launen und Äußerungen versiegeln. „Ich werde nichts mehr sagen. Ich war eben schon so ungeduldig."

„Jetzt aber zu deinem Mann", forderte Onkel Wodnik entschieden, mit einem freundlichen Blick auf Konrad.

Dieser war inzwischen von seinem Pferd gesprungen, hatte in der Wiedersehensszene aber bisher keinen Part gefunden und stand überflüssig dabei, den Zügel wie ein Alibi in der Hand.

„Du hast dich also für einen Menschen entschieden", stellte Onkel Wodnik sachlich fest. „Alle Achtung! Soviel Mut hätte ich nicht gehabt."

„Was heißt hier Mut, Onkelchen!" berichtigte Vladana. „Du sprichst von Liebe."

„Ja so", verbesserte sich der Onkel. „Trotzdem".

Vladana führte die beiden Männer, die sich zwar schon kennengelernt hatten, aber noch nicht kannten, aufeinander zu. Anders als bei Vladanas Vater, dem Fürsten Ahira, hatte sich im Betragen des Onkels hierarchisches Bewusstsein nicht zu Majestät und Würde verfestigt. Das machte es einfach, aufeinander zuzutreten, sich herzlich zu begrüßen und zu umarmen. Die heitere, weltläufige Art des Onkels ließ nicht den geringsten Anflug von Verlegenheit zu. Man nahm sich noch einmal kurz in Augenschein, wechselte ein paar leichte Worte der Anerkennung und Freude und trat danach unter Scherzreden und heiterem Geplauder in die Burg ein, als sei man schon seit langer Zeit miteinander vertraut.

Onkel Wodnik, von langer Reise, vor allem in der Sommersonne ermüdet, wünschte sich zu erfrischen. Er hatte Verlangen nach einem Bad. Den großen Holzzuber, den man ihm, mit bergfrischem Wasser bis zum Rand gefüllt, vorbereitete, verschmähte er allerdings. Stattdessen tauchte er platschend und schnalzend in den Hausteich hinter der Burg. Dort tummelte er sich fast den ganzen Rest des Tages, fuhr rauschend durch das Schilf, prustete zwischen Seerosen und Wassergrütze, scheuchte die Enten und Wasserflöhe auf und wälzte sich vor Behagen wie ein Fisch, der von einer Verirrung auf Land glücklich den Weg in sein eigentliches Element zurückgefunden hat.

Am Abend fand man wieder zusammen. Ein lebhafter Nachrichten- und Meinungsmarkt wurde veranstaltet. Der Gang der Welt wurde tiefsinnig betrachtet, Verwandtschaftliches wurde gründlich durchgehechelt, Lustiges und Trauriges, Wichtiges und Unwichtiges hervorgekramt. Dazwischen immer wieder Scherze und Gelächter. Schließlich brachte Vladana das Gespräch auf den Punkt ihrer siebenjährigen Ungeduld. Sie lenkte die Rede auf die Geschichte ihrer jungen Ehe, begann mit Konrads gefahrvollem Weg über das Gebirge und seinem Kampf mit Rubecol und sprach endlich von ihrer herrlichen Liebe. Sie beschrieb den Besuch bei ihrem Vater und schilderte das immer ungeduldigere Warten auf das Erscheinen des Onkels. Schließlich, vom Onkel nach der Quintessenz der Erzählung befragt, kam sie auf Konads Dreinächtetraum und dessen Prophezeiung der Weltherrschaft zu sprechen.

Onkel Wodnik wiegte zu alledem bedächtig das Haupt und zwirbelte sich grüblerisch die langen Haare.

„Und was soll ich in diesem ganzen Geflecht von Abenteuer und Erwartung", erkundigte er sich abschließend, nachdem Vladana geendet hatte und erwartungsvoll die Augen auf ihn richtete.

Vladana zögerte mit der Antwort keinen Augenblick.

„Helfen!" war ihre einfache Antwort.

In des Onkels Miene stieg Skepsis auf wie Nebel aus einer abendlichen Herbstwiese.

„Das sagt sich so einfach: helfen!" meinte er nach ein paar weiteren Augenblicken zurückhaltenden Schweigens.

„Wer sonst, wenn nicht du, Onkel, kann uns helfen!" drang Vladana in ihren Verwandten. „Mein Vater hat uns ausdrücklich auf dich verwiesen. Du kennst die Welt wie kein anderer. Worauf, glaubst du, warten wir so lange?"

Onkel Wodnik machte eine Handbewegung der Ratlosigkeit.

„Das passt zu Ahira", knarrte er dazu, und es war das erste Mal, dass eine Andeutung von Ärgerlichkeit bei ihm spürbar wurde. „Wenn das Abwälzen schwieriger Aufgaben das Zeichen fürstlicher Auserwähltheit darstellte, es gäbe nur einen, der zum Herrn der Welt berufen worden sein könnte - meinen lieben Bruder! Große Worte waren schon immer seine Stärke. Die unbequemen Arbeiten durften die anderen übernehmen."

„Heißt das, daß du uns nicht helfen willst", forschte Vladana, von der Äußerung ihres Onkels verunsichert, sofort nach. „Sind wir eine unbequeme Aufgabe für dich?"

„Nein, nein", verbesserte Onkel Wodnik ohne Zögern. „Das natürlich nicht. Zum Helfen bin ich ja gekommen. Nur - was heißt hier: helfen wollen, meine beste Nichte? Die Frage lautet: Kann ich helfen?"

Onkel Wodnik rollte seine Augen ziellos wie Kugeln in einer runden Schale.

„Selbstverständlich helfe ich euch, besonders wo es um dich und dein Glück geht. Aber ich fürchte, du erwartest zuviel von mir, und ich möchte euch nicht enttäuschen."

Onkel Wodnik fasste vorsichtig nach Vladanas Hand und streichelte sie mit einer zarten Bewegung.

„Besonders jetzt nicht", fügte er bedeutungsvoll an.

Vladana war gerührt.

„Weißt du, Onkel. Keinem Weg sieht man an, wo er endet. Aber wenn man nicht loszieht, wird man auch nicht ankommen."

„Das hast du fein gesagt, liebe Nichte. Gut so! Einen Kampf gibt man erst dann auf, wenn man ihn verloren hat. Aber meine Erfahrung sagt mir doch, dass ihr nach den Sternen greift. Die sind unerreichbar. Dafür sind unsere Arme zu kurz."

„Weswegen hältst du die Sterne für unerreichbar?" Vladana gab sich mit der Skepsis ihres Onkels nicht zufrieden. „Heißt es nicht: Wo ein Wille ist, findet sich auch ein Weg? Und die vielgerühmte Erfahrung der Alten? Was ist sie anderes als das Eingeständnis von Bequemlichkeit und Kleinmut."

„Na, na, liebe Vladana! Nicht so forsch!" hielt der Onkel dagegen. „Ich bin mir nicht so sicher, ob ich dir da so ganz ohne Widerspruch recht geben kann. Übertreibst du nicht ein bisschen? Ich gebe zu, aus fremden Erfahrungen zu lernen, das ist eines der schwersten Dinge der Welt. Kenntnisse kann man weitergeben, Erfahrungen kaum. Manchmal will es mir scheinen,wenn ich so den Gang der Welt betrachte, dass nichts so verbissen beansprucht wird wie das Recht auf das eigene Unglück. Aber trotzdem meine ich: Vorsicht ist kein Vorrecht des Alters, sondern eines der Klugheit. Und klug kann man auch in der Jugend sein."

„Also, was rätst du uns?" versuchte Vladana ihr Anliegen durch die sich wie gefährliche Meeresklippen plötzlich auftürmenden Weisheiten ihres Onkels geradewegs und tollkühn hindurch-zusteuern.

Aber der Onkel tat sich mit seiner Meinung schwer. Es war ihm unangenehm, sich festzulegen.

„Weißt du, liebe Nichte", fuhr er in seinen vorigen Überlegungen fort, „mit Ratschlägen hat das so seine eigene Bewandtnis. Je eindeutiger ein Ratschlag sein soll, desto schwerer kann man ihn erteilen. Denn die Dinge liegen meist nicht so einfach, als dass man sie einfach beurteilen könnte. Im Grund kann man immer nur für sich selbst Entscheidungen treffen, nicht für seinen Nächsten. Das macht es mir schwer, auf deine klare Frage eine klare Antwort zu geben. Ich will es trotzdem versuchen. Ich für meine Person hätte den Blick nicht zu den Sternen erhoben, ich hätte ihn auf den Boden unter meinen Füßen gerichtet. Denn was heißt schon, die Herrschaft über die Welt sei deinem Mann vorhergesagt? Bedenke, die Lebenszeit deines Gemahls ist begrenzt. Wie schnell ist sie vertan! Warum genießt ihr nicht das, was euch sicher gegeben ist, und seid glücklich? Ihr werdet euere Kraft an ein Ziel verschwenden, das nicht zu erreichen ist. Ihr werdet die Zeit eueres Glücks vergeudet haben, und es wird nur Enttäuschung übrigbleiben. Deshalb, wenn du meinen Rat wirklich wissen willst - und nimm mir das nicht übel, liebe Vladana - beschränkt euch auf das, was ihr habt und greifen könnt, und von dem anderen lasst die Finger."

Während in Konrads Miene unübersehbar Zustimmung zu diesen bedachtsam vorgetragenen Worten Onkel Wodniks abzulesen war, zeigte sich im Gesicht Vladanas deutlich Unbehagen und Unzufriedenheit. Die Weisheit seiner Worte beeindruckte sie wenig und sie hatte Mühe, an sich zu halten. Kaum hatte der Onkel geendet, fuhr sie hoch.

„Die Träume, Onkel Wodnik! Was ist mit den Träumen? Du kannst doch nicht so tun, als seien sie nicht geträumt worden!"

„Wer nach Träumen greift, greift ins Leere", kommentierte der Onkel diesen Einwurf lakonisch.

„Onkel Wodnik hat recht, Vladana", mischte sich nun auch Konrad in das Gespräch. „Ich habe es dir schon öfter erklärt, dass ich den Sinn meiner Träume auf dich beziehe. Die Erfüllung meiner Träume bist du. Ich bin zufrieden damit, ich will nicht mehr. Wie ich meine Träume früher beurteilte - welche Rolle spielt das noch! Ich bin zufrieden und du solltest es endlich auch sein."

Doch die Feststellung des Onkels und der Appell Konrads waren Vladana zu wenig. Das sagte sie deutlich.

„Nein, Konrad! Ich bin nicht zufrieden. Der Traum war kein Hinweis auf mich. Eine kleine Wassernixe mit der ganzen Welt gleichzusetzen, das mag für mich schmeichelhaft sein, ist aber nicht glaubwürdig. Ich bin dagegen, dass du meine Zeit ganz bei mir hier in den finsteren Wäldern verhockst. Das kann nicht gutgehen. Du darfst deiner Bestimmung nicht ausweichen. Und merke dir, deine Bestimmung ist auch die meinige."

Um die Lippen Onkel Wodniks wehte, als er dies vernahm, der Anflug eines Lächelns. Doch bevor er sich zu dem eben Gehörten äußern konnte, hatte bereits Konrad wieder das Wort ergriffen.

„Ich verhocke mich nicht bei dir, Vladana", wies er mit nachsichtigem, nichtsdestoweniger nachdrücklichem Ton zurecht. „Jeder Tag, jede Stunde mit dir ist eine Gabe, wie sie wertvoller mir niemand machen könnte. Ich habe mein Herz nun einmal dir geschenkt, und du solltest wissen, ein zweites Herz besitze ich nicht".

„Oh, du mein geliebter Konrad!" beantwortete Vladana dieses schöne Geständnis, und Liebe vertrieb alle Unzufriedenheit aus ihrer Stimme. „Ich muss dich jetzt umarmen! Komm!"

Sie sprang von ihrem Sitz hoch, eilte zu ihrem Gemahl, umarmte und küßte ihn innig.

„Wie schön du das gesagt hast!"

Onkel Wodnik nickte gerührt. „Jaja, die Liebe! Die Liebe!"

Und verstohlen schnell rieb er sich mit dem Daumenballen die Augen, als habe dort die Liebe die Wirkung eines Staubkorns.

„Kinder! Je mehr man das Glück erzwingen will, desto eher erzwingt man das Unglück. Vielleicht versteht ihr jetzt, was ich vorhin meinte. Genießt, was ihr habt. Bleibt beieinander. Warum wollt ihr euer Glück fragwürdiger Träume wegen auf´s Spiel setzen."

Doch des Onkels väterlich wiederholte Empfehlung verfehlte nicht nur ganz und gar die wohlgemeinte Wirkung, sie verkehrte sie geradezu in ihr Gegenteil. Statt in Vladana Nachgiebigkeit und Vernunft endgültig zum Durchbruch zu verhelfen, weckte sie in ihr erneut und so entschieden wie zuvor den Ehrgeiz. Vladana hob, noch ehe der Onkel seine Rede beendet hatte, ihr Gesicht von Konrad weg und wandte es Wodnik zu.

„Wer redet denn davon, dass wir nicht beieinander bleiben wollen", fragte sie verwundert. „Wie kommst du darauf, Onkelchen? Dass wir uns lieben, das heißt doch nicht, dass wir nichts Anderes vorhaben, als nur jeden Tag beieinanderzuliegen. Nein, nein! Ich sehe in Konrads Träumen keine Gefahr für unsere Liebe. Wir werden immer genug Zeit füreinander finden. Da kann geschehen, was will. Hab ich nicht recht, Liebster?"

Was blieb Konrad anderes übrig, als der selbstsicheren Ansicht seiner Gattin zuzustimmen.

Onkel Wodnik resignierte seufzend.

„Dann sag mir jetzt, Vladana: Wie stellst du dir meine Hilfe vor? Was soll ich tun?"

„Wenn ich das wüsste, lieber Onkel", meinte sie, freudiger gestimmt, „hätten wir nicht sieben Jahre auf dein Kommen gewartet."

Onkel Wodnik rieb sich grübelnd das Kinn.

„Da gibt es nur eines. Wir müssen in den Kessel gucken."

Was es mit diesem seltsamen Vorschlag auf sich hatte, verschwieg der Onkel. Selbst die eindringlichsten Bitten um Erläuterung beschied er abschlägig. Es blieb Vladana nichts Anderes übrig, als sich weiter in Geduld zu üben und abzuwarten.

Konradsgrün

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