Читать книгу Blume des Bösen - Gerd-Rainer Prothmann - Страница 11

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Sie blickte ihn etwas mitleidig an. Seine Kenntnis politischer Verhältnisse schien noch genauso unterentwickelt zu sein wie in Chile. Dennoch musste Laura sich eingestehen, sich wirklich über das Wiedersehen mit Mario zu freuen.

»Dann bist du also als Geschäftsmann nach Berlin gekommen?

Nein, erst als Asylbewerber.«

Laura ließ sich nicht anmerken, wie absurd diese Vorstellung für sie war: Mario als politischer Flüchtling.

»Politisches Asyl«, sagte sie mehr als bestätigende Feststellung für sich, nicht als Frage.

»Ja«, antwortete Mario knapp und bestimmt, »ich bin bereits anerkannt und kann an der Technischen Universität weiterstudieren.«

»Und wie schaffst du das mit deinem Lokal?«, wollte Laura wissen.

»Das mache ich zusammen mit meiner italienischen Familie«, erwiderte er verschmitzt, ohne seinen prüfenden Blick von ihr zu wenden.

Auf der Bühne hatte der Bassist begonnen, seinen Bass nachzustimmen. Laura drehte sich um und sah, dass der Rest der Band bereit war, weiterzuspielen.

»So, ich muss weitermachen«, sagte sie, während sie ihm zuwinkend zur Bühne zurückging.

Auch wenn sie sich über sein Auftauchen gefreut hatte, wäre es unsinnig gewesen, nach allem was in der Zwischenzeit passiert war, dort wieder anzuknüpfen, wo beide den Faden damals einfach durchgeschnitten hatten.

Sie wollte das nicht. Obwohl sie nur gute Erinnerungen an die Zeit mit Mario hatte.


*

Ahora bien, si a poco dejas de quererme, dejaré de quererte poco a poco. Si de pronto me olvidas, no me busques, que ya te habié olvidado.

(Nun aber, wenn du allmählich aufhörst, mich zu lieben, werde ich aufhören, dich zu lieben, allmählich. Wenn du auf einmal mich vergisst, suche nicht nach mir, denn ich werde dich schon vergessen haben.)

Diese Zeilen von Pablo Neruda fielen ihr ein, als sie zur Bühne zurückging.

Sie liebte den Absolutheitsanspruch und die brutale Konsequenz, die darin steckten.

Das Schicksal ihrer Großmutter muss diese Neigung zur Radikalität gefördert haben.

Der Großvater hatte sie zehn Jahre vor der kubanischen Revolution verlassen und sich in die Vereinigten Staaten abgesetzt.

Sie hatte sich und die sechs Kinder alleine durchbringen müssen und war von Tabakernte zu Zuckerrohrernte als Wanderfamilie über die Insel gezogen.

Doch nie hatte sich Mama Esmeralda vor ihrer Enkelin beklagt und nie hatte sie sich wieder mit einem Mann eingelassen.

Das hat Laura schon als kleines Mädchen imponiert.

Über den Großvater hatte Laura von ihrer Großmutter dennoch kein böses Wort gehört. Er hatte Mama Esmeralda verlassen und sie hatte ihn konsequent vergessen. Der Comandante wurde der einzige Mann, den sie nach der Revolution kritiklos verehrte. Durch ihn wären die Schwarzen erst zu vollwertigen Menschen geworden.

Als sie wieder auf der Bühne des Jazzkellers war, ärgerte sie sich über das beginnende Bröckeln ihrer Konsequenz, das auch Mario bemerkt haben musste. Sie redete sich ein, es wäre nur Neugierde auf das Leben Marios nach ihrer Trennung. Aber sie wusste, dass sie sich selbst belog. Sie schaute unauffällig in Richtung seines Platzes. Er war noch da. Er hatte nichts von seiner Attraktion verloren.

Aber eine für sie unerklärliche Empfindung war dazu gekommen, eine Empfindung, für die Misstrauen schon ein viel zu starkes Wort war. Bei aller charmanten Wendigkeit steckte in Mario eine gnadenlose Energie. Eine Gefährlichkeit, die sie früher an ihm noch nicht bemerkt hatte. Aus dem schlagfertigen Studenten von damals war ein immer noch liebenswürdiger Mann geworden. Allerdings mit einer unbeirrbaren Zielstrebigkeit, die keinen Widerspruch dulden würde. Sie fühlte sich ihm gegenüber nicht mehr ebenbürtig.

Blume des Bösen

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