Читать книгу Blume des Bösen - Gerd-Rainer Prothmann - Страница 12

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Suche nicht nach mir, denn ich werde dich schon vergessen haben. Fast beschwörend hatte sich diese Zeile in ihrem Kopf festgesetzt. Beinahe hätte sie sie gesungen. Aber, sie würde sich am Schluss des Konzerts Marios Adresse und Telefonnummer geben lassen und sich mit ihm verabreden.

»Born To Lose«, sagte jemand hinter ihr. Es war die sanfte Stimme von Nelson, dem peruanischen Klarinettisten der Band. Sie schaute ihn an und versuchte, seinen starren schwarzen Augen abzulesen, ob er mit der Nennung dieses Titels irgendetwas andeuten wollte. Aber es gelang ihr nicht. So sang sie als Nächstes den alten Ray-Charles-Hit, dessen Text sehr wohl auch Nelsons Verlustängste ausdrücken könnte.

*

»Ein raffiniert ausgeklügeltes ästhetisches Konzept lässt leider jeden Ausdruck für Gefühle vermissen.

Damit reiht sich auch diese Aufführung teilweise in die Serie der scheiternden Produktionen der Freien Volksbühne ein. Wenn auch als die Interessanteste.«

Zufrieden schrieb Hans den letzten Satz seines Halbverisses über die Premiere von »Leonce und Lena« in seinem Bericht über die letzte Spielzeit an der Freien Volksbühne Berlin.

Er gehörte nicht zu den Kritikern, die Vergnügen an vernichtenden Formulierungen hatten, wie manche seiner Kollegen. Er kam auch bei Verrissen ohne Polemik aus. Vielleicht war auch nur sein nicht zu unterdrückendes Harmoniebedürfnis stärker ausgeprägt, als es für einen Kritiker zuträglich war. Zum Starkritiker würde er es so nicht bringen.

Er steckte sich eine Zigarette an und las seinen Text Korrektur. Als er damit fertig war und die Kritik zum Druck weitergegeben hatte, lehnte er sich in seinem Arbeitssessel zurück, schaute über die schmuddelige Potsdamer Straße und rauchte noch eine.

Er war ganz zufrieden mit sich. Wer hätte jemals vorausgesagt, dass der Sohn eines kleinen Verwaltungsangestellten aus einem Heidedorf ohne Kultureinrichtungen einmal zum respektierten Feuilletonredakteur einer Berliner Tageszeitung werden würde.

Seine Eltern verbanden mit Kultur gar nichts. Weder die ignorante Verachtung neureicher Banausen noch die geheuchelte Hochachtung gehobener Kleinbürger.

Sie hatten es einfach hingenommen, dass ihr Sohn Germanistik studieren wollte, nachdem er auf dem Gymnasium schon für die Schülerzeitung kleine Artikel geschrieben hatte.

Als er dann seinen Dr. phil. hatte, waren einige seiner Verwandten nicht von der Vorstellung abzubringen, er wäre nun Arzt für spezielle Krankheiten, aber seine Eltern waren dennoch stolz auf ihn, obwohl er kein Arzt war. Alles war so unglaublich glatt gelaufen, dass Hans sich die vielen Ausbrüche aus seiner Ehe vor sich selbst als Ausdruck einer unausgelebten Abenteuersehnsucht entschuldigte.

Als Kind war er manchmal im Herbst bei Nebel nachts heimlich aus dem Fenster seines Kinderzimmers gestiegen und war durch das völlig ausgestorbene Dorf gestreift. Er fand es aufregend, ohne zu wissen warum. Vielleicht waren das schon seine ersten Abenteuerversuche.

Als er auf der Internatsschule war, hatte ihn ein Mitschüler einmal zu Weihnachten zu sich nach Hause eingeladen. Das ganze Haus war dort voller Besucher. Jedes der drei Kinder hatte jemanden einquartiert. Hans war fasziniert von der Offenherzigkeit der Eltern, die locker und selbstverständlich mit dieser Situation umgingen.

Blume des Bösen

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