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Fußballwunder dank Lucien Favre

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Bis Lucien Favre die Mannschaft im Februar 2011 übernahm. Er formte innerhalb weniger Monate aus dem als sicher geltenden Abstiegskandidaten eine Mannschaft, die sich plötzlich auf Champions-League-Kurs befand! Borussia Mönchengladbach hatte – und an dieser Stelle ist das Wort ausnahmsweise wirklich angebracht – eine »sensationelle« Blitzheilung hingelegt. Und in diesem Fall gibt es keine Diskussionen, wer dafür verantwortlich ist.

Als Lucien Favre seinen Dienst bei den »Fohlen« antrat, war das Team komplett am Boden. Kein Selbstvertrauen, keine Hoffnung, keine Chance! Gladbach war die Schießbude der Liga, war mit 56 Gegentoren in 22 Spielen und dementsprechend mit gerade einmal 16 Punkten abgeschlagener Tabellenletzter, der realistischerweise für die 2. Liga plante. Vor allem deshalb hatte man den Schweizer geholt, weil er wenigstens mittelfristig auch nach dem erwarteten Abstieg eine Struktur in diese Mannschaft bringen sollte. Er hat es im Formel-1-Tempo geschafft. In den letzten zwölf Spielen der Saison 2010/11 unter Favre holte die Borussia 20 Punkte und schaffte schließlich den wohl von niemandem für möglich gehaltenen Klassenerhalt. Das war ein kleines Fußballwunder.


Wie einst in den Siebzigern: ein erfolgreicher Trainer und sein blonder Star (Lucien Favre und Marco Reus).

Was hat dieser Trainer, was manch anderer nicht hat? Es ist eine besondere Mixtur aus mehreren Zutaten, die ein Volltreffer für Mönchengladbach war. Da wären zum Beispiel zwei Qualitätsmerkmale, die ein wenig aus der Mode gekommen scheinen: Erfahrung und Können. Der Mann kann etwas, weil er es sich erarbeitet hat. Wie kaum ein anderer hat er das Trainergeschäft von der Pike auf gelernt, indem er sehr bewusst an der Basis angefangen hat als Assistenztrainer der C-Junioren. Dann führte er einen Amateurklub überraschend in die Nationalliga B in der Schweiz, danach einen weiteren Verein in die Nationalliga A, wurde später Pokalsieger mit Servette Genf und schließlich zweimal Meister mit dem FC Zürich. Eine kontinuierliche Entwicklung über Jahre. Dass Favre mit reichlich Fußballsachverstand ausgestattet ist, hatte er schon als Spieler gezeigt. Er galt als Techniker und intelligenter Spielmacher und wurde 1983 immerhin Schweizer »Fußballer des Jahres«.

Aber dass auch sein Durchhaltevermögen außergewöhnlich ist, hat Pierre Albert Chapuisat erfahren. Der Vater des ehemaligen Dortmunder Stürmers Stephane Chapuisat hatte in einem Schweizer Ligaspiel dem Gegenspieler Lucien Favre so übel in die Kniekehle getreten, dass dieser um die Fortsetzung seiner Karriere bangte. Obwohl der Schiedsrichter das Foul nicht geahndet hatte, wollte Favre das nicht auf sich beruhen lassen und zog vor ein Zivilgericht. Nach zwei langen Jahren wurde sein Kontrahent tatsächlich zu einer Geldstrafe wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Und der zu dem Zeitpunkt schon 33-Jährige schaffte sogar noch das Comeback als Fußballer. Eine Akribie und in positivem Sinne Besessenheit, mit der Favre jetzt die Gladbacher Spieler überzeugen konnte.

An »Taktik, Technik und Kondition« habe er als Erstes gearbeitet, sagt der Mann, der eben nicht marktschreierisch daherkommt und in der Szene fast schon erfrischend reduziert wirkt. Er hat der Mannschaft ein System gegeben. Zu allererst ein Defensivsystem: Immer wieder hat er seinen Spielern – und das sind fast genau dieselben wie vor seiner Amtszeit – geduldig klargemacht, dass Niederlagen nur zu verhindern sind, wenn alle zusammen verteidigen. Das versuchen viele Trainer dieser Welt, aber in Mönchengladbach haben sie es tatsächlich verstanden, und weil sie dadurch eine solche Sicherheit bekommen haben, erreichten die Borussen am Ende der Saison 2011/12 Tabellenplatz vier und damit die Qualifikationsspiele zur Champions League.

Favre hat mit klarer Vorstellung, viel Detailarbeit und seiner Unnachgiebigkeit so ziemlich alle Spieler besser gemacht. Juan Arango zum Beispiel, der immer noch nicht derjenige mit der größten Laufleistung war, aber auf einmal deutlich präsenter und frischer wirkte und nicht nur die genialen Torvorbereitungen initiierte, sondern laut Statistik manchmal sogar 100 Prozent seiner Zweikämpfe gewann. Oder Marco Reus! Ein Fußballer mit überragendem Potenzial, das er mehr und mehr ausschöpfte, weil er sich jetzt auch traute. Und nicht zu vergessen Torhüter ter Stegen. Mit 19 der jüngste Stammkeeper der Bundesliga. Erst Favre schenkte dem U17-Europameister von 2009 das Vertrauen. Das Ergebnis: Nur Bayerns Manuel Neuer musste in der Saison 2011/12 seltener hinter sich greifen.

Favre hat den Klub nicht nur vor dem dritten Abstieg bewahrt, er verwandelte die zwischenzeitlich zur grauen Maus mutierte Borussia in ein Spitzenteam, das an die goldenen Zeiten der siebziger Jahre erinnerte. Und nicht zu Unrecht zog die Presse nur allzu gern die Parallele zu den legendären »Fohlen«.

50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte

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