Читать книгу 50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte - Gerhard Delling - Страница 62

Cognac gegen die Nervosität

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Lattek wurde durch Dettmar Cramer ersetzt, für die Mannschaft so etwas wie ein Kulturschock. Denn der neue Mann war ein ausgesprochener Gentleman. Ein Stratege, der sich nicht nur praktische Gedanken über den Fußball machte, sondern fast schon philosophisch über dieses Spiel zu referieren wusste. Ich habe Anfang der neunziger Jahre selbst einmal in einem langen Gespräch anlässlich eines Porträts, das ich für unser geliebtes TV-Hintergrund-Magazin »Sport unter der Lupe« vom sogenannten Fußball-Professor anfertigte, eine persönliche »Vorlesung« in Sachen Entwicklung des Fußballs erhalten. Ein immens anregendes und interessantes Gespräch mit einem Mann, der sich kluge Gedanken über diesen Sport und das soziale Gefüge darum herum machte. Eine seiner Thesen ist mir bis heute haften geblieben, auch weil sie genau so eingetreten ist. »Sie werden sehen«, hatte Cramer mir gesagt, »heute sucht alle Welt Stürmer, und ein Verteidiger ist nichts wert. Aber in ein paar Jahren wird es wieder eine Weiterentwicklung und Gegenbewegung geben. Dann werden Verteidiger hoch im Kurs stehen, die taktisch so geschult sind, dass sie defensiv hervorragend funktionieren und doch zusätzlich die Offensive initiieren.« Ich frage mich heute, ob er damals schon die »revolutionäre« Viererkette im Kopf hatte? Man kann sich vorstellen, dass das seinerzeit viele gar nicht hören wollten. Aber so ist das mit der Wahrheit ja ganz oft. Cramer landete jedenfalls mit der Mannschaft wenigstens noch auf Platz zehn der Bundesliga, was Sepp Maier wie gewohnt mit dem ihm eigenen Humor nahm: »Wir verlieren halt öfter, damit uns die anderen wieder lieber haben.«

Grund zum Lachen hatten die Bayern dennoch am Ende der Saison – trotz Platz zehn in der Liga, der zweitschlechtesten Platzierung aller Zeiten. Denn im Pariser Stadion Parc des Princes verteidigten sie ihren Europapokaltitel durch ein allerdings glückliches 2:0 nach Toren von »Bulle« Roth und Gerd Müller gegen Leeds United.

Mit kaum verändertem Kader schaffte es der »Fußball-Professor«, sein Team auf Platz drei in der Bundesligasaison 1975/76 zu führen und zum dritten Mal in Folge ins Finale im Cup der Landesmeister. Einer der Neuen im Team war der junge Stürmer Karl-Heinz Rummenigge, der ausnahmsweise nicht aus Bayern, sondern aus dem westfälischen Lippstadt stammte. Rummenigge war vor dem Endspiel gegen den AS St. Etienne in Glasgow so nervös, dass ihm Cramer einen Cognac genehmigte. Rummenigge trank gleich deren zwei und machte ein Superspiel. Während der Youngster Lob von allen Seiten bekam, mäkelte die Presse am Rest der Mannschaft nach deren glanzlosem 1:0-Erfolg herum. Beckenbauer, so schrieb die »Times«, sei »über den Rasen gewandert wie ein Bouevardflanierer, der auf seinen Morgenaperitif wartet«. Andere Zeitungen behaupteten gar, die Bayern hätten sich den Titel »wie ein Dieb geangelt«, und nannten die Münchner »Fußballparasiten«.

Die Münchner ließ das kalt. Sie wähnten sich noch längst nicht am Ende ihrer Erfolgsserie, und Präsident Neudecker fürchtete gar, die Mannschaft werde »sich zu Tode siegen«. Aber dieses Mal irrten sie sich gewaltig. Die Bayern gewannen 1976 nach einem 2:0-Erfolg über Belo Horizonte zwar noch als erste deutsche Mannschaft den Weltpokal, doch auf den wichtigsten Titel in Europa mussten sie nach dem Triumph von Glasgow 25 Jahre warten – eine Ewigkeit.


PLATZIERUNGEN DES FC BAYERN 1966–2012


50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte

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