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Vom »Gewichtheber« zum »Bomber der Nation«

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Und so einen Torjäger wie Gerd Müller bekommt die Welt wahrscheinlich auch nicht wieder. Sogar Franz Beckenbauer sagte einmal: »Alles, was der FC Bayern geworden ist, all die Erfolge, verdankt er Gerd Müller.« Der war schon als junger Bursche ein erfolgreicher Vollstrecker, der in einer Saison unglaubliche 180 von 204 Toren seiner Mannschaft erzielt hatte. Als er im Alter von 18 Jahren zu den Bayern wechselte, fragte Trainer Čajkovski: »Was soll ich mit einem Gewichtheber?«

Doch Müller strafte alle seine Kritiker Lügen: Mit 365 Bundesligatoren in 427 Spielen stellte er einen Rekord für die Ewigkeit auf, er schoss das entscheidende 2:1 im WM-Finale 1974, er wurde Torschützenkönig bei der WM 1970 mit zehn Treffern und war an allen Erfolgen der Bayern in den siebziger Jahren maßgeblich beteiligt. Er machte seine Tore im Fallen, er machte sie mit dem Fuß, dem Kopf oder, wenn es sein musste, auch mit dem Hinterteil. Liebend gern auch nach Doppelpässen mit Franz Beckenbauer. Nur von außerhalb des Strafraums »müllerte« es ganz selten.

Sinnigerweise wollte bei unseren Spielen auf der Straße kaum einer Gerd Müller sein. Denn so richtig war bei ihm kein besonderer Stil zu erkennen, den man hätte imitieren können. Der Mann war einfach immer nur genau da, wo Torgefahr in der Luft lag, und machte meistens intuitiv die richtige Bewegung, die dann zum Erfolg führte. Typisch für ihn der Treffer im WM Finale 1974 gegen die Niederländer, als er nicht die halbwegs freie Schussbahn auf das kurze Eck suchte, sondern sich blitzschnell noch ein wenig mehr herumdrehte und den Ball seinem Gegenspieler durch die Beine schob, um nahezu unmöglich in der langen Ecke zum Erfolg zu kommen. Gerd Müller war einfach unverwechselbar und nicht zu kopieren. Und auch wenn Miroslav Klose die 68 Länderspieltore des »Bombers der Nation« noch einholen sollte, darf man dabei nicht vergessen, dass Müller dies in nur 62 Spielen schaffte.

Man kann das Zitat von Franz Beckenbauer allerdings auch umdrehen. Alles, was Gerd Müller geworden ist, verdankt er auch dem FC Bayern. Nach der Karriere war der einstige Superstar gestrauchelt, wusste nichts mit sich und seinem Leben anzufangen und begann zu trinken. Aber auch in solchen Situationen zeigt sich der FC Bayern nicht nur als großer Klub, sondern fast schon als Familie. Vor allem Beckenbauer und Hoeneß kümmerten sich nun um ihren Freund und Ex-Kollegen, organisierten eine Entziehungskur und boten Müller danach einen Posten in der Jugendabteilung des Klubs an. Müller kam wieder auf die Beine und sagte später dankbar: »Wenn ich damals keinen Job bekommen hätte, wäre die ganze Scheiße wieder von vorne losgegangen. Allein hätte ich das nicht geschafft.«

Dass der FC Bayern Gerd Müller in dessen schwerster Lebenskrise auffing, ist nur ein Beispiel von vielen, die deutlich machen, dass das Unternehmen Bayern trotz seiner Millionenumsätze auch ein Sportverein mit menschlichem Antlitz geblieben ist. Das Credo »Mia san mia« beschreibt einerseits das Selbstbewusstsein des Welt-Klubs, aber es drückt gleichzeitig die Heimatverbundenheit aus – und belegt, dass es sie wirklich gibt, die viel zitierte Bayern-Familie.


Der »Bomber der Nation« in typischer Schusshaltung. Hier erzielt der junge Gerd Müller gegen den 1. FC Kaiserslautern eines von fünf Bayern-Toren – beim Heimspiel der Saison 1966/67, noch im alten Münchner Stadion an der Grünwalder Straße.

50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte

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