Читать книгу 50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte - Gerhard Delling - Страница 51
Das war Verrat am Sport
ОглавлениеEs war wohl eine Mischung aus Unverfrorenheit und Naivität, die die Spieler dazu gebracht hatte, jeglichen Anstand und alle Fairness abzulegen wie ein dreckiges Leibchen nach einem Trainingsspiel. Sicherlich hat es einige mit einer gehörigen Portion krimineller Energie gegeben. Andere schätzten die Angelegenheit falsch ein, sahen die Betrügereien eher als eine Art Kavaliersdelikt. Sie freuten sich über ein paar Mark mehr, die sie am liebsten im Kreis der Mannschaft auf den Kopf hauten. Wieder andere hatten Bedenken, trauten sich aber nicht gegenüber den Kameraden aufzumucken. Sie waren Mitläufer – aber damit eben auch Mittäter. Und um das unmissverständlich klarzustellen: Das, was damals passiert ist, war nicht nur kriminell, sondern in der Wirkung mindestens genauso schlimm: Verrat am Sport!
Anfang Mai 1971 hatte Canellas erstmals seinen Verdacht auch gegenüber dem DFB geäußert. Der Verband unterstellte ihm Verfolgungswahn und forderte hieb- und stichfeste Beweise. Und die lieferte der Offenbacher Präsident an ebenjenem 6. Juni 1971. Mit seinen Aufzeichnungen hat er eine ganze Lawine ins Rollen gebracht, und so tat man sich auf offizieller Seite schwer mit der Entscheidung, wie man mit dem erschütternden Wissen nun umgehen solle. Zunächst hieß es, es läge »kein Fall Bundesliga, sondern ein Fall in der Bundesliga vor«. Aber als Canellas unter Mithilfe der »Bild«-Zeitung immer mehr Sünder ans Tageslicht zerrte, setzte der Verband schließlich einen Kontrollausschuss ein. Hans Kindermann, im Hauptberuf Richter am Stuttgarter Landgericht, wurde als Vorsitzender bestimmt und war als »Chefankläger« bald jedem Fußballfan – und vor allen den verdächtigten Profis – ein Begriff.
Arme Sünder auf der Anklagebank (v.l.): die Schalker Lütkebohmert, Fichtel, Wittkamp, Libuda, Rüßmann und Fischer.
Sieben Wochen nach Canellas’ berühmt-berüchtigter Geburtstagsparty wurden die ersten Urteile verkündet. Wild und Manglitz wurden auf Lebenszeit gesperrt, Patzke für zehn Jahre. Kickers Offenbach entzog man für zwei Jahre die Lizenz, und auch Canellas wurde im Juli 1971 auf Lebenszeit gesperrt. Er sollte nie wieder ein Amt innerhalb der DFB-Organisation ausüben dürfen. Der OFC-Präsident war wie vor den Kopf gestoßen, glaubte er doch – obwohl er ja auf die Manglitz-Forderung eingegangen war –, einer der Guten in dem Schmierentheater gewesen zu sein. Zwei Jahre lang wühlte sich Kindermann durch Aktenberge, verhörte verdächtige Spieler und Funktionäre. »Wir müssen eiserne Pfähle einbetonieren, sonst reißen alle Dämme«, lautete die Devise des Juristen.
Die absurdesten Geschichten wurden im Verlauf der Recherchen publik. Unter anderem die des Berliner Stürmers Zoltan Varga. Im Spiel zwischen Hertha und Arminia Bielefeld am 34. Spieltag war der Ungar in der Halbzeitpause ans Telefon geeilt, um seine Frau anzurufen. Dass nebenan die Reporter ihre Berichte in die Redaktionsstuben durchtelefonierten, schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Er fragte, ob das Geld, das die Biele-felder für einen Sieg versprochen hatten, inzwischen angekommen wäre. Es war nicht angekommen, und Vargas witterte Verrat unter Verrätern: »Diese Schweine, sie wollen ohne uns Ausländer kassieren. Aber denen mache ich die Sache kaputt.« Fortan versuchte er, mit aller Macht ein Tor zu erzielen. Er traf zunächst nur die Latte, doch seine Kollegen hatten den Braten gerochen. Sie schnitten ihn, spielten ihn nicht mehr an oder nahmen ihm sogar den Ball vom Fuß. Bernd Patzke sagte später voller Zynismus: »Wenn der in den Spielen vorher immer so wild gespielt hätte, wären wir Meister geworden.«
Neben Vargas wurden im Rahmen der Ermittlungen 52 weitere Spieler, zwei Trainer und sechs Funktionäre verurteilt. Merkwürdigerweise entzog man mit den Kickers und später Arminia Bielefeld lediglich zwei Vereinen die Lizenz für die Bundesliga. Die meisten der Sünder selbst wurden zwar relativ schnell wieder begnadigt und durften alsbald wieder Fußball spielen, aber nicht wenige von ihnen sind den Makel auch über ihre sportliche Karriere hinaus nicht mehr losgeworden.