Читать книгу Coltpoker der Gnadenlosen: Western Sammelband 4 Romane - Glenn Stirling - Страница 16

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Als Jim eintrat, sah er in Lily Dollars Saloon nur wenige Gäste, und diese wenigen wirkten eher wie Mitglieder aus Debrés Revolvermannschaft. Vergeblich suchte er unter diesen Gesichtern nach Hopkins, aber er sah ihn nirgends. Die Männer, die hier verteilt im Raum standen oder saßen, mussten auf ihn gewartet haben; diesen Eindruck machten sie auf Jim. Sie mochten blond, braun oder schwarzhaarig sein, mochten schlank, muskulös oder stämmig wirken – in einem waren sie sich ähnlich wie siamesische Zwillinge: Sie alle hatten diesen dumpfen, kalten Blick von Banditen oder Männern, die für Geld zu allem bereit sind. Ihre Abenteurergestalten passten in diesen Saloon ebenso wie das ramponierte Orchestrion oder das von Schusslöchern perforierte Piano.

Sie schwiegen und sahen Jim nur an. Verbissen, kalt, mordgierig. Aber etwas schien sie noch zurückzuhalten.

Jim konnte sich denken, dass Debrés Befehl sie zwang, die Hände von den Revolvern zu lassen. Aber sie lauerten, sie sehnten sich geradezu nach einer Möglichkeit, diesen Befehl zu umgehen. Vielleicht würde Jim sie maßlos reizen, würde sie bedrohen. Das wäre so eine Möglichkeit.

Jim lehnte sich an den Tresen und sah den Keeper an, der aussah, als hätte er schon in Methusalems Zeiten harten Männern harte Drinks serviert.

„Ich wollte Debré sprechen; er soll hier sein“, sagte Jim und deutete auf die Whiskyflasche.

Der Keeper schenkte routinemäßig ein und blickte Jim aus trüben Augen an. Aber er schwieg. Stattdessen antwortete einer der beiden stämmigen Coltschwinger, die an dem Tresen lehnten, keine fünf Schritte weit von Jim entfernt: „Der Boss wird deinen Besuch nicht erbeten haben, Short.“

„Bist du sicher? Frag ihn besser, sonst nimmt er es dir verflucht krumm. Geh zu ihm und sag ihm, dass ich ihn hier erwarte. Er wird dir schon sagen, was du dann tun sollst.“

Etwas unsicher blickte der Revolvermann auf seine Kumpane, dann zuckte er die Schultern und wandte sich um. Langsam ging er zur Treppe, als wollte er damit andeuten, wie sagenhaft viel Zeit er habe. Nahezu im Zeitlupentempo stampfte er die Treppe hinauf.

Die anderen starrten Jim an, schwiegen noch immer, und in diesen Minuten war das Stampfen des Mannes auf der Treppe das einzige Geräusch, das jetzt so laut wirkte, als fielen mit jedem Tritt Zentnerlasten auf die Stufen.

Der Keeper füllte Jims Glas unaufgefordert ein zweites Mal, dann sah er nach links zum hinteren Teil des Saloons hin, wo plötzlich eine Tür knarrte. Einige der Männer wandten sich um, und auch Jim spähte kurz hinüber. Es war Hopkins, der auf seinen krummen Beinen eintrat und jetzt im Dämmerlicht des hinteren Saloons aussah wie ein Gnom. Sein viel zu breitkrempiger Hut erinnerte an einen Pilz, und wäre der Mann nicht so gefährlich gewesen, hätte man über ihn lachen können. Hier jedoch lachte niemand. Auch Jim nicht.

Hopkins kam direkt auf Jim zu, sobald er ihn erkannt hatte. Die beiden schweren Halfter an seinen Seiten schlugen klatschend bei jedem Tritt gegen die Chaparrals, die Hopkins wie zu Cowboyzeiten trug, obgleich es hier weder Comagesträuch noch Mesquitegestrüpp gab, vor dem er sich schützen musste.

Er blieb vor Jim stehen, stemmte die kurzen Arme in die Hüften und sah Jim von unten herauf an. Er war mindestens eineinhalb Kopf kleiner als Jim, doch das bedeutete gar nichts. Jim begriff, als er diesen Mann anblickte, warum Hopkins der Vormann von Debrés Revolvermannschaft war.

„Du bist bei Guiness gewesen“, sagte Hopkins. „Wir suchen den Popen in der ganzen Stadt. Hast du ihn gesprochen?“

„Nein. Ridgeway und ich haben nur den Blutfleck gefunden, frisches Blut, gleich neben der Zimmertür. So viel Blut, wie ein Mann nicht verlieren kann, wenn er danach noch leben soll.“

Hopkins schien nicht erstaunt. Aus seinen kleinen Schweinsäuglein sah er Jim interessiert an. „Und von Guiness keine Spur?“

„Keine.“

„Einer von unseren Männern wurde vor etwa einer Stunde erstochen. Er liegt jetzt bei O'Toole, in seiner Hand war frische Tinte.“

„Und?“

Hopkins runzelte die Brauen. „Ich war jetzt auch bei Guiness. Dort ist ein Tintenfass umgekippt.“ Hopkins schnaufte ungeduldig. „Was weiter? Das frage ich dich, Short!“

„Ich wollte Guiness sprechen, aber er war nicht da. Stattdessen das Blut an der Schwelle und die Tinte auf dem Tisch. Es sah nach einem heftigen Handgemenge aus.“

„Ja, da bin ich sicher, aber wie ich Renard kenne, den wir erstochen gefunden haben, hat er dem Popen auch etwas auf den Weg gegeben. Wo steckt Guiness? Verdammt, Short, du weißt es!“

„Nein. Aber wir werden Debré fragen, der wird es uns sicher sagen können.“

Hopkins schnaufte wütend. „Der Boss? Du bist verrückt, Short!“

„Da kommt er, frag ihn selbst!“, sagte Jim und deutete auf die Treppe, wo Debré in der Pose eines Statthalters vor seinem Revolvermann herunterschritt.

Er blieb am Treppenfuß stehen und sah Jim herausfordernd an. „Ich dachte, Sie wären schon ein paar Meilen weiter, Short?“

Hopkins ließ Jim nicht zum Antworten kommen. Er ging Debré entgegen und sagte heftig: „Renard wurde erstochen, und ich habe ihn zuvor zu Guiness geschickt. Dort ist ein Blutfleck, der von Renard stammen könnte. Der Pope ist verschwunden.“

Debré blickte seinen Vormann verständnislos an. Dann wandte er sich Jim wieder zu, ging an Hopkins vorbei und stellte sich neben Jim an den Tresen.

„Ist das Ihr Werk, Short?“

„Nein, aber ich möchte wissen, wo Guiness geblieben ist.“

Debré zuckte die Schultern. „Vielleicht will er mit einem Strick nichts zu tun haben. Womöglich geht der Mord an Renard auf sein Konto. Er konnte Renard nie leiden.“

„Debré, Sie verschätzen sich in der Person. Guiness ist ein Reverend.“

Debré lachte bissig. „Ja, das ist er, und wenn er halt glaubt, so ein Messerstich sei gut für die Allgemeinheit, dann zögert er keine Sekunde. Denken Sie daran, wie der den Jungen zusammengeschossen hat, als er Ihnen Beistand gab. Nein, dieser Reverend ist eine besondere Sorte, den können Sie nicht mit normalen Maßstäben messen. – Aber nun sind Sie extra hergekommen. Hat das etwas mit Guiness zu tun?“, fragte er lauernd.

Jim wollte nun sein Spiel machen und nicht länger warten. Aber zuvor sollte Debré eine Chance haben.

„Ich bin nur einer Person wegen hier, Debré. Wenn Sie sich heraushalten, kümmert mich alles andere nicht.“

Debré sah Jim ruhig an, blickte dann nachdenklich auf Hopkins, der sich kaum noch bezwingen konnte, musterte kurz die anderen Männer im Raum, die nur auf einen Fingerzeig warteten, um über Jim herzufallen, dann wandte er sich Jim zu und sagte anerkennend: „Sie haben Mut, sagenhaft viel Mut! Aber es tut mir leid, ich passe nicht. Ich habe Miss Lily unter meinen Schutz gestellt. Ab sofort. Für Sie gibt es nur eine winzige Chance, davonzukommen: Legen Sie Ihren Revolver ab und reiten Sie blitzartig aus der Stadt! Das ist ein Befehl, Short!“

Jim nickte, als sei er damit einverstanden. „Schade“, seufzte er, und er bemerkte, mit welch fassungslosem Erstaunen Debré ihn ansah.

Hopkins schielte aus seinen Schweinsaugen unsagbar einfältig drein, und offenbar wusste keiner der Revolvermänner, wie es nun weiterlaufen sollte. Alle hatten damit gerechnet, dass Jim nun auf seine Gegner stürzen würde oder vielleicht zum Revolver griff.

Und während sie noch alle dabei waren, Jims unerwartetes Nachgeben zu verdauen, griff Jim zur Schnalle seines Gürtels, als wollte er ihn öffnen. Debré sah ihm gespannt auf die Hände, auch Hopkins lauerte darauf, dass dieser Waffengurt auf den Boden polterte.

Doch plötzlich verwandelte sich Jim in eine rasende Furie. Es geschah so spontan, dass weder Debré noch irgendein anderer Mann im Raum überhaupt begriff, was da mit einem Male vor sich ging.

Jim schnellte mit einem Satz auf Debré zu, riss ihn an sich, stieß ihm das Knie in den Unterleib, sprang mit ihm zusammen zwei Schritte zurück bis zum Tresenende, wischte eine volle Whiskyflasche hinunter, dass sie mit voller Wucht gegen Hopkins‘ Gesicht schlug, erfasste eine zweite halbvolle Flasche und warf sie blitzschnell nach dem Keeper.

Bevor überhaupt jemand zu einer Gegenreaktion kam, war Jim – mit dem ächzenden Debré vor sich – an der Wand, hatte den Colt heraus und schoss auf den Revolvermann an der Treppe, der als einziger seine Waffe reaktionsschnell gezogen hatte. Der Mann schrie auf und krampfte die Linke um die rechte Schulter. Dann sank er langsam auf die untersten Stufen.

Debré hatte nun den Tiefschlag verdaut und wehrte sich. Aber ein Schlag mit dem Revolverlauf ließ ihn wieder schlaff in Jims Arm sinken.

Hopkins kauerte am Boden, die Hände auf seine blutende Nase gepresst. Der Keeper hatte die halbvolle Flasche an die Brust bekommen und hustete in Atemnot.

Alle anderen Männer standen starr. Zwei hielten die Hände auf den Revolverkolben, aber sie wagten nicht mehr. Jim stand, prächtig durch Debré gedeckt, vor der Wand, und er hielt die Waffe in seiner freien Rechten.

Debré hing reglos wie ein Deckenbündel in Jims Arm. Über seine Stirn rann ein dünner Blutfaden.

Hopkins stand jetzt auf, wischte sich noch einmal über die Nase und sah hasserfüllt aus rot unterlaufenen Augen Jim an. „Dafür bringe ich dich um!“, keuchte er, schnallte seinen Gurt ab und kam mit drohend angehobenen Fäusten auf Jim zu.

„Steh! Es wäre mir gleich, auf dich zu schießen, auch wenn du keine Waffe hast, Hopkins!“, sagte Jim scharf.

„Du verdammter Hundesohn!“, schrie Hopkins mit überschnappender Stimme und kam näher.

„Steh, Hopkins!“, wiederholte Jim, und diesmal klang seine Stimme schneidend und gefährlich.

Hopkins machte noch einen Schritt, blieb stehen, sah sich über die Schulter um, dann ließ er die Fäuste sinken, blickte wieder auf Jim und krächzte hasserfüllt: „Du kommst hier nie mehr lebend heraus, nie mehr!“

Jim sparte sich die Antwort. Stattdessen befahl er mit harter Stimme: „Geh zurück bis zur Wand! Ihr anderen lasst jetzt eure Revolver fallen, schnallt ab und stellt euch alle neben Hopkins auf! Keinem geschieht etwas, wenn ihr pariert. Auch Debré wird nichts geschehen. Zwei von euch gehen hinauf und holen Lily Dollar herunter, und weil sie eine Mörderin ist, werdet ihr dieser Frau die Hände fesseln.“

„Soll das ein Tauschhandel sein?“, fragte Hopkins giftig.

„Genau. – Euren Boss bekommt ihr unbeschädigt zurück, sobald ihr alles tut, was ich sage. Es ist nicht meine Schuld, dass er sich für diese Frau so eingesetzt hat.“

„Und dann?“, fragte Hopkins lauernd.

„Früh gegen sechs Uhr fährt ein Zug mit Material nach Green River City. Ich werde die Frau in diesen Zug bringen und Debré dann laufenlassen, sobald ich mit Lily Dollar im Zug bin und dieser abfährt. Es ist alles sehr einfach. Wenn ihr Verstand habt, setzt ihr euch nicht für diese Frau ein. Im Gegenteil. Das würde alles für euch leichter machen.“

Hopkins näherte sich wieder ein paar Schritte und sagte verstehend: „So ist das also, Short, du bist ein Bulle?“

„Glaubst du?“

„Verdammt! Warum sonst willst du sie unbedingt vor ein Gericht schleppen?“

„Du redest zu viel, Hopkins. Schick zwei deiner Männer zu Lily Dollar und lass sie holen! Du wirst sehen, dass es für euch der beste Weg ist.“

Hopkins nickte. „Nun gut, jetzt haben wir keine Wahl, aber nachher werden wir dir das Fell über die Ohren ziehen – wenn der Boss wieder bei Sinnen ist. – Warte nur ab!“ Er gab zweien seiner Männer das Zeichen, hinaufzugehen.

Die anderen hatten ihre Waffen abgelegt. Keiner wollte hier wie auf einem Schießstand abgeschossen werden, und dass dieser Jim Short keinen Spaß machte, wussten sie bereits.

Die beiden Männer gingen nach oben, und in diesem Augenblick begann sich Debré in Jims Armen zu regen.

Hopkins schien sich davon etwas zu versprechen. Er trat wieder aus der Reihe an der Wand und näherte sich der Theke, wo genug Flaschen standen, die als Wurf- oder Schlagwaffen dienen konnten.

„Zurück, Hopkins!“, knurrte Jim, und Hopkins wich wieder in die Reihe.

Debré richtete sich auf, sah Jim verständnislos an und wollte sich freimachen.

„Stehen Sie still, Debré, das ist für Sie nur gut! Versuchen Sie besser nichts, sonst muss ich Sie erneut niederschlagen!“, drohte Jim.

Debré stellte sich wieder auf die Beine, wischte sich über die Augen und keuchte mit heiserer Stimme: „Was wollen Sie gewinnen, Short?“

„Die Frau, sonst nichts. Ich bringe sie nach Green River City, wie ich es Ihnen versprochen habe. Dort hat sie einen fairen Prozess, Debré. Sie können ihr die besten Anwälte der USA verschaffen, wenn Sie das wollen.“

Debré verzog schmerzlich das Gesicht, dann sah er Jim an. „Sie sind noch mitten in dieser Stadt, Short, und die Frau ist auch noch nicht …“

„Da kommt sie!“, sagte Jim und blickte zur Treppe.

Debré sah sich um. Lily Dollar alias Judy Stevenson kam die Treppe herab, aber mit ungefesselten Händen. Die beiden Revolvermänner waren hinter ihr. Sie schritt wie eine Königin, und sie lächelte, doch es war nicht das Lächeln der Heiterkeit. In ihren Augen war nackter Hass, um ihren Mund Eiseskälte.

„Da bin ich, Mister Short!“ rief sie von den mittelsten Stufen aus über die Köpfe der Männer hinweg. „Nun, so nehmen Sie mich doch fest!“

„Geh wieder hinauf!“, schrie Debré heiser.

Sie blieb stehen und sah Jim an. In ihrem Gesicht spiegelte sich Hohn, als sei sie gewiss, dass er keine Macht habe, sie wirklich zu fassen.

„Rick Debré“, sagte Jim ruhig, „ich bin kein Marshal, und nichts zwingt mich, ein fairer Mann zu bleiben. Sie haben die Chance, den Caballero zu spielen und das mit Ihrem Leben zu bezahlen. Oder Sie tauschen Ihr Leben gegen den Verzicht auf diese Frau. Bestimmen Sie selbst, wie Sie es haben wollen.“

Er sah jetzt, dass einer der beiden Männer, die Lily geholt hatten, einen Revolver zu verbergen suchte. Deshalb fügte er seinen Worten hinzu: „Ich habe einen Revolver jetzt in Debrés Hüfte gedrückt. Er wird sich sofort entladen, wenn nur ein Schuss fällt oder sonst etwas geschieht, das mich erschrecken könnte. Also, Debré, jetzt Ihre Antwort!“

„Short“, sagte Debré leise, „Sie haben ein Loch in Ihrem Plan! Sie haben Dale Ridgeway vergessen. Er wird sich für Lily vierteilen lassen, wenn das sein muss.“

„Ich glaube, das sind andere Geschichten, Debré. Ich frage Sie jetzt zum letzten Male: Wollen Sie die Frau opfern oder sich selbst?“

Alle blickten gespannt auf Debré, warteten auf seine Antwort. Indessen regte sich nichts im Saloon.

In diesem Augenblick wurden die Schwingtüren zurückgestoßen.

Dale Ridgeway tauchte auf, das Gesicht bleich, die Kleidung über und über mit Lehm beschmutzt.

Er blinzelte in die Helligkeit, brauchte Sekunden, um die Lage zu begreifen.

Debré reagierte blitzschnell, warf sich herum und wollte mit einem Satz von Jim wegspringen. Doch Jim hatte ihn am Gürtel, riss ihn zurück und stieß ihm das Knie mit aller Wucht ins verlängerte Rückgrat.

Ridgeway blickte erst auf die Männer, dann auf Lily Dollar, die noch immer auf der Treppe stand. Schließlich wandte er sich halb herum und sah Debré und Jim.

„Guiness – einer hat Guiness umgebracht! Mit fünf Schüssen in den Kopf. Von hinten.“ Ridgeway sagte es atemlos und kaum verständlich, aber wie es schien, hatten dennoch alle begriffen.

Jetzt holte er etwas aus der Tasche. Es sah aus wie ein Stern, ein Marshal-Stern.

„Das – das war in seiner Hose. Und das hier auch!“ Er zog ein Stück Papier aus der Jacke. „Eine Ermächtigung. Er war kein Reverend. Er war Deputy Marshal – US Deputy Marshal …“

Debré reagierte vor allen anderen.

„All right, also ein Marshal, und ich bin sicher, Short ist auch einer. Aber, Dale, er wird Ihnen Lily wegnehmen. Er ist schon dabei. Sie haben noch eine Chance, mehr als wir alle! Ziehen Sie Ihren Revolver, Dale!“

Ridgeway stand stocksteif. „Sie sind Marshal, Short?“

„Nein!“

Hopkins schrie: „Er lügt dich an, Dale! Schieß!“

„Ich würde es keinem raten! Dann ist Debré erledigt!“, drohte Jim.

Aber da kam Lily die Treppe herab, ging auf Ridgeway zu, das Kleid leicht gerafft, dieses anliegende weiche Samtkleid, das im Lampenschein glänzte wie fließendes Pech.

„Dale“, sagte sie mit einschmeichelnder Stille. „Dale, gib mir den Revolver. Gib ihn mir!“

„Ridgeway, machen Sie keine Dummheiten!“, warnte Jim.

Dale Ridgeway stand unentschlossen. Jim sah deutlich, wie der Revolvermann unter dem Zwang dieser Frau stand, wie sehr er ihr hörig war. Aber noch etwas anderes spiegelte sich in Ridgeways Blick. Er begriff sehr wohl, dass er Debré zum Tode verurteilte, nahm er nur die Hand an den Revolver.

Aber während alle Männer nichts zu unternehmen wagten, riskierte Lily alles. Sie streckte ihre schmale Hand aus und wollte Ridgeways Waffe ergreifen.

Er wich zurück, und Debré, der jetzt begriff, was das alles für ihn selbst bedeutete, schrie: „Bist du verrückt? Er bringt mich dafür um!“

Sie stockte einen Augenblick und maß ihn mit abgrundtiefer Verachtung. „Ist das so schlimm?“, fragte sie mit schneidend kalter Stimme. „Diese Stadt würde darüber froh sein. Und ich werde dich anschließend rächen, sei gewiss.“

Jim packte Debré plötzlich an beiden Armen, riss ihn hoch und schleuderte ihn nach Ridgeway. Wie ein Geschoss flog Debré auf den Revolvermann, riss ihn um, und beide stürzten zu Boden.

Jim sprang mit einem Satz zu Lily und ergriff sie. Sie schrie gellend auf, dann hatte er sie herumgewirbelt und jagte mit ihr in den Händen zur Tür hinaus.

Von der anderen Straßenseite her krachten Schüsse, zuckten Mündungsblitze durch die Nacht.

Jim warf sich gegen die Hauswand, Lily vor sich wie einen Schild. Das Lampenlicht der Saloonlaterne beleuchtete ihn spärlich, aber hell genug für die Schützen drüben. Sie begriffen, dass die Frau in Gefahr war. Keiner wagte noch zu schießen.

Aus dem Saloon kam zuerst Debré heraus, dann Hopkins, schließlich auch Ridgeway, einen ganzen Rattenschwanz von Revolvermännern hinter sich.

„Geht auf die andere Straßenseite“, sagte Jim. „Ich schieße sofort, wenn einer zögert.“

Debré kam auf ihn zu. „Schieß oder gib Lily heraus. Du kannst mich wieder dafür …“

Hopkins unterbrach ihn: „Boss, sie ist nicht den Dreck auf der Straße wert! Lass sie diesem Mann! Lass sie! Dieses Stück hätte sogar auf dich geschossen!“

Debré nickte. „Ich weiß, und deshalb will ich sie haben. Ich muss sie haben, damit sie mir dafür büßen kann. Short, geben Sie mir Lily heraus, ich garantiere Ihnen freien Abzug!“

„Zurück, Debré! Ich schieße, wenn Sie noch einen Schritt weitergehen!“, warnte Jim.

Lily stand jetzt ganz ruhig. Aber sie näherte sich Ridgeway, und plötzlich wollte sie sich wieder frei machen. Sie keifte, schrie und versuchte Jim zu beißen.

Er wusste, was sie getan hatte, nur weil er daran dachte, mochte er sie nicht mehr mit Glacéhandschuhen anfassen. Er fasste sie mit der Linken am Haar und hielt sie hart fest. Sie kreischte wie irr, obgleich es gar nicht weh tun konnte, wenn sie nur still stand.

Jim sah, dass Ridgeway in Panik geriet. Das Schreien der Frau schien ihn in höchste Alarmstimmung zu versetzen, die ihn jede Vorsicht vergessen ließ.

In diese Situation hinein platzte plötzlich O'Toole, der Leichenbestatter, mit dem Ruf: „Ich habe gesehen, wie er es getan hat! Ich bin Zeuge! Dieser Lump hat den Reverend erschossen. – Von hinten, ich hab alles gesehen!“

Alle fuhren herum und sahen den dürren Mann im Bratenrock an, der wild gestikulierte und dabei beschwörend auf Debré blickte.

Debré schrie fast hysterisch zurück: „Wer hat es getan, wer, O'Toole?“

Ridgeway wirbelte plötzlich herum, riss seinen Revolver heraus und schoss. Er traf O'Toole in den Kopf. Der Schuss warf den schmächtigen Mann vom Gehsteig herab in den Schlamm der Straße.

Lily Dollar stand wie gelähmt in Jims Griff. Debré wollte instinktiv zur Waffe greifen, aber er merkte, dass er keine besaß. So schrie er zu Jim hin: „Schießen Sie, Short! Schießen Sie diesen Mörder nieder!“

„Die Waffe weg, Ridgeway!“, rief Jim.

Ridgeway wandte sich lächelnd um und schüttelte den Kopf. „Nein, da müssen Sie schon schießen, Short. Und ich würde sogar zurückschießen. Trotz der Frau. Ja, jetzt würde mir das gar nichts mehr ausmachen. Lassen Sie es also besser.“ Er ging zum Hitchrack, löste den Zügel seines Pferdes und saß auf.

„Verdammt, Short, tun Sie was! Sie haben eine Waffe!“, schrie Hopkins.

„Ich habe auch eine!“, brüllte plötzlich der Keeper von der Saloontür her, riss eine Parker an die Schulter und wollte abdrücken, aber Ridgeway gab seinem Pferd die Sporen. Es machte einen Satz auf die Menge zu, und während noch alle aufschrien und auszuweichen versuchten, schoss der Keeper auf die Stelle, wo Ridgeway längst nicht mehr war. Den zweiten Schuss wagte er nicht mehr abzugeben, denn zwischen ihm und dem Flüchtenden war die Menge der Männer.

„Zum Teufel, Short, warum haben Sie das zugelassen?“, rief Debré empört.

„Es sind genug Pferde da, ihn zu verfolgen“, erwiderte Jim gelassen. „Er hätte diese Frau getötet, da bin ich sicher.“

„Niemals!“, schrie Debré erregt.

„O doch, Rick, o doch!“, sagte Lily überzeugt. „Diesmal bestimmt.“

Debré sah sie verständnislos an. „Was soll das?“

Sie gab ihm keine Antwort mehr.

Hopkins war schon im Sattel. Zwei seiner Männer machten die Pferde los. Sogar der Keeper versuchte seine Schlappe wettzumachen und lief nach einem Pferd. Minutenlang vergaßen sie Jim. Sogar Debré schien eine Weile nicht daran zu denken, dass Jim Lily in seiner Gewalt hatte.

Als er sich daran erinnerte, war die Stelle, wo Jim eben mit der Frau gestanden hatte, leer.

Jetzt begriff Debré, welch gewaltige Chance sie in ihrer Aufregung Jim geboten hatten. Sofort wollte er die Lage retten und brüllte: „Carson – Mattway – hiergeblieben! Drei Mann sofort hinter den Saloon, alle anderen, die noch hier sind, suchen alle Häuser nach dort hinauf ab. Short ist mit Lily verschwunden. Sie können nicht weit sein. Drei Mann auf die Station!“

„Tot oder lebendig, Boss?“, rief einer der Männer.

„Bei Short ist es mir egal, aber Lily darf nichts geschehen!“

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