Читать книгу Die Hexe zum Abschied - Günter Billy Hollenbach - Страница 10
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Оглавление„Du bist dran, Mammi. Lass uns deinen Fall lösen. Was liegt vor?“
Corinna sammelt ihre Gedanken.
„Okay, ihr beiden?! Dienstliche Verschwiegenheit. Der Fall betriff eine Dame mit Hochrisiko-Beruf, im Amtsdeutsch eine Sex-Arbeiterin.“
„Ist sie tot?“
„Nein, Mona, sie hat überlebt. Ob es ein Glück ist, muss sich erst noch zeigen.“
„Was ist geschehen?,“ frage ich.
„Das ist weitgehend unklar. Die Kollegin Conrad führt die Ermittlungen, Vera Conrad.“
Sie war vor Corinna am Tatort, vorgestern, Donnerstag Abend. Ein Schlafzimmer in einer Wohnung in einem kleinen Haus in der Römerstadt. Ihr Freund hat das Opfer gefunden. Gefesselt, geknebelt und blutend, die Kleider vom Leib geschlitzt, mit Kreuz- und Querschnitten im Genitalbereich und Säure-Verätzungen auf den Brüsten.
„Ääch nein! Widerlich!,“ tönt Mona entsetzt.
Ich: „Mann, wie fies.“
Hinweise, wer es angetan hat, gibt es noch nicht.
„Und sie? Was sagt die Frau, wie es geschehen ist?“
„Noch mal. Wir wissen es nicht. Noch nicht. Als wir kamen, war der Rettungswagen mit ihr bereits abgefahren.“
„Das ist die Prostituierte, die Du vorhin meintest?,“ frage ich.
Ja. Im Schlafzimmer fanden sich eine Peitsche, stoffbezogene Handschellen, schwarze Spitzen-Unterwäsche, Strapse, Ledermaske. Aus dem Waschbecken im Bad wurden Männerhaare sichergestellt.
„Deswegen muss sie keine Prostituierte sein,“ denkt Mona laut. „Vielleicht war das ihre private Leidenschaft.“
„Möglich. Aber dafür wirkten die Sex-Sachen zu aufwendig.“
„Dieser Freund, ist das ihr Zuhälter?,“ fragt Mona. „Habt ihr eine ungefähre Tatzeit? Wo war der Kerl währenddessen?“
„Halt, Mona, der Reihe nach: Zuhälter? Wir schließen es nicht aus. Die Frau ist Russin. Aber vielleicht galt der Angriff letztlich ihm.“
„Wieso? Ach, Du meinst ... pah, das ist übel!,“ bemerkt Mona entgeistert. Die Frau verstümmeln, um ihm zu schaden.
„In Mafia-Kreisen nicht unüblich,“ stellt Corinna fest. „Bis jetzt nichts als eine Vermutung. Falls sie für ihn anschafft, wäre er ein gutbürgerlicher Kontaktvermittler. Mein Gefühl sagt: Eher unwahrscheinlich.“
Der Mann ist Russlanddeutscher, macht einen gebildeten, soliden Eindruck. Arbeitet als Software-Entwickler in einer kleinen Firma im Westend. Als Täter kommt er nicht in Frage. Die Frau ist mittags gegen drei nach Hause gekommen. Zu der Zeit saß ihr Freund in Auftragsverhandlungen im schwäbischen Waldorf. Felsenfestes Alibi.
Monas steigt immer angeregter ein.
„Wie geht der mit dem Beruf seiner Freundin um? Ich als Mann ... ich könnte mir nicht vorstellen, so eine Frau oder Freundin zu haben.“
Corinna beweist große Geduld mit Monas Unterbrechungen und bleibt bei ihrer sachlichen Berichterstattung.
„Ich habe ihn nur vorläufig gesprochen. Der Mann wirkte erschüttert und verstört. Dass seine Freundin anschaffen geht, weist er entschieden zurück. Er sagt, sie sei Ärztin, hätte Frühschicht gehabt.“
Oder er will sie schützen, biete ich an. Dann sagt er so etwas. Abgesehen davon: So selten ist das nicht. Für einen Hungerlohn als Ärztin in Russland schuften oder hier dickes Geld machen für erotische Gesundheitsdienste – das ist für viele Frauen verlockend, trotz guter Berufsausbildung.
„Das ist uns bewusst, Robert. Als Ärztin versteht sie etwas vom männlichen Körper und seinen empfindlichen Stellen. Beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Karriere als Sado-Maso-Domina.“
Die Frau wurde bislang nicht auffällig, lebt legal hier, hat seit acht Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft, keine Vorstrafen.
„Und nun? Was macht sie jetzt“?
Seit gestern wird sie in Königstein in einer privaten Klinik für plastische Chirurgie und Hauttransplantation behandelt und strikt abgeschirmt.
Corinna verzieht den Mund.
„Wir hoffen, dass wir sie bald befragen können. Wir brauchen Hinweise auf den Täter und das Tatgeschehen.“
Sadistische Sexualtäter steigern sich fast immer. Das nächste Opfer könnte Schlimmeres erleiden als die einschlägigen Verletzungen.
Etwas verlegen fügt sie hinzu:
„Zunächst werten wir Spuren aus; Fingerabdrücke, Telefonkontakte. Sehr mühsam; der Tatort wurde durch massig Fremdspuren verunreinigt; die Rettungsdienstler, zwei Streifenkollegen, der Freund. Wenn die Haare im Abfluss zu einer Person in unseren Dateien passen, hilft das weiter. Braucht aber alles seine Zeit.“
Unsere Anmerkungen springen hin und her.
„Wer macht so etwas?,“ überlegt Corinna. „Und warum; das sind die Schlüsselfragen.“
Eine Frau derart gezielt zurichten?! Trotzdem, gesteht Corinna, hält sich ihr Mitgefühl in Grenzen. Sonst kann sie nicht unvoreingenommen ermitteln. Erst mal ist der Neskovaja alles Gute für die ärztliche Behandlung zu wünschen. Das hat die Frau verdient, egal, woher das Geld dafür kommt. Die Privatklinik gilt als führend bei der Hauterneuerung.
Etwas klickt in meinem Kopf.
„Halt, Corinna, wie heißt die Frau?“
„Neskovaja. Gebürtige Russin. Mit Vornamen Tatjana. Warum?“
Die kenne ich.
Mona ruckt in erheiterter Verwunderung empor.
„Berkamp, Du! Das ist krass! ... Obwohl, nicht völlig überraschend. Wenn man bedenkt, was Du dir von Mammi gefallen lässt ...“
„Stimmt. Oder von meiner herrschsüchtigen Tochter.“
Corinna greift neben sich, hebt vom Teppich Schreibbrett und Kugelschreiber auf, beginnt, sich Notizen zu machen.
„Noch mal; die Frau? Russin, Mitte Dreißig, gut gebaute Figur, braungoldene, kurze Haare, frisches Gesicht mit hohen Wangenknochen und einem herzförmigen Mund ....“
Der Kugelschreiber verharrt in Schreibstellung über dem Papier.
„Ja, Robert, das passt; ich schätze, das ist sie. Zumindest nach den zwei Bildern, die ich gesehen habe, in ihrem Ausweis und im Schlafzimmer. Wie gesagt, sie selbst war auf dem Weg in die Klinik. Woher kennst Du sie?“
„Ich bin ihr mal begegnet ... im vorigen Sommer.“
In der Orthopädischen Abteilung im Nordwest-Krankenhaus. Sie war dort Assistenzärztin. Als ich Oberkommissar Schuster besucht habe. Wir haben kurz miteinander gesprochen, vor seinem Zimmer.
„Also doch Ärztin. Das könnte hilfreich sein.“
„Ja klar. Sie hat mich auf Schusters Muskelhormone hingewiesen. Die Frau war nett ... und sah gut aus.“
„Das konntest Du Fachmann sofort erkennen?“
Typische Mona-Frage.
„Im Arztkittel natürlich. Was da drunter war, ließ sich nur ahnen.“
„Und schon hat sie dich auf ihres privaten Folterbett eingeladen?“
„Mona, Robert, bitte, hört auf damit. Bleibt bei der Sache.“
Der Name der Frau und die Erinnerung an unser Gespräch geben Corinna Mitteilungen ein Gesicht und meiner Aufmerksamkeit einen zusätzlichen Schub. Vor meinem inneren Auge entsteht ein Sekundenfilm über den Ablauf des Geschehens im Schlafzimmer. Der an mehreren Stellen hakt, Fragen aufwirft.
„Wie war die Frau gefesselt, Corinna?“
Den Blick auf das Notizbrett gerichtet antwortet sie holperig.
„Müssen wir ... klären. Mit ihren ... Sex-Handschellen, nehme ich an.“
„Hat deine Kollegin Conrad das nicht festgestellt?“
„Robert, wir sind auch nur Menschen. Manche Verbrechen gehen einem mehr ans Gemüt als andere.“
Kannst du unberührt bleiben, wenn du an diese Art Tatort kommst? Zumal als Frau. Außerdem kümmert sich die Kriminaltechnik um diese Dinge. Nebenbei, was für das Tatgeschehen wichtig ist, springt nicht sofort ins Auge.
Das zeigt auch unser Gespräch.
Mona hängt eigenen Gedanken nach, sagt unvermittelt:
„Krankenhausärztin stelle ich mir als harten, mäßig bezahlten Job vor.“
Könnte das nicht ein Grund sein, sich eine einträgliche Nebenbeschäftigung zuzulegen? Dann kommen ihr Zweifel. Wahrscheinlich sind die Arbeitszeiten in der Klinik sehr unregelmäßig. Obendrein Bereitschaftsdienst. Wenn die Frau nach Hause kommt, ist sie fix und fertig. Das passt schlecht zum Job einer Sex-Domina. Wie lange gehen solche Treffen? Wann haben ihre Kunden Zeit?
„Noch mal, Mona: Ihr Freund – der Mann heißt Bucharin – wirkte ehrlich überrascht und fand die Unterstellung beleidigend.“
Seine Freundin hätte niemals als Prostituierte gearbeitet, schon gar nicht als Domina.
Das Sex-Thema scheint Monas Phantasie zu beflügeln. Vielleicht ist der Freund zu gutgläubig, findet sie. Schließlich hätten Frauen großes Geschick, ihren Männern etwas vorzuspielen oder zu verheimlichen. Der Job als Sex-Domina sei ohnehin leichter mit dem Gewissen zu vereinbaren. Denn gewöhnlicher Geschlechtsverkehr gehört normalerweise nicht zu der Betätigung; oder? Und wieso muss das ein männlicher Kunde gewesen sein? Gibt es keine Frauen, die derartige Sex-Dienste in Anspruch nehmen? Also müsste das K 11 auch eine Täterin in Betracht ziehen.
Corinna nickt und schreibt auf ihrem Klemmbrett.
Monas Hinweise bringen mich auf einen anderen Gedanken.
„Die Verletzungen erscheinen mir ungewöhnlich. Auf das Ausleben einer Lustphantasie deutet das nicht hin, oder?“
„Schwer zu sagen. Kollegin Conrad kennt sich aus mit solchen Taten. Sie schließt ein perverses, aber verunglücktes Sexspiel weitgehend aus. Für uns spricht die Tatausführung für gezielt, vorsätzliche Gewalt gegen die Frau.“
Also planvolles Vorgehen.
Wie ist der Täter in die Wohnung gelangt?
„Auch da, Robert, Fehlanzeige. Es gibt keine Hinweise auf ein gewaltsames Eindringen.“
Demnach hat sie dem Täter die Tür geöffnet. Und hat ihn gekannt. Das wiederum spricht für einen Kunden, führt Mona den Gedanken weiter.
„Nein, Schatz,“ gibt Corinna zurück.
„Es kann eine fremde Person gewesen sein. Erinnert euch, wie leicht mich Harkötter damals an meiner Wohnungstür überwältigt hat, weil ich arglos geöffnet habe.“
Es freut sie sichtlich, wie angeregt sich Mona am Nachdenken über ihre Polizeiarbeit beteiligt.
Zwei Notizen später sieht Corinna mich auffordernd an.
„Na, so still. Was denkst Du, Robert?“
„Noch mal einen Schritt zurück, okay? Fest steht nur, es gab den Angriff. Der war keine Gelegenheitstat, sondern geplant. Und er galt bewusst der Frau. Der Täter hat also eine Art Beziehung zu dieser Person, und sei es nur im Kopf.“
Für ein harmloses Sex-Spiel bringt man keine Säure mit. Wurde ein Fläschchen, ein Glas oder etwas Ähnliches mit Säure gefunden, vielleicht im Bad? Bevor ich anfange, Sex-Kunden, vielleicht auch Sex-Kundinnen aufzutreiben, probiere ich es mit einfacher Logik. Was ist, wenn der Freund die Wahrheit sagt? Wenn die Frau wirklich nur als Ärztin tätig ist?
Corinna nickt langsam.
„Das hieße, jemand will uns bewusst auf eine falsche Fährte locken.“
„Berkamp, Du meinst ...“ überlegt Mona, „andersrum. Dann müsste der Täter die Sex-Spielsachen mitgebracht und ausgebreitet haben, damit es aussieht als ob ...“
„Eben. Corinna, schaut euch die Sachen genau an. Vielleicht erkennt man, ob sie häufig benutzt worden sind.“
Während ich spreche kommt eine weitere Idee dazu.
„Noch etwas. Das Handwerkszeug solcher Damen. Habt ihr größere Mengen Kondome und Kleenex-Tücher gefunden?“
Corinna schlägt überrascht mit der flachen Hand auf ihr Schreibbrett.
„Hallo! Das ist ein guter Gedanke, echt gut. Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Wir gehen dem nach. Und der Herkunft der Säure.“
Sie hebt das Clipbord an und schreibt wieder.
Mona wartet eine Weile, ehe sie sich vergewissert:
„Oh Mann, jemand will ein Sex-Ding vortäuschen, hat aber nicht daran gedacht, dass dazu ein satter Vorrat Kondome gehört? Auf den ersten Blick eine klare Sache. Aber wenn man genauer hinschaut ... das Chaos wird immer größer.“
„Schatz, das ist am Anfang immer so. Aber mit Geduld, guter Technik und klugen Mitdenkern bringen wir Licht ins Dunkel.“
„Na super. Also Mammi, an die Arbeit. Spart euch die Suche nach Kunden. Euer Täter ist ein hintertriebenes Dreckschwein.“
Corinna schaut auf ihre schmale Armbanduhr und lässt das Schreibbrett auf den Teppich fallen.
„Ihr Lieben, wisst ihr, wie spät es ist? Für heute reicht ’s. Es war mir wie immer ein Vergnügen. Danke für die Anregungen. Montag ist auch noch ein Tag. Wer kocht morgen? Mona, an sich bist Du ...“
Schon überredet, bestätigt die. Es gibt Fisch mit Blumenkohl; keine Widerrede. Bei schönem Wetter in Bingen mit Blick auf den Rhein.
Erfolgreiche Kriminalisten sollten schließlich öfter mal über den Tellerrand hinausschauen.