Читать книгу Die Hexe zum Abschied - Günter Billy Hollenbach - Страница 7

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Wir hocken zusammen, kabbeln uns und mögen es.

Und kommen jedes Mal zur Sache, wenn auch oft unerwartet.

Monas Blick ändert sich. Sie kaut nachdenklich ein paar Kartoffelchips.

„Ist das wahr? Der Mann mit dem Gewehr in Amiland? Wieso bist Du jetzt hier? Also ..., Du weißt schon; wenn das echt gefährlich war.“

Das es für mich gut ausging, erkläre ich, verdanke ich einer meiner Angewohnheiten, die Mona gelegentlich auf ’s Korn nimmt, dem Zufall und einem Leibwächter.

„Uh; abartig! Welcher Zufall? Welche Angewohnheit?“

„Du weißt doch, ich steige gern Treppen ...“

„Weil Du die Fahrstuhl-Panik hast, wetten?“

„Nöh, Freude an der Bewegung. Was ist, willst Du das hören?“

„Hhm, klar, entschuldige.“

Es geschah in einem kleinen Hotel in China-Town. Wo ich öfter wohne.

„Ich will auch nach San Francisco. Wir fahren einfach hin, alle drei, und Du zeigst uns ...“

„Lässt Du Robert jetzt weiterreden, Mona, oder ...“

„Wie gesagt, in dem Hotel. Mein Zimmer lag im vierten Stockwerk.“

Im Treppenhaus gibt es jeweils ein Fenster zur Straße. Wie ich da lang gehe, sehe ich zufällig auf dem Flachdach des Hauses gegenüber einen Mann entlang schleichen. Erst dachte ich, der arbeitet dort; er hielt ein längliches Gerät in der Hand. Aber es war ein Gewehr. Der Bursche suchte einen Platz an der Ecke mit freiem Blick auf den Eingang meines Hotels und legte sich flach hin.

„Das konntest Du sehen?,“ fragt diesmal Corinna dazwischen.

„Ja, das Haus gegenüber hat nur fünf Stockwerke und sein Flachdach liegt ungefähr auf meiner Höhe. Normale Straßenbreite; auf die Entfernung war das Gewehr gut zu erkennen.“

„Und, was hast Du gemacht?,“ hakt Mona ein.

„Natürlich war ich erschrocken.“

Okay, ich war vorgewarnt, wusste, es geht um mich. Ich habe mich beruhigt und einen Freund angerufen.

„Den Bodyguard – den hattest Du, wie Politiker oder Promis?“

„Ja, Mona, so ähnlich. Der Mann heißt Black Buffalo Carey, ein Einheimischer vom Hopi-Stamm im nördlichen Arizona. Der Bruder einer Polizeibeamtin, mit der ich zu tun hatte.“

Die beiden hatten beschlossen, auf mich aufzupassen.

„Weil ein chinesischer Gangster hinter Robert her war,“ fügt Corinna ein.

Richtig wütend ist sie geworden, kurz nach meiner Rückkehr. Als ich ausführlich erzählt habe, was sich in San Francisco zugetragen hatte. Auf der abgelegenen Treppe an einer ruhigen Seitenstraße war mir ein kleines Mädchen zwischen die Beine gelaufen, das vor einem Kidnapper davon hastete. In einem unbeholfenen Zweikampf behielt ich zwar die Oberhand und das Kind im Arm, stand aber unversehens als verdächtigter Kindesentführer von dem Lauf zweiter Polizei-Pistolen.

Das Missverständnis ließ sich klären.

Und der eigentliche Ärger begann.

Dummerweise war die kleine Janey Tochter einer einflussreichen Familie chinesischer Geschäftsleute mit einschlägigen Wurzeln in der kriminellen Unterwelt von China-Town. Und ich befand mich unverhofft zwischen höchst unverträglichen Fronten. Einer misstrauischen Polizeieinheit gegen Organisierte Kriminalität, zwei Killern, denen ich unfreiwillig in die Quere gekommen war, und den wohlhabenden Eltern, die alles daran setzten, die Kidnapper zu finden.

Sowohl die chinesische Familie als auch die Polizei waren um meine Sicherheit besorgt und taten, jeder auf seine Weise, viel für meinen Schutz. Zwangsläufig gewann ich dadurch schonungslose, verstörende, aber auch beglückende Eindrücke aus dem alltäglichen Leben und Treiben hinter dem gefälligen äußeren Auftreten der Beteiligten.

Und geriet selbst in ernste Lebensgefahr.

Den Luxus eines schlechten Gewissens gegenüber Corinna konnte ich mir damals nicht lange leisten. Zunächst aus Zeitmangel, später aus Erschöpfung und Ratlosigkeit unterließ ich es, sie anzurufen und über das Geschehen zu berichten. Wirklich helfen konnte sie mir von Deutschland aus ohnehin nicht. Wozu also sie beunruhigen? Jedenfalls war das meine Ausrede. Inzwischen kennt sie die Geschichte in den wichtigsten Einzelheiten. Bis auf einige besonders blutige Begebenheiten und intime Erfahrungen. Bei denen ich es klüger fand, sie für mich zu behalten.

„Genau. Die dortige Polizei brauchte mich zum Identifizieren der chinesischen Gangster.“

Mona wird etwas ungeduldig.

„Ja, ja, hat Mammi mir ungefähr erzählt. Jetzt, wie ging es mit dem Mann auf dem Dach weiter.“

„Also, ich rufe diesen Black Buffalo Carey an.“

Ein ungewöhnlicher Typ, Bilderbuch-Indianer mit Westernstiefeln, Mittelscheitel und schwarzem Pferdeschwanz, neununddreißig Jahre alt, Sicherheitschef in einem indianischen Spielcasino außerhalb der Stadt, vorher US-Marine im Irak-Krieg.

„Der war gleich zur Stelle und wurde tätig?,“ wundert Mona sich.

„Dank seiner Polizei-Schwester hielt er sich in der Stadt auf. Um es kurz zu machen: Gut eine halbe Stunde später lag ein Chinese zermatscht gegenüber auf dem Bürgersteig. Unglücklicher Sturz vom Dach. Niemand auf der Straße hatte etwas gesehen oder gehört.“

„Du auch nicht?,“ fragt Corinna.

„Ich habe alles gesehen, durch das Fenster im Hoteltreppenhaus.“

Der Chinese auf dem Dach war mit seinem Zielfernrohr beschäftigt, beobachtete den Hoteleingang. Merkte nicht, wie Carey sich anschlich. Es kam zu einem zähen Kampf, bis BiBi den Mann an den Beinen packte – und abwärts ging ’s.

„Uaah! Nee!,“ schüttelt Mona sich, sieht mich mit großen Augen an.

„Und Du warst das Ziel?“

„Der Chinese hatte ein Foto von mir an sein Gewehr geklebt.“

Das Bild und das Gewehr nahm Carey natürlich an sich.

„Voll krass! Und, hat er das Gewehr noch?“

„Nein. Gleich danach sind wir rausgefahren mit seinem Jeep, nordwärts über die Golden-Gate-Brücke. Dahinter durch unbewohnte Hügellandschaft an den Pazifik; er kennt sich da aus.“

Zu einer abgelegenen Bucht mit steilen Felsklippen. Dort hat er das Gewehr ins Meer geworfen.

„Obwohl das Gewehr ein Beweismittel war?,“ wundert Corinna sich.

„Zugleich hätte es den Indianer mit dem toten Chinesen in Verbindung gebracht,“ hält Mona dagegen.

Für Carey war das alles unwichtig. In gut indianischer Denkweise mussten das Gewehr und die tödliche Absicht gegen mich im Meer versenkt werden.

Mona atmet entgeistert aus.

„Mann, Berkamp, das ist wirklich irre. Und Du warst geschockt, wie der Chinakohl da runter gestürzt ist; platsch, tot. Horror, oder?“

„Ein bisschen schon. Können wir jetzt über etwas anderes reden?“

Corinna hakt jedoch nach.

„Komm, Robert. Du musst damit umgehen. Also sag schon.“

Ich bemühe mich, die Erinnerungen an den Tag in San Francisco hinter mir zu halten, atme zweimal kräftig durch.

„Auf der Rückfahrt hat Carey mich kaum zu Wort kommen lassen.“

Hat mir das Denken des chinesischen Angreifers nahegebracht. Eine grausige Lehre.

„Der Chinese hat das ernst gemeint?,“ überlegt Mona.

Für den war das bloß ein Auftrag. Den führt er aus, so gut er kann. Wie ein Lehrling, der Löcher in eine Wand bohren soll. Damit sein Gangsterboss ihn lobt und ihm als Anerkennung ein paarhundert Dollar in die Hand drückt. Über das Opfer denkt keiner von denen nach. Das ist nur eine Zielscheibe, von Anfang an tot.

Nach längerem Schweigen murmelt Mona:

„Unvorstellbar, das ist mir völlig unvorstellbar, wisst ihr das.“

„Mir ging es bis dahin ähnlich, Mona. Wie gesagt, Black Buffalo Carey hat mir in der Beziehung Einiges beigebracht, schonungslos und hart. Das hat meinen moralischen Kompass verändert.“

„In wiefern?,“ fragt Corinna.

Wir sprechen inzwischen leiser als am Anfang unserer Unterhaltung.

„Für ihn gilt eine einfache Unterscheidung: Töten aus Notwehr oder aus Habgier.“

Wenn jemand diesen Unterschied gelernt hat, dann die indianischen Einheimischen. Töten aus Notwehr galt Carey nicht bloß als Recht sondern als Pflicht. Töten aus Habgier hat er entschieden abgelehnt. Früher, die weißen Siedler und Soldaten haben sich bedenkenlos über diese Regel hinweggesetzt.

Ein langer Augenblick der Stille. Bis ich hinzufüge:

„Das Wissen kann ich nicht ungeschehen machen.“

Was gibt es dazu noch zu sagen?!

„So einen Leibwächter wünsche ich mir auch.“

Sagt Mona. Dann mehr zu sich selbst:

„Obwohl ... bei Schusters Angriff hätte der mir auch nicht helfen können. Da war ich ja allein ... und vollkommen überrascht.“

Am Endes dessen, was für sie im Februar als Liebesbeziehung begonnen hatte.

„Vergangen, vergessen,“ meint Corinna.

Was man eben sagt zu Geschichten, an die man selbst sehr ungern erinnert wird.

Corinna und ich haben verabredet, Monas dreimonatige „Liebesbeziehung“ von uns aus nicht anzusprechen.

Der schlagfertige Liebhaber war Corinnas jüngerer Kollege Schuster.

Die unschönen Einzelheiten hat Mona uns erst mehrere Tage nach einer Schießerei mit ihm gestanden.

Die Zeit macht ihr immer noch zu schaffen.

Sicher rührt Monas Zufriedenheit mit unserem beinahe altmodischen Familienleben auch von ihren zunehmend gewalttätigen Erfahrungen im vorigen Frühjahr her. Ihr auf unsere Weise zu helfen, innerlich heile zu werden, ist mir ein Herzenswunsch. Wenn sie die schmerzlichen Erlebnisse von sich aus anspricht – was selten geschieht –, halten Corinna und ich uns mit Ratschlägen zurück, verlegen uns aufs Zuhören.

Jetzt fällt mir dazu nur ein:

„BiBi Carey hätte ihm wahrscheinlich das Genick gebrochen, sobald er davon erfahren hätte.“

„Ist ja, Gott sei Dank, nicht mehr nötig,“ stellt Mona seufzend fest.

„Ganz sicher, Mädchen,“ bestätigt Corinna.

Es sagt sich leicht.

Die Hexe zum Abschied

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