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Meine anfänglichen Zweifel verflogen nach wenigen Wochenenden. Weil alle drei zu der neuen Form des Zusammenlebens beitragen.

Oder weil wir einfach gut miteinander auskommen.

Die meiste Zeit jedenfalls.

Während der Woche geht jeder seinen eigenen Betätigungen nach und schläft in seiner Wohnung. Freitags absehbar zwischen vier und sieben Uhr nachmittags treffen „meine“ beiden Frauen in Steinbach ein. Wobei Corinna gelegentlich hervorhebt, wie sehr ihr Bewusstsein für regelmäßige Dienstzeiten gestiegen sei.

Die Wochenenden verlaufen überwiegend geruhsam, selten verstimmt, fast nie langweilig. Beim samstäglichen Einkaufsbummel – etwa in Bad Homburg oder im Frankfurter Nordwest-Zentrum – folgt jeder, bis auf die gemeinsame Hin- und Rückfahrt, eigenen Vorlieben. Sonntags fahren wir einmal im Monat in die Umgebung, an den Rhein, in den Odenwald oder in den Taunus, Mittagessen in örtlichen Restaurants inbegriffen.

Mit anteiliger Hausarbeit tun die beiden Frauen sich schwer; typisch. Meine Waschmaschine haben sie ins Herz geschlossen. Dafür geraten sie schon mal in Streit über die Nutzung der Kraftmaschine.

Bei Abendessen und Frühstück gilt Handy-Verbot. Außer wenn Corinna Dienstbereitschaft hat sowie direkt vor und nach Einsätzen. Wie die meisten Polizisten meidet sie die sogenannten sozialen Medien, pfeift – wie ihre Tochter und ich – auf Facebook und Twitter. Selbst Mona, die ab und zu ein Videospiel klickt, gelegentlich mit Kollegen aus der Firma und bevorzugt mit ihrer Freundin Sabine telefoniert, bekundet nach anfänglichem Klingelton-Entzug eine unvermutete Gelassenheit.

Herz, was begehrst du mehr?

Monas Anwesenheit ist eine Wohltat für unser Zusammenleben, auch wenn Corinna daran gelegentlich Zweifel anmeldet. Wenn ihr der Sinn danach steht, findet die Tochter treffsicher wunde Punkte bei ihrer Mutter und reizt sie gehörig. Die Mahlzeiten bieten dazu beste Gelegenheiten. Gemeinsam essen hat sich als eine hochgehaltene Selbstverständlichkeit eingespielt.

Oft beginnt die Würze zum Essen mit der unechten Frage:

„Sag mal, ... Mammi ...?“

In Monas Stimme eine feine Mischung aus gebotener Verwunderung, selbstgerechtem Vorwurf und lauernder Rauflust.

„Stört dich das nicht selbst?“

„Was denn, mein Töchterchen?“

„Sag nicht immer Töchterchen! Ich bin schließlich fünfundzwanzig. Na, mit dem Tee?“

„Was ist mit dem Tee, mein Schatz?“

„Schon besser. Wie Du den schlürfst?“

„Ja, wie schlürfe ich den denn?“

„Tu nicht so ahnungslos. Das hört doch jeder!“

Zwischenruf meinerseits:

„Die Leute nebenan auch?“

Mona, selbstgewiss:

„Aber wetten! Die ganz bestimmt. Wie ein Nilpferd im Opelzoo, eh es untertaucht, so schlürfst Du.“

Corinna, eine Spur gereizt.

„Also, nun mach mal einen Punkt, Mona. Sehe ich aus wie ein ... ich dachte, das heißt Flusspferd?“

„Wenn Du weiter so schlürfst, wer weiß?!“

„Wenn der Tee nun mal heiß ist? Ich will mir schließlich nicht den Mund verbrennen – wie Du das gerade wieder tust.“

„Mach dir da mal keine Sorge. Ich weise nur auf unbestreitbare Tatsachen hin. Außerdem gibt es kaltes Wasser; wenn ich mich nicht täusche, die ganze Leitung voll.“

„Du weißt doch, Mona, was wäre das Leben ohne ein kleines Laster.“

„Ein Laster so riesengroß, dass er durch kein Scheunentor passt.“

„Mona, der Laster ist ein Fahrzeug. Das Laster mag ich nun mal. Genussvoll Tee schlürfen.“

„Genuss, der anderen Leuten die Nerven raubt.“

Die nächste Runde steuert erfahrungsgemäß auf mich zu. Anfangs bin ich noch in Monas Falle getappt, habe verlegen rumgeredet. Inzwischen nutze ich das Mittel der provokativen Therapie: Je schräger die Erklärung, je unmöglicher der Lösungsvorschlag, desto größer die heilende, alle zum Lachen bringende Wirkung.

„Egoistin, Mammi. Du bräuchtest doch nur etwas pusten und dann leiser schlürfen. Was meinst Du, Berkamp? Stört dich das nicht?“

„Jetzt, wo Du es sagst, Mona, denkbar.“

Sie, leicht empört:

„Was ist denn das für eine Antwort? Stell dir mal vor, Du musst das die nächsten Jahre hören!“

Natürlich bin ich gebührend entrüstet.

„Entsetzlich, Mona, nicht auszudenken. Womöglich für hundert Jahre.“

Worauf Corinna ihren Griff zur Salatschüssel umlenkt und mir leicht gegen den Oberarm boxt.

„Jetzt fang Du auch noch an. Wo bin ich hier bloß reingeraten?!“

„Wieso? Wenn sie recht hat, hat deine Tochter recht.“

„Na bitte, da hörst Du es. Also!“

Corinna schaut etwas grimmig zwischen uns beiden hin und her.

Mona, mit dem Teelöffel auf mich deutend, fordernd.

„Ja, ... und, wie weiter? Hast Du auch einen brauchbaren Vorschlag. Gegen ihr Schlürfen, meine ich.“

„Selbstverständlich. Ganz einfach!“

Wir sperren Corinna in die Besenkammer, erkläre ich; sägen einen Schlitz in die Tür, durch den Tee nachgeschenkt wird. Und sie kann darin schlürfen, so lange und so laut sie will.

„Problem gelöst, jeder frönt ungestört seinen Leidenschaften.“

Mona ist klug.

Und offenherzig.

Bei einer dieser Gelegenheiten bekennt sie mit stockender Stimme, was wirklich dahinter steckt. Wie glücklich sie ist, ein Stück vom Traum des früher oft vermissten Familienlebens finden, nachholen zu können. Die heimlich gescholtene Corinna sitzt schweigend daneben, sichtlich gerührt, und nickt stumm.

Die Hexe zum Abschied

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