Читать книгу Die Hexe zum Abschied - Günter Billy Hollenbach - Страница 17

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Showdown! Am Kamin des „Schlosshotels“. Unachtsam von mir heraufbeschworen. Frau Conrads Ton lässt keinen Zweifel: Sie meint es ernst.

Also tun wir ihr den Gefallen. Wenn sie mich so lieb bittet, heute zum zweiten Mal. Ich hole tief Luft, spanne den Hintern an, hebe meine Arme über die Knie, spreize gut sichtbar meine Finger, schaue ihr fest in die Augen – und schnappe ihre beiden Hände.

„Vorsicht, Frau Conrad. Ich bin schneller.“

Unvermeidlich komme ich ihrem Gesicht sehr nah, wische mit einer Wange an ihrem dunkelbraunen Haar entlang, fühle ihren schnellen Atem, sehe ihre erschrockenen Augen dicht unter meinen. Zwei unserer Hände an der Wildlederjacke vor ihrem Bauch, ihre rechte von meiner linken auf das Polster gedrückt, spüre ich ihre Anspannung. Und sie meine.

Ich brauche zwei Sekunden, atme durch, lockere die Finger. Während ich langsam an meine Sofakante zurückweiche, führe ich unsere Hände zwischen uns zusammen.

Frau Conrad schluckt heftig, blickt mich mit weiten Augen an. Immer noch erschrocken, oder unsicher.

Am liebsten möchte ich ihr ein Freundschaftsküsschen auf die Nase drücken. Statt dessen versuche ich ein entschuldigendes Lächeln, halte ihre Hände sanfter fest. Sie zieht sie nicht zurück.

„Frau Sandner, unsere Corinna, ist jedes Mal verärgert, wenn ich auf der Schießbahn besser bin als sie. Seit meinem letzten Aufenthalt in den USA bin ich ziemlich gut, was Pistolen angeht. Und etwas furchtloser. Glauben Sie mir, Frau Conrad. Ich bin auf Ihrer Seite.“

Ich halte ihre beiden Hände weiter mit meiner linken fest, ziehe mit der rechten meine P 99 aus dem Halfter und lege sie ihr in den Jeanshosen-Schoß.

Statt nach der Pistole zu greifen, bleiben ihre Hände, wo sie sind.

„Okay, Frau Oberkommissarin, der Punkt geht an Sie. Jemand könnte die Neskovaja besuchen, um sie weiter einzuschüchtern. Und meine Fragen müssen Ihnen verdächtig erscheinen. Sie überlegen längst, wie Sie unser Gespräch möglichst unverfänglich beenden und ein Sondereinsatz-Kommando anfordern können.“

Ich muss mich zwingen, sie nicht zu umarmen.

„Also, hier meine amtliche Aussage: Ich war nie am Tatort, bin zu rückhaltloser Auskunft bereit, habe einen festen Wohnsitz, und es besteht keine Fluchtgefahr.“

Ihr seitwärts gewendetes Gesicht errötet, ihre Augen blinzeln wieder. Etwas in der Art hat sie gerade gedacht – Verstärkung anfordern oder mich anderweitig unschädlich machen.

Blöde Situation.

Wenigstens ist Frau Conrad ruhig sitzen geblieben, wirkt nicht, als habe sie die helle Wut oder das kriminalistische Jagdfieber gepackt. Wenn sie mich wirklich für den Täter hielte, hätte sie die Hände längst zurückgezogen. Oder sie ist meisterhaft darin, ihre wahren Absichten, vielleicht auch aufkommende Angst, zu verbergen.

Ich könnte mich ohrfeigen, habe nicht im Traum die Absicht, es mir mit der Frau zu verderben. Bei ihrer freundlichen Art. Und als Corinnas Kollegin.

„Bitte entschuldigen Sie, Frau Conrad. Das war ungeschickt von mir. Sie müssen mich ja verdächtigen. ... Nach einfacher Logik.“

Kunstpause, um zu sehen, ob meine Erklärung bei ihr ankommt.

Frau Conrad schaut mich abwartend an.

„Außer der einfachen gibt es eine „höhere“ Logik. Die benutze ich gelegentlich; auch bei diesem Fall. Ich gestehe: Meine Hauptkommissarin hält nicht viel von dem Verfahren. Und es nicht unfehlbar.“

„Aha! Höhere Logik. Stecken Sie die Kanone wieder ein, oder wollen Sie mich zu einer Dummheit verführen?“

Ich lasse ihre Hände los, stecke die Walther ein.

Frau Conrad lehnt sich laut ausatmend in ihr Sofapolster zurück.

Unwillkürlich muss ich lachen.

„Der zweite waffentechnische Vergleich in der kurzen Zeit. Das wird bestimmt noch etwas mit uns beiden.“

Sie schaut entgeistert zu Decke, lacht kurz, wenig belustigt.

„Sind wir uns wieder gut?,“ frage ich.

Sie nickt wortlos, schnauft hörbar erleichtert.

Um ein Haar lege ich meine Hand auf ihr wildlederbekleidetes Knie.

Ich schätze, ich finde sie mehr als nett, beginne die Frau zu mögen.

„Danke Ihnen. Also, Sie sind gewarnt. Seien Sie mutig, hören Sie sich an, was ich tue?! Selbst wenn es außergewöhnlich erscheint.“

Ihr Blick wird milder.

„Sie sprechen von ihrer „höheren“ Logik? Also, versuchen Sie es.“ „Richtig. Vorweg eine Bemerkung zu Ihrem psychologischen Profil, was mich wie der Täter erscheinen lässt.“

Punkt eins. Die polizeiliche Ermittlung ist ungebeten zu mir gekommen, durch die offene Wohnungstür, in der Person meiner Lebenspartnerin. Ich habe mich also nicht in Dienstliches eingeschlichen. Ich gestehe, dass ich bei solchen Themen aufmerksam zuhöre. Punkt zwei: Von dem Überfall auf die Russin habe ich erst am Samstag Abend erfahren. Kenne keine näheren Einzelheiten, Fotos oder Befunde vom Tatort. Bis heute weiß ich nicht, wo die Frau wohnt, habe sie nur einmal vor Monaten im Nordwest-Krankenhaus getroffen.

„Diese Aussagen mache ich reinen Gewissens.“

Frau Conrad schüttelt ihre Schultern ein wenig, fährt sich erst mit der rechten, dann mit der linken Hand durch ihre Haarwellen, rückt etwas näher in meine Richtung.

„Gut, Herr Berkamp, nach ihrer entwaffnenden Offenheit und gegen den unschönen Anschein, ich glaube Ihnen. Frau Sandner wird wissen, mit wem sie sich einlässt. Was ist nun mit Ihrer „höheren“ Logik?“

„Fein. Vorab: Bitte behalten Sie das für sich. Ich spreche jetzt vertraulich mit der Privatperson Vera Conrad. Habe ich darauf Ihr Wort?“

Sie überrascht mich, richtet sich etwas auf, streckt mir die rechte Hand entgegen und sagt zu einem festem Händedruck:

„Darauf gebe ich mein Wort. Wir reden privat und vertraulich ...“

Sie schaut sich flüchtig um und ergänzt:

„Auf dass jedes Dienstgeheimnis vor Neid erblassen möge.“

Mir wird warm ums Herz.

Danke dir, Vera Conrad.

Also schildere ich in knappen Sätzen die Entstehung und Arbeitsweise des „Remote Viewing“ und das, was ich heute Vormittag getan und vor meinem geistigen Auge gesehen habe.

Die Frau verblüfft mich. Sie springt nicht auf, um nach stämmigen Männern in weißen Kitteln zu rufen. Im Gegenteil.

Sie wartet zunehmend ungeduldig auf eine Möglichkeit zum Einhaken, beugt sich zu mir – die Augen jetzt wie hochglanzpoliert, ihr Ausschnitt zärtlich lächelnd – und sprudelt los:

„Ich weiß ... verstehe. Haben Sie den Film mit George Clooney gesehen, wo Agenten solange Ziegen anstarren, bis sie tot umfallen, in einem heimlichen Labor, während des Irak-Kriegs. Das hat es wirklich gegeben, eines der verrückten CIA-Programme. Alles mit reiner Gedankenkraft.“

Von dem Film habe nur gehört. Mir reicht, wenn die Conrad offen ist für das, was ich beschreibe. Und Verständnis hat, wenn ich das Gesehene überprüfen möchte. Wen sonst kann ich fragen? Ich räume ein, ich habe das Verfahren bisher noch nicht bei einem kriminalistischen Sachverhalt ausprobiert. Um so gespannter bin ich darauf, ob ich nennenswert erfolgreich war.

„Frau Sandner weiß von Ihrer seltsamen Kopf-Übung?!“

„Na klar; wie gesagt, mit vorsichtigem Misstrauen.“

„Kein Wunder. Das verträgt sich einfach nicht mit der üblichen Denk- und Arbeitsweise als Polizei. Obwohl, warum nicht? Wenn man es nicht überbewertet und nur als weitere Informationsquelle betrachtet.“

„Genau. Wobei ich selbst mit der größten Vorsicht zu Werke gehe. Schön, dass Sie darüber unvoreingenommen denken, Danke.“

*

„Also, sie haben das silberne Klebeband heute morgen während ihrer ... Gedankenreise gesehen, wie auch immer Sie das nennen? War das alles? Was sonst noch?“

„Noch einmal, bitte, Frau Conrad, Vorsicht, okay! Das sind bestenfalls kleine Hinweise, die mögen mir wichtig erscheinen, am Ende aber wenig bedeuten.“

Ich finde es wohltuend, ein offenes Ohr für meine Herangehensweise zu finden. Wenn es ihre Arbeit voranbringt, um so besser. Ich fasse mir ein Herz zu einem kühnen Schritt.

„Wissen Sie, was merkwürdig ist, Frau Conrad? Ich hatte bei meiner Bewusstseinsreise die ganze Zeit das Gefühl, am Tatort waren zwei Angreifer. Obwohl ich nur das Opfer und sonst niemanden gesehen habe. Da war eine Stimme, die hat „schnell“ gesagt; eine weibliche Stimme.“

Ich versuche erneut, die Stimme in mir zu hören, zucke ratlos mit den Schultern.

„Was ich daraus schließen soll, weiß ich nicht. Glauben Sie mir, ich bin selbst unzufrieden mit dem mageren Ergebnis.“

Unerwartet laut ertönt das Klingeln eines alten Amtstelefons über Frau Conrads Hüfte.

„Entschuldigung, muss leider sein,“ sagt sie halblaut.

Sie zieht ein schwarzes BlackBerry aus der Seitentasche ihrer Wildlederjacke. Nach einem kurzen Blick auf den flachen Bildschirm dreht sie sich in Richtung Kamin.

„Ich höre. ... Das gibt es doch nicht! ... Das darf doch nicht wahr sein! Wie ist das denn möglich, Corinna? Hast Du vielleicht? ... Nein, natürlich kein Wort, Du weißt doch, wie sehr ich diese Aasgeier hasse. Nein, ne, ... ich brauche noch ein paar Minuten, hier ... in Königstein, ja, ja, ich bin fast fertig. Und Du bist sicher, dass die Öffentlichkeitsarbeit .... Stimmt, ... gab ja nichts zu sehen. Was sollen wir machen? Abwarten, aussitzen. Oder hast Du eine bessere Idee?“

Frau Conrad streckt beide Beine aus, betrachtet ihre Pumps, fährt sich durch die Haare, wechselt das Telefon zum linken Ohr.

„Na schön, ist eben, wie es ist. .... Du auch, Corinna; bis nachher.“

Sie tippt auf das Geräts und steckt es wieder in die Tasche.

Nach einem stöhnenden Griff an die Stirn über die geschlossenen Augen dreht Frau Conrad sich mir zu.

„So ein Mist, diese Widerlinge!“

„Unsere Chefin?“

„Ja, Hauptkommissarin Sandn..., Corinna. Stellen Sie sich das vor: Die „Neue Presse“ und die „Rundschau“ haben in den Wochenendausgaben eine Meldung über den Überfall auf unsere Ärztin. Im Lokalteil, die „Neue Presse“ sogar mit einem Foto vom Hauseingang. Völlig ohne Bezug zum Geschehen. Es gab ja nichts zu sehen. Im Text wird von der Domina Tanja N. und einem perversen Freier fabuliert. Unsere Leute schwören, nichts rausgegeben zu haben. Die Öffentlichkeitsarbeit sowieso nicht angesichts der Ungewissheit des Geschehens.“

Zum Coachen gehört, schnell und treffsicher auf Aussagen oder körperliche Zeichen meiner Kunden einzugehen. Andererseits, nicht zuletzt durch die Gespräche mit meiner Hauptkommissarin, habe ich gelernt, mich bei überraschenden Neuigkeiten vor unüberlegten Schlussfolgerungen zu hüten. Zu den Zeitungsmeldungen kommen mir sofort mehrere Gedanken. Ich schweige aber.

Beachtlich ist, welchen Verdacht Frau Conrad kurz darauf äußert.

„Leider geschieht das immer wieder: Jemand aus den eigenen Reihen sticht etwas an die Presse durch, entgegen allen Unschuldsbeteuerungen. Um sich heimlich wichtig zu fühlen. Aber meist gegen Kohle. Bei der mäßigen Besoldung. Gott, ist das ärgerlich.“

„Kann auch einer der Rettungshelfer gewesen sein,“ halte ich dagegen. „Am Ende sogar der Täter selbst. Wie auch immer; sagen Sie Frau Dr. Neskovaja nichts von dieser Zeitungsmeldung.“

Die Conrad schaut mich verständnislos an.

„Wie? Was soll das jetzt?“

„Na ja, weil Sie noch bei ihr sind, während Corinna angerufen hat.“

Sie lacht leise los.

„Stimmt, ich bin ja noch in der Klinik.“

Die Hexe zum Abschied

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