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„Remote Viewing“ verleiht meiner Seele immer wieder Flügel.

Über die Fähigkeit zu verfügen, empfinde ich enorm bereichernd.

Ab und zu suche ich nach Möglichkeiten, damit etwas Nützliches zu tun. Eine Zeitlang habe ich morgens „vorhergesehen“ und notiert, welchen Wert drei DAX-Aktien abends bei Handelsschluss haben werden. Nur zum Üben meiner RV-Kraft. Ich handele nicht mit Aktien. Logisch, dass mich die Aktienkurse am Abend dennoch interessiert haben. In gut 85 Prozent der Fälle lag ich mit geringen Abweichungen richtig.

Wenn ich einmal Feuer gefangen habe, bleibe ich dran an einer Sache. Jetzt reizt es mich herauszufinden, ob zutrifft, was ich auf Entfernung „gesehen“ habe. Weil Frau Neskovaja damals einen netten Eindruck auf mich gemacht hat. Außerdem bekümmert mich, was ihr jetzt angetan wurde.

Am Ende der RV-Nachbereitung steht mein Entschluss.

Im Kopf formen sich bereits Arbeitsschritte für den Nachmittag. In den vergangenen Monaten haben sich nur wenige Coaching-Klienten zu mir verirrt. Folglich habe ich unter der Woche mehr freie Zeit als vor der USA-Reise. Montags, nach den meist üppigen Mahlzeiten des Wochenendes, fällt als Mittagessen bescheidener aus. Ein kerniges Müsli, ein Proteinriegel, dazu Obst und Tee.

Im Telefonbuch von Königstein ist kein Eintrag zu der Klinik zu finden, in die Frau Neskovaja eingeliefert wurde. Auf die Idee, im Internet zu suchen, komme ich nicht. Vor allem, weil ich keine Lust verspürt habe, den Computer mit Netzanschluss zu starten. Zwar besitze ich ein amerikanisches Satelliten-Telefon, behalte es aber nur besonderen Anlässen vor. Ein deutsches Mobiltelefon habe ich nicht – ohne darunter zu leiden; das gibt es tatsächlich! Also fahre ich kurz nach eins auf gut Glück los.

Im zweiten Anlauf.

*

Beim ersten Verlassen der Wohnung halte ich auf den obersten Stufen des Treppenhauses inne – „warum nicht?“ – und gehe zurück in die Wohnung. Aus dem dafür angeschafften Kleintresor im Schlafzimmerschrank hole ich meine Walther P 99-Pistole nebst dunkelgrauem Schulterhalfter, schnalle es um, ziehe die heißgeliebte, braune Bomberjacke, Marke Avirex, darüber.

Ob Hölle oder Hochwasser kommen – Du gehst nie ohne die Jacke aus dem Haus, verstanden,“ hatte Jonathan Weng mir eingeschärft, als er sie mir übergab. Mein chinesischer Betreuer im Auftrag von Janeys Eltern vor einem halben Jahr in San Francisco. Nur wer sich damit auskennt, sieht, dass es sich um eine getarnte Schutzweste handelt. Sie hält gängigen Pistolen- und einfacheren Gewehrgeschossen stand. Kein leeres Versprechen, wie ich schmerzlich am eigenen Leib erfahren musste. Als ich tatsächlich unter der Schulter getroffen wurde. Die Jacke mit den im Futter verborgenen Kohlefaser-Lamellen ist bärenfellwarm, etwas schwerer als normal und zäher in der Bewegung. Ich habe mich daran gewöhnt. Der Wert ihres Schutzes wiegt die Nachteile mehr als auf.

Sicherheitshalber stecke ich auch meine sachdienlichen Urkunden ein; Ausweis, Waffenschein und die Kennkarte als Privatdetektiv. Das Wort empfinde ich als einen Inbegriff der Lächerlichkeit. Jeder Mensch mit einem einfachen Gewerbeschein darf sein Treiben mit dieser Bezeichnung schmücken. Trotzdem lassen sich unbedarfte Bürger durch die beiläufige Erwähnung Privatdetektiv beeindrucken. Gelegentlich ist das sogar hilfreich. Eine Stunde für Text tippen, Foto einpassen, das Ganze am Laser-Drucker kopieren – und das Ergebnis kann sich sehen lassen. In Format und Plastikhülle wie eine Scheckkarte, mit hessischem Landessiegel versehen und in dunkelblauer Schrift auf hellblauem Hintergrund gedruckt.

Die Ähnlichkeit mit einem Polizeidienstausweis ist purer Zufall.

Selbstverständlich.

Kleider machen Leute.

Das spüre ich stets, wenn ich diese besondere Jacke anziehe. Sie macht aus mir weder einen „James Bond“ noch einen „Dirty Harry“. Von solchen Vorstellungen bleibe ich verschont. Derartige Flausen haben mir chinesische Sicherheitstrainer in San Francisco mit wenigen Handgriffen aus dem Kopf getrieben.

Dennoch; die Ausstattung verschafft mir ein verändertes Selbstgefühl, das Bewusstsein einer geringeren körperlichen Verwundbarkeit und einer erhöhten Drohfähigkeit. So gekleidet verspüre ich eine anregende, beinahe lustvolle Zuversicht, Übertätern stahlhart in die Augen blicken zu können. Sofern sich die Typen in meine Nähe trauen. Wie nicht anders zu erwarten, fallen mir wieder einige der Sicherheitsregeln ein, die ich in Kalifornien trainiert habe.

Während ich unbeobachtet durch das Treppenhaus abwärts gehe, ziehe ich die Pistole gut zehnmal, erst langsam, dann schnell. Für mich ist das weder unsinnig noch lächerlich. Nach dem, was ich in San Francisco erlebt habe. Besser, die Fertigkeit nicht brauchen zu müssen, als im entscheidenden Augenblick mit zitternden Händen dumm dazustehen oder ins Leere zu greifen.

Die Hexe zum Abschied

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