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SLADESlade Alive! Wolfgang Weber

[Polydor, 1972]

Schon als Kind hatte ich täglich Kontakt zu Kleinkriminellen. Nicht, weil ich in einer Familie mit zweifelhaftem Ruf aufwuchs, sondern weil meine Eltern ein Heim für junge Männer leiteten, die man auf Bewährung aus dem Knast entlassen hatte. Die »Probanden«, wie wir sie damals nannten, entstammten meist dem Drogenmilieu, was wir Kinder irgendwie spannend fanden. Sie hatten lange Haare und zauselige Bärte und verbreiteten eine einzigartige Duftmischung aus Bier, Zigarettenrauch (Schwarzer Krauser) und Schweißfüßen. Eines Tages Anfang der 70er, ich war 14 Jahre alt, kam ich von der Schule nach Hause, ich hatte mir soeben noch bei »Radio Beck« für 5 Mark die Single »Coz I Luv You« von Slade gekauft. An der Haustür traf ich Josef, einen der Probanden. Er hatte sich gerade im Tante-Emma-Laden Bier geholt. »Sieh mal, was ich habe«, sagte ich und zeigte ihm stolz das Cover meiner nagelneuen Platte. »Slade«, sagte er. »Die sind schwer in Ordnung.« Aber, so fügte er mit geheimnisvoller Miene hinzu, er könne mir da etwas anderes von Slade vorspielen, das noch weitaus besser sei als diese Single. Ob ich das mal hören wolle? »Klar«, sagte ich, und so gingen wir gemeinsam hoch auf sein mit Postern tapeziertes, penetrant müffelndes Zimmer. Er zeigte mir das Cover einer LP, es war rot und schwarz und sah für mich irgendwie furchterregend aus. »Das sind Slade live«, sagte er. »Das haut dich um.«

Mit der rechten Hand drehte er sich eine Kippe, während er mit der linken die Scheibe auf den Plattenteller legte. »Du musst das sehr laut hören«, murmelte er – eine Sekunde später begann das Inferno. Aus den Boxen dröhnte in ohrenbetäubender Lautstärke ein klopfendes Geräusch, als würde ein verrückt gewordener Gefangener immer wieder in Todesangst mit der Faust gegen eine Wand hämmern. Begleitet wurden die Schläge von einer krächzenden Stimme, die anscheinend um Hilfe rief. Das Ganze ging irgendwann in eine Art Lied über und erst viele Jahre später erfuhr ich, dass der erste Album-Song »Hear Me Calling« eigentlich gar nicht von Slade, sondern von Ten Years After stammte. Die nächsten Lieder kannte ich alle auch nicht, erst ganz am Ende gab’s noch eine Version von »Born To Be Wild«, das hatte ich schon mal in einer anderen, viel langweiligeren Fassung gehört. Da saß ich nun also in einer vollkommen verqualmten Bude mit einem vorbestraften, aber netten jungen Mann mit stolzen Koteletten, dessen Gesicht schwerste Unreinheiten aufwies und der sich eine Filterlose nach der anderen ansteckte, während er mittags um zwölf schon Bier aus der Flasche trank. Ein Stockwerk weiter unten kochte meine Mutter Blumenkohl mit Salzkartoffeln, hier oben in Josefs versiffter Bude tobte die Apokalypse. War das geil!

Rund 40 Jahre später flog ich nach Manchester, wo ich Noddy Holder, den krächzenden Sänger von Slade, interviewen durfte. Natürlich erzählte ich ihm meine Geschichte von »Slade Alive!« und fragte ihn auch, warum er beim Song »Darling Be Home Soon« so laut ins Mikrofon gerülpst hätte (was mich als Kind schwer beeindruckte). »Das war gar keine Absicht«, sagte Noddy und lachte ein schepperndes Lachen. »Das lag wohl daran, dass ich vor dem Konzert schon ein paar Bierchen gekippt hatte.« Das Schlimme sei nur, dass die Fans danach bei jedem Konzert diesen Rülpser von ihm erwarteten, und zwar immer beim Lied »Darling Be Home Soon«, und natürlich immer genau an der gleichen Stelle. »Ein paar Mal habe ich es noch gemacht, aber irgendwann übernahmen die Fans diesen Part.« Ich schaute ihn voller Bewunderung an und sagte: »Damals gab es den Begriff Heavy Metal ja noch gar nicht, aber eigentlich ist ›Slade Alive!‹ für mich das erste Heavy-Metal-Album der Welt.« Noddy, der mit seiner gelben Seniorenjacke wie ein schlitzohriger irischer Gutsherr wirkte, stutzte kurz, dann sagte er: »Yeah! So habe ich das noch gar nicht gesehen! Aber du hast Recht, Kumpel!« Und als er mir dann noch zum Abschied mit der Hand auf die Schulter klopfte, war das für mich wie ein Ritterschlag. Schade, dass ich das Josef nicht mehr erzählen konnte.

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