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SCORPIONSVirgin Killer Jochen Neuffer

[RCA, 1976]

Es gibt zwei Scorpions. Die alten von vor 1979 und die neuen von danach. Die neuen kennt jeder. Die alten kennt keiner – und das ist ein Fehler. Dabei waren schon ganze fünf Studioalben veröffentlicht, bevor man sich anschickte, die Welt zu erobern. Privatjet und gestreifte Gymnastikhosen inklusive. Album Nummer vier ist »Virgin Killer«. Für eine gewisse Berühmtheit hat seinerzeit wohl das Cover gesorgt. Es zeigt ein etwa zwölfjähriges nacktes Mädchen hinter Glas. Der Riss in der Scheibe verdeckt nur das allernötigste bzw. betont es sogar noch, denn der Blick des Betrachters wird unweigerlich auf die Mädchenmitte gelenkt. Zum Glück hatte die Plattenfirma, oder wer auch immer, ein Einsehen und so wurde bei den späteren Auflagen die Abbildung durch ein Gruppenbild – jetzt ohne Dame – ersetzt. Aber schauen wir nicht lange auf die Verpackung, sondern widmen wir uns dem Inhalt. Wir befinden uns im Jahre 1976. Die Band war in dieser Zeit vornehmlich damit beschäftigt, kleinere Turnhallen in der deutschen Provinz zu bespielen. Musikalisch waren sie allerdings für eine Hardrockband sehr breit aufgestellt – ganz und gar nicht provinziell. Man mag das als Zwischenstufe in der Entwicklung betrachten, die dann 1991 im Winde der Veränderung gipfelt, bestens verankert im deutschen Kollektivgedächtnis. Man kann es aber auch als vorläufigen Höhepunkt des kreativen Schaffens der Band betrachten. Die Scorpions stehen am Scheideweg. Der unsagbar sensationelle Gitarrist Jon Uli Roth, von dem bis zu diesem Zeitpunkt auch grob die Hälfte des Songmaterials stammte, hatte bereits die innerliche Kündigung vollzogen. Auf dem Folgealbum waren wesentlich weniger Kompositionen von Roth vorhanden. Die anschließende Japan-Tournee, festgehalten auf »Tokyo Tapes«, ist als letzter Dienst an der Band zu verstehen, da diese es bislang versäumte, sich nach adäquatem Ersatz umzuschauen. Eventuell bestand Hoffnung, Roth noch umstimmen zu können. Offensichtlich hat man sich nicht im Streit getrennt.

Roths Gitarrenspiel ist eine Mischung aus Hendrix-artigen Riff/Lick-Kombinationen und melodiösen, klassisch anmutenden Melodien. Eher nicht bluesorientiert wie bei amerikanischen oder englischen Bands. Naheliegend insofern, als die Tradition oder die Kultur, aus der ein Künstler stammt, dessen Schaffen beeinflusst, vielleicht auch nur unterbewusst. In der norddeutschen Tiefebene um Hannover finden sich nun mal keine Baumwollfelder. Aber hier lebte zum Beispiel ein gewisser Bach. Der deutsche Sonderweg im Hardrock jener Tage.

Obschon er hoch-virtuos agiert, sind seine Soli niemals bloßes Angeber-Gedudel. Jeder Ton sitzt, hat seine Funktion, ist songdienlich und insofern die eigentliche Definition einer Melodie-Gitarre. Nicht umsonst finden sich die Soli zu »Catch Your Train« oder »Sails Of Charon« in den Lehrplänen einschlägiger Gitarren-Hochschulen wieder.

Im krassen Gegensatz zu seinem Gitarrenspiel steht jedoch sein Gesang. Der ist eher monoton und gequält. Fast scheint es so, als müsse er jeden Ton herauspressen. Mit viel gutem Willen lässt sich jedoch auch hier eine Ähnlichkeit zu Jimi Hendrix konstruieren. Eventuell hat das Nacheifern dafür gesorgt, dass Roth nie so gesungen hat, wie es seiner Natur entsprochen hätte. Besonders deutlich wird dies bei »Hell Cat«. Der Song stößt den Hörer ohne Chance auf langsame Eingewöhnung in eine Gitarren-Lick-Orgie, die auch die harmonische Struktur des Songs bestimmt. Produktionstechnisch kommt Roths Gesang mal links, mal rechts und überlappt zudem. Es ist ein Schreien ohne Kraft. Ein heiseres Röcheln mit Spuk-Geräuschen. Buuuh! Nach einigem Hören und Verdauen jedoch entpuppt sich dieses sperrige Stück Musik als ziemlich persistent im aktiven musikalischen Gedächtnis. Hier zeigt sich der typische Effekt, dass Musik, die man sich mehr oder weniger mühsam erarbeiten muss, nachhaltiger wirkt als ein eingängiger Hit, der hier rein- und da rausgeht.

Am besten funktionieren Roth-Songs, wenn sie von Klaus Meine gesungen werden. Und von dieser Sorte gibt es zwei Stück auf dem Album, bei denen sich fast die Bezeichnung »Knaller« aufdrängt. Der eine ist der Titel-Song »Virgin Killer« und der andere die obligatorische Ballade »Yellow Raven«. »Virgin Killer« startet ebenso direkt wie »Hell Cat«. Das Killer-Lick hätte auch von Slayer sein können. Es variiert im Laufe des Songs, wird mal höher gespielt, dann wieder tiefer. Allerdings nie nach dem I, IV, V-Blues-Schema, sondern irgendwie anders. Durch diese Verschiebungen wird die Spannung während des gesamten Songs hoch gehalten, obwohl es eigentlich nur diesen einen Teil mit Variation gibt. Kein klassisches Strophe-Refrain-Solo-Muster und auch der McCartney’sche Mittelachter fehlt. Nebenbei bemerkt sind alle Gitarren auf dem Album auf Es, also einen halben Ton tiefer gestimmt. Die Vorwegnahme einer allgemeinen Tendenz im Metal, damit es untenrum brachialer klingt.

»Yellow Raven« hingegen ist der relaxte Ausklang aus dem Album. Es beginnt stimmungsvoll mit Brandungsgeräuschen und Möwen-Gesang. Ist es ein Sonnenuntergang am Meer in Indien oder die Morgenfrische in der Bretagne? Chorus-Gitarre und hohe Bassläufe bestimmen das Geschehen. Am Ende dann ein dynamisches 9-taktiges Outro-Thema. Das Lied nimmt ein wenig an Fahrt auf und wird dann ausgeblendet. Nicht die schlechteste Art einen Song – und in diesem Fall ein ganzes Album – zu beenden.

Es sind jedoch nicht nur die Songs von Roth, die dieses Album auszeichnen. Auch die Beiträge von Schenker/Meine sind – nun ja, frisch. Der Opener »Pictured Life« etwa scheint mit einer seltsamen Metrik daherzukommen. Es ist aber nur ein gewöhnlicher 4/4-Takt. Der Bassist jedoch verhält sich wie ein Deserteur, der den Gleichschritt seiner Kompanie mit frechen Zwischenschritten konterkariert und so vielleicht dafür sorgt, dass die Brücke am Ende nicht einstürzt. Bei »Crying Days« wieder das Muster des Sofort-Einstiegs. Der Song startet mit einem Gitarrensolo, um dann bei einem ausklingenden Tritonus zu verweilen. Einem Tritonus! So oft hört man den auch nicht im Hardrock der Siebziger.

Bei all den Betrachtungen bleiben die Texte diskret außen vor. Man muss Gesang manchmal als ein weiteres Instrument betrachten.

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