Читать книгу HEAR 'EM ALL - Группа авторов - Страница 26

Оглавление
THIN LIZZYLive And Dangerous Klaus Walter

[Vertigo, 1978]

Ich sei ja kein Metalhead, aber vielleicht hätte ich was von den Randbereichen zu berichten. Schrieb Frank in der Einladung zu diesem Buch. Ich habe dann die Randbereiche meines Poplebens auf Metalspuren abgesucht. Als Kind mochte ich Grand Funk Railroad ganz gern, musste aber schnell lernen, dass es uncool war, die zu mögen, war wohl Kindermetal. Mit vierzehn habe ich Frijid Pinks Version von »House Of The Rising Sun« so geliebt, dass ich die Single geküsst habe, als sie endlich bei »Elektro Effertz« eingetroffen war, dem einzigen Plattenhändler in Frankfurt-Hoechst. Den Kuss haben weder meine Classmates verstanden noch der Verkäufer. Während ich dies schreibe, läuft ein seltsam verwaschen-verwackeltes Schwarzweißvideo des Songs, und ich bin mir nicht sicher, ob das Verwaschen-Verwackelte künstlerische Intention ist oder miese Technik. Der Sänger von Frijid Pink sieht jedenfalls ungesund aus, der Song ist immer noch super, aber mehr Donnergrollhardrock als Metal, wenn ich das richtig verstehe. Lustigerweise ist mir Frijid Pink kürzlich wiederbegegnet auf »Detroitrocksampler«, eine Cheapo-Compilation in zwei Folgen, die ich für ein paar Euro bei »Glitterhouse Mailorder« bestellt hatte, nicht wissend, dass Julian Cope die Zusammenstellung besorgt hatte, der ja ansonsten eher für »Krautrocksampler« und seine postpunkneopsychedelische Band Teardrop Explodes bekannt ist. Sonisch wie ideologisch open minded bis beliebig interpretiert Cope »Detroitrock« so, dass unter diesem Dach Leute Platz haben, die sich im richtigen Leben eher aus dem Weg gehen dürften. Die Revolt-Rockband MC5 steht neben Iggys Stooges und dem golfenden Republikaner Alice Cooper, aber auch für die Amboy Dukes hat Cope ein Plätzchen, die Band des rechtsradikalen Waffenfetischisten Ted Nugent, für dessen einzigen Hit ich bis heute eine Schwäche habe: »I got the Cat Scratch Fever«, yeah. Nugent hätte sicher nichts dagegen, würde man ihn einen Rassisten nennen und unterstellen, dass er die Anwesenheit der Band Funkadelic auf einem »Detroitrocksampler« für keine so gute Idee hält, trägt sie doch den Funk schon im Namen und dementiert qua Hautfarbe die White Supremacy in Rock, also den durchaus erfolgreichen Versuch interessierter Lobbyisten, Rock als genuin weiße Errungenschaft darzustellen. Leute wie Paul Ryan, Spitzenmann der US-Republikaner, tun das auf eine Art, für die die englische Sprache das so schöne wie unübersetzbare Wort hilarious zur Verfügung stellt, bitteschön: https://www.youtube.com/watch?v=ovWwUefDVFc

Seine Playlist beginnt mit AC/DC und endet mit Zeppelin, sagt Paul Ryan. Im Präsidentschaftswahlkampf 2012 gab er den Young-Upstart-Rock’n’Roller als potenziellen Vize für den eher gesetzten Kandidaten Mitt Romney, dessen Playlist vorwiegend Fahrstuhlmusik enthält, so Ryan. Verloren haben sie beide, Obama hatte die bessere Playlist. Und Philomena Lynott. Die damals 81-Jährige war der Surprise Act im Obama-Supporter-Team. Kurz nach dem 2. Weltkrieg hat die weiße Irin Philomena eine Affäre mit dem aus Guyana stammenden Cecil Parris, einem schwarzen Mann. 1949 wird der gemeinsame Sohn Phil geboren, kurz darauf trennt sich das Paar. Phil wächst bei seiner Großmutter Sarah in Dublin auf. Ähnlichkeiten mit der Biografie Barack Obamas sind zufällig, kommen aber wie gerufen. Phil Lynott gründet Thin Lizzy, wird Rockstar und stirbt mit 36. Kannten die Republikaner Lynotts Lebensgeschichte nicht, als sie sich für »The Boys Are Back In Town« als Kampagnensong entschieden? Wussten sie nicht, dass Stimme, Bass & Körper von Thin Lizzy zu einem supergutaussehenden unehelichen Bastard Son gehörten, dem die weißen Mädchen nur so nachlaufen. Und am Ende gar die weißen Jungs?

Ausgerechnet »The Boys Are Back In Town«? Einer der großen Lizzy-Hits und Signatursong des sagenumwobenen Womanizers Phil Lynott. Philomena was not amused. Mutter Lynott untersagte die Verwendung des Songs für die Romney/Ryan-Kampagne. Niemals hätte ihr Sohn die Anti-Gay- und Pro-Reichen-Politik der Republikaner goutiert.

Auf »Live And Dangerous« folgt »The Boys Are Back In Town« auf den »Cowboy Song«, der fast nahtlose Übergang ist so ein Magic Moment des Sonnenaufgehens, der Erlösung, Befreiung, whatever, ein Augenblick so unfehlbar uplifting wie der Augenblick, in dem Dusty Springfield sich mit den Worten »since you went away« als Pet Shop Girl vorstellt, nach 96 Sekunden »What Have I Done To Deserve This«, oder der Augenblick, als »Tainted Love« in »Where Did Our Love Go« umschlägt, in Soft Cells Extended Version, oder jener Transzendenz-Moment, in dem Clarence Carter seine mächtige Stimme zum Gesang erhebt, nachdem er 4.07 von fünf Minuten damit verbracht hat, darüber zu sprechen, wo und wie diese und jene Tiere Liebe machen, um dann endlich »At The Dark End Of The Street« zu singen, so zu singen, dass mich immer, wirklich immer, eine Gänsehaut erwischt. Wobei ich mir gerade nicht so sicher bin, ob ich den großen Lizzy-Moment den Lesern dieses Buches mit solchen Vergleichen schmackhaft machen kann. Egal, ich hatte einen tollen Abend beim Wiederhören von »Live And Dangerous« und »Live At Budokan« von Cheap Trick, das hier eigentlich noch ausführlich gewürdigt werden sollte, wozu der Platz nicht reicht. Zwei glorreiche Ausnahmen von der Regel, dass Live-Alben immer scheiße sind und meine zwei Metalplatten für die Insel, wobei Cheap Trick ja eher so Beatles-Bubblegum-Metal sind. Was noch?

1. Tonight. Es gibt nicht viele Sänger, die das Wort »Tonight« derart mit Erwartungen aufladen können und sich dabei nur kleinere Manierismen gönnen. Das Album beginnt mit Lynotts Ankündigung: »Tonight there’s gonna be a jailbreak« – und es ist Drohung und Versprechen zugleich. Mütter sperrt die Gefängnisse zu, sonst kommt Lynott in die Stadt.

2. Detroit. Auf Julian Copes »Detroitrocksampler« würden Thin Lizzy super passen, zwischen Funkadelic und Bob Seger System. Seger (ohne System) covern sie auf »Live And Dangerous«, seinem »Rosalie« geben sie einen ganz und gar unheavy Swing mit, den der hart arbeitende Detroiter nie hinbekommen hätte. Bei 184 Sekunden schnippen sie noch so einen magischen Moment in the air.

3. Funkadelic. Wäre auch ein Adjektiv für Lynott. Das ist eine Chance, dich rauszutanzen aus deinen Beschränkungen, heißt es in »One Nation Under A Groove«, dem populärsten Song von George Clintons Band Funkadelic. Auf dem gleichnamigen Album geht es darum, Beschränkungen und Grenzen zu überwinden, politische, soziale, musikalische, exemplarisch in dem Song »Who Says A Funk Band Can’t Play Rock?!« Die rhetorische Frage ist Clintons Antwort auf die tendenziell rassistische Segregationslogik der Musikindustrie. Nach dieser Logik ist Rock eine genuin weiße Musik, Afroamerikaner – oder Afroiren (ja, das Wort sieht komisch aus ohne Bindestrich) – haben sich gefälligst auf die als Schwarz markierte Musik zu beschränken, also Soul und Funk.

4. Bass. »More felt than heard, bass connects us to the entire spectrum of music and sonic experience.« Schrieb das »Wire«-Magazin mal in einer Titelgeschichte: »Low End Theories – ›Wire‹ responds to Bass«. Thin Lizzy mit Lynotts Bass kamen da nicht vor. Dabei stelle ich mir als Nichtmetalhead und Nichttänzer die Frage, die ansonsten bei Drum’n’Bass auftaucht: Tanze ich auf den Beat oder auf den Bass? Tatsächlich wäre »Live And Dangerous« eine Platte, auf die ich tanzen könnte, könnte ich tanzen.

HEAR 'EM ALL

Подняться наверх