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AC/DCPowerage Kristof Schreuf

[Atlantic, 1978]

Burkhard und ich wohnten im gleichen Dorf in Schleswig-Holstein. Von den 1200 Einwohnern lebte die Hälfte in zwei Altersheimem. Im Nachbarort hatten sich Burkhard und ich im Fußballverein getroffen. Er habe eine Platte, sagte Burkhard, die er verkaufen wolle. Einen Kratzer hätte sie abgekriegt, deshalb könnte ich sie für nur vier Mark haben. Die Platte sei von »AC/DC«. Er fragte, ob ich diese Band kennen würde.

Während Burkhard redete, schien die Abendsonne durch sein Haar. Alle paar Silben schwenkte er den Kopf nach links, dann nach rechts und wieder zurück, als müsste er immer noch schauen, wohin seine Mitspieler den Ball gerade passten. Am Wochenende glänzte Burkhard bei Spielen gegen andere Mannschaften, während ich auf der Auswechselbank saß. Um endlich mal mit ihm mithalten zu können, log ich: »Na, klar kenn ich Ehßiehdissi.«

In meinem Zimmer wischte ich den Staub vom Plattenspieler. Es war Ewigkeiten her, dass ich darauf Platten gehört hatte, Hörspiele des Labels Europa, etwa das Weltraum-Abenteuer »Raumschiff UX-3 antwortet nicht« oder »Hui Buh, das Schlossgespenst«. Nun legte ich Ehßiehdissi auf.

In der Wohnung, zu der das Zimmer gehörte, lebten vier Leute. Ingrid und Günter waren zuerst dort eingezogen. Die beiden hatten ein Kind bekommen, es Kristof genannt, und dann noch eins, das hieß Murdock. Während aus den zweien erst drei und dann vier wurden, schnappten sie bei Arbeitskollegen auf, dass sie ihre Vornamen ablegen und stattdessen Bezeichnungen wie »Mutti«, »Papi«, »Tochter« und »Sohn« tragen sollten. Damit aber fühlten sich alle vier auf Anhieb unwohl. Denn keiner wollte sich so offensichtlich auf andere beziehen, und noch weniger sollten sich andere auf sie oder ihn beziehen können. Als »Familie« kamen sie sich daher vor, als steckten sie sämtlich in derselben Falle. Um sich weniger voreinander zu genieren, vergaß jeweils einer von ihnen, dass es die drei anderen überhaupt gab. So wurden Wortwechsel zwischen ihnen selten. Stille legte sich um sie wie ein Wintermantel, den sie allerdings das ganze Jahr trugen. Auffällig unterbrochen wurde die Stille nur, wenn sich die zwei Älteren zankten und anschrien. Zu weiteren Unterbrechungen kam es, wenn die zwei Jüngeren die Älteren nachahmten. Sie schrien sich umso lauter an, je weniger sie wussten, warum.

Die erste Seite von Burkhards Platte war zu Ende. Malcolm Young und Angus Young hatten Gitarrenakkorde angeschlagen, Phil Rudd hatte getrommelt, Cliff Williams den Bass bedient und Bon Scotts Beitrag bestand aus »Vocals«, das konnte ich auf dem Rückcover der Platte lesen. Auf dem Album »Powerage« von AC/DC, wie es vorne drauf stand, spielten demnach fünf Leute mit, sogar einer mehr als in dieser Wohnung wohnten. Trotzdem machten die Bandmitglieder nicht den Eindruck, als würden sie sich beim Musikmachen genieren, zanken oder gegenseitig ignorieren. Ja, sie schienen noch nichtmal schlechte Laune von sich selber zu kriegen, und das machte mich wütend. Denn wenn AC/DC das nicht taten, konnte mir diese Band auch nichts sagen. Mit diesem Urteil war meine Welt wieder in Ordnung und ich stolz wie Bolle. Ich tat, als hätte ich gute Gründe, um die Platte gar nicht erst umzudrehen, geschweige denn mir die zweite Seite anzutun.

Für einen Moment herrschte die gewohnte Stille im Zimmer, anschließend in der Wohnung und schließlich in ganz Norddeutschland. Dann hob ich den Tonarm erneut aus der Ablagestütze und setzte die Nadel in die Einlaufrille. Bei diesem zweiten Mal passierte etwas. Zunächst wurde ich von der Tarantel gestochen und als nächstes vom wilden Watz gebissen. Danach wollte ich nichts lieber tun, als mich möglichst oft von AC/DC stechen und beißen zu lassen. Das Problem dabei bestand nicht darin, dass mir diese australische Band gefiel. Das Problem war, dass sie mir zu gut gefiel. Viel zu gut. Erst kam ich mir unverschämt vor, dann maßlos unverschämt, ich fühlte mich prächtig und gleichzeitig ging mir die Muffe.

Am nächsten Morgen radelte ich wie jeden Morgen zur Schule. Während einer Freistunde saßen wir an einem Tisch in der Eingangshalle, pokerten und klopften Sprüche. Der Einsatz betrug 10 Pfennig. Wollte einer viel wagen, erhöhte er um 20 Pfennig. Wenn er um 50 Pfennig erhöhte, bedeutete das für uns den größtmöglichen Nervenkitzel.

Ralf setzte sich dazu, doch nicht, um mitzuspielen. Er war weder größer noch stärker als wir, aber er konnte uns trotzdem einschüchtern. Mit unbewegtem Gesicht sagte er: »Ona hat Sex mit Tieren.« Ona löste problemlos Mathe-Hausaufgaben, rannte auf den Sprintstrecken allen 750 Mitschülerinnen und Mitschülern davon und hatte noch nie Sex gehabt, genau wie alle anderen am Tisch. Aber keiner traute sich, ihm zu widersprechen. Ralf schaute Andi an, bis der den Fehler machte, den Blick zu erwidern. In dem Moment sagte Ralf: »Behindert.« Andi senkte die Augen wieder auf seine Karten und bemühte sich zu lächeln. Ralf wartete etwas ab, dann wiederholte er: »Behindert.« Niemand rührte sich, und außer Ralf gab keiner einen Mucks von sich.

Wir hatten uns schon früher von ihm zur Schnecke machen lassen. Doch an diesem Tag klang nicht nur Ralf anders als sonst. Irgendetwas stimmte mit der Akustik nicht. Denn ob Ralf jemanden demütigte oder ob der Gedemütigte Sprüche klopfte, beide hörten sich an, als würden sie aus immer größerer Entfernung sprechen. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Seit gestern mochte ich AC/DC, aber was bedeutete das?

Die einzige Veränderung zeigte sich in der einen oder anderen Unterhaltung. Armin erklärte kurz vor dem Bio-Unterricht, was er von AC/DC hielt: »Die Musik ist ja ganz okay.« Er verzog sein Gesicht, als bekäme er gerade Kopfschmerzen: »Aber diese Stimme!«

Sicher, Bon Scott sang nicht wie ein Regensburger Domspatz.

Zwei Monate später begleitete ich Barbara zum S-Bahnhof Reinbek.

»Findest du AC/DC immer noch gut?«

»Klar.«

Sie sah mich an, als weigerte ich mich, ein schwer leckgeschlagenes Schiff zu verlassen, das spätestens, wenn ihr Zug kam, auf den Grund des Marianengrabens gesunken sein würde.

Die meisten hier erwähnten Menschen habe ich seit sehr langer Zeit nicht mehr gesehen. Aber wenn sich zum Beispiel der Produzent Rick Rubin das Riff des Songs »Overdose« borgte, damit die Beastie Boys »(You Gotta) Fight For Your Right (To Party!)« darüber rappen konnten, wenn die Mannschaft des FC St. Pauli zu »Hells Bells« auf den Platz lief, wenn der Boxer Graciano Rocchigiani zum gleichen Stück in den Ring stieg, wenn die Musikerin Bernadette La Hengst »Ride On« sang, wenn der Pop-Philosoph Butthead ein T-Shirt mit der Aufschrift »AC/DC« trug, wenn die Rriot-Grrrl-Band Parole Trixi unter der Überschrift »Girls Got Rhythm« auf Tour ging, wenn Take That während eines Auftritts wie Angus Young Mützen mit Hörnern trugen, wenn die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer in einem Interview erklärte, dass sie sich für Fraktionssitzungen mit dem Album »Highway To Hell« in Stimmung brächte, und wenn heute Timm Völker von der Band 206 ein Stück mit dem Produzenten und Musiker Tobias Levin schreibt oder Tobias Levin eins mit mir, dann denke ich an Ona, an Andi und sogar an Ralf, an Armin, an Barbara und an Burkhards Haar in der Abendsonne. Ohne AC/DC würde ich mich nicht daran erinnern.

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