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THIN LIZZYRenegade Frank Schäfer

[Vertigo, 1981]

Phil Lynott hatte schon für das Vorgängeralbum »Chinatown« Snowy White in die Band geholt, um neben Scott Gorham, dem Mann der gröberen Kelle, auch einen adäquaten Sparringspartner für die ruhigen, blauen, elegischen, eben für die Nicht-Hardrock-Pieces zu haben. Ein fulminanter Fehlgriff. Der kopfhängerische White passte nicht zur Band, jedenfalls nicht auf der Bühne. Er spielte den harten Rocker nur, und er war kein guter Schauspieler.

Man muss sich nur Thin Lizzys »Rockpalast«-Auftritt auf der Loreley 1981 ansehen, da wird bereits ziemlich offensichtlich, dass es für diese Besetzung keine große Zukunft gab. Lynott, der immer ein gutes Händchen hatte für Bühnenpathos und die große Geste, lässt bei der obligatorischen Bandvorstellung die Ansage für ihn so lustlos ausfallen, dass man sich zunächst wundert. Aber dann auch wieder nicht, denn dieser zurückhaltende, auf der Bühne beinahe linkisch agierende Peter-Green-Adept zeigt hier unmissverständlich, dass er in einer Hardrock-Band nichts verloren hatte. White spielt lustlos, fahrig, ungenau bei den Twin-Leads, und vor allem wenn er die Solo-Lücken füllen muss, die sein Vorgänger Brian Robertson hinterlassen hat, wirkt er schon fast peinlich deplaziert. Ihm fällt einfach nichts ein im härteren Kontext.

Trotzdem hat Snowy White auf ewig ein Platz in meinem Herzen. Denn als stilistisch flexibler Sidekick und nicht zuletzt als Lynotts Kollaborateur beim Songwriting hat er Thin Lizzy zu »Renegade« verholfen, dem untypischsten, abwechslungsreichsten, meistgehassten und mir liebsten Album der Band. Das hat natürlich auch etwas zu tun mit meiner körperchemischen Gesamtdisposition damals, die offenbar ideale Rezeptionsbedingungen schuf. Ich war gerade versetzt worden in Klasse 11 – Oberstufe, Baby! Man hatte uns zuvor einiges versprochen auf diesem kleinstädtischen niedersächsischen Gymnasium. Höfliche Anrede, annähernd freie Kurswahl, Eigenverantwortlichkeit. Irgendsowas. Aber es änderte sich nicht viel. Und dann änderte sich doch etwas. Ich war verzaubert von einer dunkelhaarigen Schönheit ein paar Jahrgänge darunter.

Es lässt sich kaum leugnen, wenn ich nicht hormonell entsprechend geeicht und wenn dieses Album nicht von Thin Lizzy gewesen wäre, hätte ich mit Sicherheit einen großen Bogen darum gemacht. Eigentlich war man härter drauf, viel härter – »Ace Of Spades«, »Strong Arm Of The Law«, »Angel Witch«, »Blizzard Of Ozz«, »Breaker«, »Mob Rules«, »Night Of The Demon«, »Killers« natürlich, ja, und auch »Welcome To Hell«, so hart war man nämlich drauf.

Und was gab es hier? Mit »Angel Of Death«, »The Pressure Will Blow« oder »Hollywood« eine Handvoll eher leidlich robuster Rocker und darüber hinaus nur stilistisch dubiose Leisetreterei. Es ist schon erstaunlich, was sich die von Lynott unter tätiger Mithilfe von Snowy White verführte Band hier alles leistet. Eine grandios schluffige Swing-Jazz-Hommage an »Fats« Waller, eine berückend melancholische Pop-Meditation über das Erwachsenwerden, »It’s Getting Dangerous«, oder das mit Flamenco-Gitarre, Steel Drums und Rasseln aufgepimpte Folk-Melodram »Mexican Blood«. Dass die Señorita sterben muss, steht schon im zweiten Vers fest, aber es bleibt ein herzzerreißendes Trauerspiel bis zum Schluss.

Es hat schon eine Weile gedauert, mir das alles schönzuhören. Der erste Türöffner war das Titelstück, ein Geniestreich. Eine dieser herzzereißenden Elegien, für die Thin Lizzy seit »Still In Love With You« und »Dancing In The Moonlight« berühmt waren, für die Phil Lynott nicht nur das Gespür, sondern auch die richtige Stimme besaß. Dieses immer etwas heisere, zwischen irischer Whiskeyrüpeligkeit und fragilem tiefschwarzen Soul schwankende Sehnsuchtsorgan.

»Renegade« beginnt mit einem leicht eckigen, von sanftem Gitarrenpicking fundierten, sich sofort in die Hirnrinde einfräsenden Basslauf. Der reinste Kitsch, aber die grobe Körnung der jetzt anhebenden Stimme treibt dieser kleinen Schmonzette sofort die Larmoyanz aus, schleift sie um zu einer authentischen Passionsgeschichte. Ein Außenseiter tritt auf, verloren, gefallen, von der Gesellschaft verlacht. Ein Archetyp. Aber Lynott haucht ihm nicht nur individuelles Leben ein, er schenkt ihm seine ganze Empathie. »He’s just a boy, that has lost his way, / He’s a rebel, that has fallen down. / He’s a fool, that’s blown away, / To you and me, he’s a renegade.«

So ganz freiwillig, das zeigt die zweite Strophe deutlicher, scheint er nicht so geworden zu sein. »He’s a clown, that we put down, / He’s a man, that doesn’t fit.« Es folgen, wie üblich, kompensatorische Ausbruchsversuche. »He’s got a bike, and that’s his throne. / And when he rides, he’s like the wind, / To you and me, he’s a renegade.«

Langsam lässt nun auch »the one and only Brian Downey on drums« die Zügel los und den Rhythmus laufen. Danach werfen die beiden Gitarristen ihre schweren Maschinen an. Die Gesellschaft bekommt endlich zurück, was sie ihm angetan hat. »He’s just a boy, that has lost his sights, / He’s a stranger, that prowls the night. / He’s a devil, that’s right …«

Lynott ist weiterhin auf seiner Seite. In der Live-Fassung (»Lif/ve«, 1983) nimmt er sein Verdikt sogar halb wieder zurück: »He is a devil and angel …« Und jetzt stellen sich die Leadgitarren breitbeinig vor die Worte und singen ihr zweistimmiges Klagelied. Es braucht eine Weile, eine eigene Bridge, um mühsam wieder herunterzukommen. Aber dann fängt der Song noch einmal von vorn an, auf einer höheren Ebene, steigert sich zu einer gospelartigen Anrufung des Höchsten, als würde hier ein Vater um Gnade für seinen Sohn flehen. »Oh please, I’m on my begged, bended knees, / Oh please, please heed my call. / He’s just a boy, that has lost his way, / He’s just a boy, that’s all.«

Und spätestens hier, begleitet von Snowy Whites tieftraurigen Blueslicks halb aus dem Off, offenbart sich, was der Song eigentlich ist: eine Trauerrede! Dass dann noch einmal die Gitarren losbraten müssen, hat eher kathartische Wirkung. Das Fell wird versoffen. Eigentlich ist dieser große Song hier vorbei.

Man fragte sich später, wen Phil Lynott eigentlich gemeint haben mochte. Vielleicht am Ende sich selbst? War »Renegade« sein eigener Nachruf zu Lebzeiten? Als Oberstufenschüler auf einem kleinstädtischen niedersächsischen Gymnasium, verzaubert von einer viel jüngeren dunkelhaarigen Schönheit, fragte ich mich erst mal gar nichts. Ich wusste einfach, dass der Song auch mich meinte.

Vor vielen Jahren spielte Snowy White mit seinem Blues-Trio in der legendären Landrockdisco Schlucklum in Lucklum. Sein kleiner Greeny-Gedächtnishit »Bird Of Paradise« war noch nicht vergessen hier in der ehemaligen Zonenrandpampa. Ich kannte die Sound- und Lichtmixer und trank ein Bier mit ihnen vor der Show. Sie schwärmten von Snowys Professionalität. »Du musst überhaupt nichts machen, der klingt einfach.« Von Divengehabe natürlich auch keine Spur. Das einzige, worauf er Wert legte, war ein Scheinwerfer, der immer schön auf seine Les Paul Gold Top zielte. Und die erstrahlte dann auch in güldenem Glanze an diesem bluesbeseelten Abend bald nach der Grenzöffnung.

Ich hatte mir so ein bisschen vorgenommen, »Renegade« zu fordern, falls er es nicht sowieso und ganz regulär spielen würde, was er nicht tat, aber ich ließ es. Ich wollte ihn nicht verunsichern. Ein so feiner Mensch. Er sollte einfach einen schönen Abend haben mit uns. Aber dann grölte ein Dorftrottel aus seiner Schlucklumer Einzelsäuferkoje mehrfach und durchdringend »The Boys Are Back In Town«. Snowy huschte ein scheues, melancholisches Lächeln übers Gesicht. Er schüttelte sanft den Kopf. Und alles war gut.

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