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QUEENSheer Heart Attack Steffen Greiner

[EMI, 1974]

Die erste Band, die ich je gehört habe, also: wirklich gehört habe, war Queen. Der erste Star, den ich wirklich verehrte, war Freddie Mercury. Mit zwölf durchschritt ich mein Kinderzimmer mit nacktem, schwitzendem Oberkörper, mit einem Mikrofonständer aus Luft in der Hand und aufreizendem Blick in ein Publikum aus Tapete, Buchregal und Fenster. Mercury-Werden ist einfach: den Unterkiefer zurück, den Oberkiefer für den charakteristischen Oberbiss ausstellen, die linke Hand zur Faust ballen. Mercury-Spielen macht dem Zwölfjährigen Spaß, weil Mercury-Sein kein Geheimnis hat, keine tieferen Kenntnisse einer Welt verlangt, die der Zwölfjährige nicht verstehen kann. Freddie Mercury ist ein Mann, der einen Mann spielt – ganz eindeutig spielt, ohne darin restlos aufzugehen, und von Mercurys Sexualität, oder von der Person Farrokh Bulsara, wie Mercury eigentlich hieß, müssen wir hier gar nicht reden. Und damit die Verwirrungen vom Jung-Sein in einer zweigeschlechtlichen Ordnung, wenn alles als ein Rollenspiel unter hohem Erwartungsdruck erscheint, ein wenig auflockern: Freddie Mercury ist Judith Butlers Performanz-Theorie in Gestalt eines Popstars.

Ich frage mich, ob Queen Musik für Kinder ist, und glaube ja: weil die Band spielt. Selbst Epos nur spielt, wo es episch wird, Komplexität spielt, wo hinter den Verschachtelungen doch immer wieder nur ein lachender Clown sitzt statt eines steinernen Riesen. Das macht auch das irgendwie Faschistoide, das Massenhypnotische an Queen zu einem queeren Spiel, gerade, wo sie keine Queerness auf die Bühne bringen. In der Musik von Queen ist die Möglichkeit zu allen Begehren angelegt, ohne dass es über die Musik hinaus Realität werden müsste. Dazu muss niemand misogyn Hausfrauentrash spielen, wie das später geschehen bei »I Want To Break Free« wird: Dazu reicht ein Album, das metallische Härte und campe Weichheit gleichberechtigt nebeneinander stehen lässt, sich für nichts entscheidet – außer für einen lachenden triumphalen Gestus, der allen gehört: Über-Pop.

»Sheer Heart Attack« ist darum das archetypische aller Queen-Alben. Nicht nur, weil es mit »Now I’m Here« und »Killer Queen« zwei der bekanntesten Stücke der Band präsentiert. Es ist in seiner Stilvielfalt Möglichkeitsraum für Publikum und Band. Ein Medley beginnt mit einem 1950er-Halbstarken-Rock-Pastiche, geht in ein Speed-Metal-avant-la-lettre-Stück über, um in eine Piano-Ballade zu münden. Brian May dreht an der Gitarre schon im ersten Stück »Brighton Rock« ab, eine luxuriös übergeschnappte Mod-Lovestory mit Kirmes, 1940er-Oldie und vielfach aufgesplitteten Gitarrensignalen, Show-Off, Poesie, Glam. Vieles auf »Sheer Heart Attack« scheint aus kindlicher Fantasie entwickelt: Die Halbstarken, die Kirmes und Al Capone verweisen auf die Epoche, in die die Bandmitglieder hineingeboren wurden, die eine des Aufbruchs ist, aber auch die dunkle, sehr englische Fantasy-Welt, die Mercury sich auf dem Vorgängeralbum »Queen II« vom viktorianischen Maler und Mörder Richard Dadd geborgt hat, wird weiter ausgemalt. Es gibt Vaudeville über Edel-Nutten (»Killer Queen«) und Ragtime über Ganoven (»Bring Back That Leroy Brown«), es gibt ein mysteriöses, gleichzeitig musikalisch sehr plaines Stück über »Stormtroopers In Stilettos«. Ist das einfach erzkonservativ – oder schon BDSM?

Wenn ich heute manchmal nachts nach Hause fahre, mit dem Fahrrad über die überdimensionierten Straßen am Alexanderplatz, Straßen, die in ihrer BIGNESS genauso dämlich geil sind wie die Musik von Queen, erwische ich mich dabei, wie ich die leere Fahrbahn als Bühne nutze. Die linke Hand bildet dann eine Faust, die seitlich am Körper entlang nach oben und rechts vor den Körper geführt wird, der Bizeps spannt sich, und mein Oberkiefer schiebt sich nach vorne, zu einem leichten Überbiss.

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