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AEROSMITHGet Your Wings Torsten Groß

[Columbia, 1974]

Der Blitz durchfuhr mich beim Staubsaugen. Überhaupt ist Staubsaugen ja eine hochmeditative Tätigkeit, bei der einem die besten Ideen kommen, das ist bekannt. Immer wieder findet man außerdem längst verloren geglaubte Dinge oder alte Bananenschalen. An diesem ganz besonderen Tag jedoch fand ich etwas, von dem ich gar nicht wusste, dass ich es jemals besessen hatte.

Ich saugte also Staub, schob gedankenverloren ein Kissen zur Seite – und plötzlich lag da diese Kassette auf der Couch. TDK 90, ein Klassiker. Ich besaß viele solcher Tapes, aber dieses hier hatte ich noch nie gesehen. Irgendjemand, meine Schrift war es nicht, hatte in einer kläglichen Imitation des klassischen Adler-Bandlogos den Namen Aerosmith draufgekritzelt. Ein Freund musste die Kassette bei mir vergessen haben, doch trotz umfangreicher Recherchen hat sich bis heute keiner gefunden. Seitdem bin ich geneigt, an göttliche Fügung zu glauben.

Jedenfalls legte ich die Kassette aus einer spontanen Neugierde heraus sogleich ein und war vom Donner gerührt, schockverliebt, von einer Welle der Euphorie durchflutet. Das wahre Leben, da gab es keinen Zweifel, würde jetzt beginnen.

Aerosmith waren von der Kritik als Rocktrottel oder billige Stones-Kopie verdammt worden, als sie 1973 mit ihrem zugegeben etwas rustikalen Blues-Rock-Debüt auftauchten. Damit teilten sie das Schicksal von AC/DC, Led Zeppelin und beinahe allen großen Hardrock-Bands der Siebzigerjahre: Gute Kritiken bekam damals keine dieser Bands. Was Aerosmith nicht mit Zeppelin teilten, war deren Virtuosität: Grobschlächtig, unbehauen, tatsächlich ein bisschen schlicht wirkten auch die meisten Songs auf »Get Your Wings«.

Aber wie mitreißend diese Musik gleichzeitig war! Der aufgekratzte Furor von »Same Old Song And Dance«, die Wahnsinnsenergie von »S.O.S. (Too Bad)«, die geheimnisvolle Psychedelik von »Spaced« und die verwehte Melancholie von »Seasons Of Wither«: Es war Musik, der man den Dreck unter den Fingernägeln anhörte. Man wollte biertrinkend im Camaro den Pacific Coast Highway runterfahren, freilich noch ohne überhaupt zu wissen, was ein Camaro oder der Pacific Coast Highway überhaupt waren.

Produziert hatte »Get Your Wings« der ehemalige Jimi-Hendrix-Engineer Jack Douglas. Eigentlich ist hier aber gar nichts produziert, wozu auch? Joe Perrys Gibson brauchte ebenso wenig eine Produktion wie Tom Hamiltons spielerischer Bass, Joe Kramers wuchtiges Drumming, Brad Whitfords stramme Ryhthmusgitarre oder Steven Tylers elektrisierende Stimme. Überhaupt, Steven Tyler: natürlich der Inbegriff des Rockstars klassischer Prägung. Es gibt keine Trennung zwischen der Kunst und dem sogenannten wahren Leben. Heute ist er beinahe eine Comicfigur, aber eine gute.

Die romantische Idee von der Rockband als ein verschworener Geheimbund schien mir damals das größte Ideal zu sein, und niemand kam diesem Ideal so nahe wie diese Band aus Boston. Außerdem hat kaum jemand sonst das Sex-&-Drugs-&-Rock’n’Roll-Klischee mit ähnlicher Konsequenz ausgelebt. Trotzdem leben alle noch. Bis heute stehen Aerosmith personell unverändert auf der Bühne.

Ich hörte dann ein paar Jahre nichts anderes mehr. Fand heraus, dass »Rocks« und »Toys In The Attic« sogar noch besser waren als »Get Your Wings«, aber ohne den ominösen Kassettenfund hätte ich diese Alben vielleicht nie entdeckt. Es gab auch Schrott: Wie alle großen Bands waren Aerosmith stets entweder grandios oder totaler Müll. Das beste aber war, dass dieser Katalog längst noch nicht abgeschlossen war: Ein Jahr nach Beginn meiner Aerosmith-Leidenschaft gelang ihnen mit »Pump« ein sensationelles Comeback.

Später haben sie ihre Melodien und Riffs zunehmend mit Streichern und unzähligen Overdubs überkleistert. Aerosmith beschäftigten Hitschreiber und entfernten sich immer mehr von dem, was sie groß gemacht hatte. Sie waren jetzt eine pompöse Mainstream-Pop-Band für die ganze Familie.

Der räudige Kern ist dieser Band vor Jahren abhandengekommen. Auf »Get Your Wings« kann man ihn nach wie vor bestaunen.

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