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ОглавлениеMultiprofessionelle Arbeit mit der ACT im voll- oder teilstationären Setting einer psychiatrischen oder psychosomatischen Abteilung – Überlegungen zum Kontext
Albert Diefenbacher, Ronald Burian und Nina Romanczuk-Seiferth
Es dürfte unbestritten sein, dass das therapeutische Milieu als »heilsame Umgebung« einen wichtigen Faktor für die Genesung der in psychiatrischen oder psychosomatischen Einrichtungen behandelten Patientinnen und Patienten darstellt. Das ist im Grunde allen Mitgliedern eines multiprofessionellen Teams klar: Alle gehen davon aus, dass man gemeinsam am Behandlungserfolg arbeitet und beteiligt ist. Dabei wird jedoch eher selten reflektiert, wie die unterschiedlichen Vektoren der Aktivitäten verschiedener Berufsgruppen in einer Art Kräfteparallelogramm zusammenwirken, um den Patientinnen und Patienten dabei zu helfen, sich in die geeignete Richtung zu entwickeln. Bereits an dieser Stelle wird klar, dass eine unterschiedliche (Selbst-)Einschätzung unterschiedlicher Professionen die jeweilige Wichtigkeit oder Rolle für den therapeutischen Erfolg, bei aller gegenseitigen Wertschätzung, unterschiedlich beurteilen können. Dabei kann der ärztliche Primat hinsichtlich der Behandlungssteuerung im Krankenhaus die Ärztin oder den Arzt unter Umständen durchaus überfordern: nämlich wenn bei einer Patientin oder einem Patienten gegen Ende der Behandlung sozialmedizinische Probleme (wie z. B. Gestaltung der Wohnsituation) deutlich in den Vordergrund treten, die Behandlung aber fälschlicherweise nun nicht dem Sozialdienst übertragen wird, sondern die Ärztin oder der Arzt (oder auch die Psychologin oder der Psychologe) in den Visiten nach wie vor einen primär medizinischen Ansatz verfolgt, da sie oder er sich einer Führungsrolle verpflichtet fühlt. Dies lenkt aber möglicherweise vom Ziel ab und beeinträchtigt den Erfolg der Behandlung.
Optimalerweise können hierbei auftretende Konflikte im Rahmen von Team- oder Fallsupervisionen besprochen und konstruktiv weiterentwickelt werden. Allerdings zeigt sich in der täglichen klinischen Praxis, dass die Bereitschaft zur Teilnahme an Supervisionen von Teammitglied zu Teammitglied oder auch von Team zu Team durchaus unterschiedlich sein kann: Vom begeisterten Einfordern externer Supervision bis hin zur Ablehnung einer solchen; oder wenn Letzteres wegen entsprechender Verpflichtung durch die Dienstvorgesetzte oder den Dienstvorgesetzten nicht gelingt, ein mögliches passives Teilnehmen an einer 90-minütigen Supervisionssitzung, was möglicherweise von der externen Supervisorin oder dem Supervisor nicht wahrgenommen oder nicht thematisiert wird.
Grundsätzlich gilt, dass Therapeutinnen und Therapeuten unterschiedlicher Professionen »verstehen müssen, dass sie nicht als Individuen arbeiten, sondern in sozialen und ökologischen Bezügen« und dass sich aus der »Gestaltung des sozialen Netzes (in der Klinik) […] auch unmittelbar therapeutische Ansätze« ergeben (Linden 2011, S. IX). Dieses Zusammenwirken wird zumeist erschwert, wenn die einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedliche psychotherapeutische Ausbildungen oder grundsätzliche Einstellungen hinsichtlich der Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen haben, die jeder und jede in einem individuellen Ansatz bei den Patientinnen und Patienten fruchtbar zum Einsatz bringen will. Im besten Fall sollte hier ein Abgleich in fallbezogenen Teambesprechungen (z. B. soziotherapeutische Sitzungen) stattfinden.
Beispielhaft sei hier auf eigene Erfahrungen mit der Implementierung von ACT zurückgegriffen: Überlegungen im Kontext der Einführung von ACT im zunächst teil-, dann auch vollstationären Bereich veranlassten uns dazu, dieses Problem durch Thematisierung in unterschiedlichen Formen unserer externen Supervisionen anzugehen. Dabei erscheint uns wesentlich, dass die Supervisionen explizit auf einer transparent gemachten Grundlage der Orientierung an ACT stattfinden. Interessant (und vielleicht auch beispielhaft) erscheinen uns etwa Erfahrungen im Bereich der Gerontopsychiatrie und -psychotherapie, und dabei vor allem auf einer Station für Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten bei demenziellen Erkrankungen. Hier gab uns die Zurückhaltung der ärztlichen Weiterbildungsassistentinnen und -assistenten bei der Rotation auf diese Station den Anlass, diese Zurückhaltung näher zu erfragen. Dabei zeigte sich eine gewisse Scheu, sich mit dem auf dieser Station sichtbarer werdenden Thema des sich nähernden Lebensendes zu beschäftigen. Die Psychoanalytikerin Grete Bibring hat bereits 1956 die Problematik »junge Ärzte müssen sich um ältere Patienten (Elternfiguren) kümmern« unter folgendem Aspekt diskutiert: Möglicherweise führt es zu Konflikten, wenn nach gerade stattgefundener z. T. vielleicht konflikthafter Ablösung aus dem eigenen Elternhaus nun plötzlich die Elternfiguren auf einer kranken, geschwächten und hilfebedürftigen Ebene gewissermaßen zurückkommen und vermehrt Rücksicht einfordern (Bibring 1956). Ihr Ansatz war es, sich in Gruppenarbeit mit den in diesen konflikthaften Situationen entstehenden Übertragungs- und Gegenübertragungsreaktionen auseinanderzusetzen (Kratz und Diefenbacher 2016).
Was hat dies nun mit ACT zu tun? Grundsätzlich gilt, dass gerade für die Arbeit mit Patientinnen und Patienten mit medizinisch nicht heilbaren (z. B. demenziellen) Erkrankungen eine Selbstreflexion über das eigene Lebensende hilfreich sein kann, was aber möglicherweise in einer an Leistungsfähigkeit und Jugendlichkeit orientierten Gesellschaft schwerfallen mag (Schindler-Marlow 2014). ACT als Haltung und Therapieansatz beinhaltet wesentlich auch die Diskussion von individuellen Werten in Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit, und erscheint uns daher geeignet, gerade in diesem Setting einen offenen Umgang mit diesem Thema entwickeln zu helfen (Drossel und McCausland 2015, Burian 2015). Hierbei ist wichtig, dass es sich um einen teambezogenen Ansatz handelt, sodass insbesondere das Pflegepersonal sich einbringen kann und soll, welches schließlich 24 Stunden rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche mit demenziell erkrankten Patientinnen und Patienten arbeitet, die z. T. bei aller erlebten Gebrechlichkeit ein recht herausforderndes Verhalten zeigen können. Hier wird umsichtig und kritisch zu beachten sein, inwieweit bei einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Pflege und auch anderen Berufsgruppen, die dauerhafte Arbeit mit dieser Klientel eine etwaige Überforderung darstellt. Es ist dann Aufgabe der Dienstvorgesetzten, gemeinsam zu erörtern, inwieweit der Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten für diesen speziellen Bereich eine Weiterentwicklung unterstützt (z. B. Validation; Romero 2019). Oder aber auch, inwieweit externe Beratung oder spezielle pflegerische Supervision in Angriff genommen werden muss (z. B. bei Organisationen wie »Pflege in Not«; www.pflege-in-not.de, Zugriff am 20.08.2020). Hier wird zudem deutlich, dass es sich bei der Implementierung eines solchen Ansatzes letztlich um den Beginn einer Organisationsentwicklung, eines Change-Managements handelt: Es geht nicht nur um die Einführung einer neuen Technik (ACT), sondern auch um die Entwicklung einer gemeinsamen Haltung des Teams mit gemeinsamen Werten, was dazu beitragen soll, dass die unterschiedlichen Vektoren auf der Station sich zu einem für die Patientinnen und Patienten nützlichen Parallelogramm bündeln lassen. Dies aber bedeutet, dass von Seiten der Dienstvorgesetzten und der Leitung der Abteilung auch die Bereitschaft vorhanden sein muss, ggf. – im Konsens zu entwickeln – eine Umstrukturierung der Station einschließlich Veränderung der Zuordnung (z. B. Arbeitsfelder) von Mitgliedern des dort bislang arbeitenden Teams vorzunehmen (Diefenbacher 2019). Idealerweise sind also alle Beteiligten, inklusive Dienstvorgesetzte und Abteilungsleitung, in einen werteorientierten Veränderungsprozess einbezogen (vgl. »Prosocial«-Prozesse; www.prosocial.world, Zugriff am 29.07.2019). Zudem kann der Prozess der gemeinsamen Klärung von Werten sowohl Schwierigkeiten (z. B. Ängsten vor Veränderungen, Widerwillen, Überforderungsgefühle etc.), als auch Phasen der Akzeptanzbildung und aktive Handlungen wie Umstrukturierungen und Umverteilung von Arbeitsfeldern nach sich ziehen.
Im zweiten Teil unseres Buches zu »ACT in Klinik und Tagesklinik« soll es um die Arbeiten mit der Akzeptanz- und Commitment-Therapie im multiprofessionellen Klinikalltag gehen. Hierzu haben wir Beiträge aus unterschiedlichen Perspektiven zusammengestellt. Zum einen finden sich in diesem Abschnitt Kapitel zur Arbeit mit der ACT aus Sicht unterschiedlicher Professionen, die an der Behandlung in Klinik und Tagesklinik beteiligt sind, im Detail die Ärzteschaft ( Kap. 6), die psychologische Psychotherapie ( Kap. 7 und 8), die Pflege ( Kap. 9), Ergo- und Kunsttherapie ( Kap. 10), Physiotherapie ( Kap. 11) und Tanz- und Bewegungstherapie ( Kap. 12). Anzumerken ist an dieser Stelle, dass hier die möglichen Perspektiven keineswegs vollständig sind, z. B. wären ebenso Beiträge zur Arbeit mit ACT aus der Sozialarbeit oder aus der Musiktherapie denkbar und spannend. Zum anderen enthält dieser Teil des Buchs Kapitel, die auf die Besonderheiten der Behandlung nach ACT im Gesamtsetting einer Klinik fokussieren ( Kap. 5) sowie auf die psychotherapeutische Arbeit in verschiedenen kliniktypischen Behandlungsformaten, wie Einzelpsychotherapie ( Kap. 7) und Gruppenpsychotherapie ( Kap. 8), und die Gestaltung von typischen Elementen der interdisziplinären Zusammenarbeit und Qualitätssicherung mit der ACT, wie Team- und Fallbesprechungen ( Kap. 13) bzw. Supervisionen von klinischen Teams ( Kap. 14), eingehen. Viel Freude beim Lesen und Umsetzen!
Literatur
Burian R (2015) Der Stahlhelm des Sozialisten – ACT im Konsiliardienst bei körperlichen Erkrankungen. In: Waadt M, Martz J, Gloster A (Hrsg.) Arbeiten mit der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT). Ein Fallbuch. Bern: Hogrefe. S. 241–274.
Diefenbacher A (2019) Aufbau eines Zentrums für Menschen mit intellektueller Entwicklungsstörung und psychischer Erkrankung in Berlin. In: Sappok T (Hrsg.) Psychische Gesundheit bei intellektueller Entwicklungsstörung, Ein Lehrbuch für die Praxis. Stuttgart: Kohlhammer. S. 495–501.
Drossel C, McCausland C (2015) Zu Hause ist dort, wo unsere tiefsten Ängste wegfallen können: ACT in der Begleitung Angehöriger von Menschen mit neurokognitiven Störungen. In: Waadt M, Martz J, Gloster A (Hrsg.) Arbeiten mit der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT), Ein Fallbuch. Bern: Hogrefe. S. 97–129.
Kratz T, Diefenbacher A (2016) Geistesgegenwärtig behandeln, psychosomatische Medizin bei verwirrten Patientinnen und Patienten und ihren Angehörigen im demenzsensiblen Krankenhaus. In: Ehm S, Giebel A, Lilie U, Prönneke R (Hrsg.) Geistesgegenwärtig behandeln, Existenzielle Kommunikation, Spiritualität und Selbstsorge in der ärztlichen Praxis, Neukirchener Verlagsgesellschaft. S. 199–214.
Linden M (2011) Therapeutisches Milieu, Healing Environment in medizinischer Rehabilitation und stationärer Behandlung. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
Romero B, Geschke K (2019) Selbsterhaltungstherapie für Menschen mit Demenz. InFo Neurologie und Psychiatrie 21: 28–36.
Schindler-Marlow S (2014) Ärztinnen und Ärzte in NRW nehmen die Demenz in den Blick. Rheinisches Ärzteblatt 4: 22–24.