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Sollten Medikamente als »Wegmacher« nicht tabu sein auf einer ACT-Station?
ОглавлениеWie oben ausgeführt, ist eine medikamentöse Behandlung entlang der entsprechenden Leitlinien im klinischen Setting durchaus in den funktional-kontextualistischen Bezugsrahmen integrierbar und muss nicht in eine unreflektierte Kontroll- und Kampfstrategie münden. Denn damit bestünde die Gefahr, »mehr vom Gleichen« zu bieten, was die Fokussierung auf die Symptomeleminierung zusätzlich vergrößern würde. Um diese Hürde achtsam zu umschiffen, kann Flexibilität in der Wahl der Länge des Verhaltensausschnittes hilfreich sein: dient die Medikation kurzfristig einer Erleichterung (WEG-Bewegung), jedoch längerfristig der Ermöglichung einer HIN-Bewegung? Beispielsweise nimmt die Patientin oder der Patient eine analgetische Bedarfsmedikation, um mit einer Freundin einkaufen zu gehen. Aber manipuliert sie dann nicht zunächst die Intensität der Missempfindung, was auf eine mangelnde Bereitschaft und Offenheit gegenüber unangenehmen inneren Ereignissen verweist? Bereitschaft ist zwar definiert als eine »ganz-oder-gar-nicht-Entscheidung«, hingegen kann die geplante Aktivität sehr wohl an das jeweilige Befindlichkeitslevel angepasst werden, wie es die Metapher der Sprunghöhe verdeutlicht (Hayes et al. 2014, S. 334). Die Höhe des Sprungs ist wählbar, während der Sprung selbst dem Gesetz von »ganz oder gar nicht« folgt. Teils kann ein Ausweg aus diesem Dilemma auch die Verkleinerung des betrachteten Verhaltensausschnittes sein: Zunächst reagiert die Patientin oder der Patient in unserem Beispiel vermeidend, da sie oder er nicht bereit ist, mit diesen Schmerzen einkaufen zu gehen. Nach Einnahme des Medikaments und geringerer Belastung, entschließt sie oder er sich für eine Einkaufstour und ist nun bereit, den Schmerz mitzunehmen. Wir haben hier also viele kleine Momente der Wahl zwischen Kontrolle und Bereitschaft. Angesichts starkem Unbehagen mit Vermeidung zu reagieren, kann adaptiv sein. Das klinische Ziel ist es, diese Entscheidungsmomente herauszuarbeiten. Die Patientin oder der Patient lernt so eine bewusste Entscheidung zu treffen, anstatt im »Autopilotmodus« zu reagieren. Gerade bei starken Empfindungen, wie körperlichen Schmerzen oder schwerer depressiver Antriebslosigkeit ist es wichtig, sich zu fragen, wozu man heute bereit ist und was helfen kann, mit diesen unangenehmen Empfindungen zu sein und zu handeln. Die letzte Frage impliziert die Hinwendung zum erlebenden Selbst, welche durch Mitgefühl und achtsames Erkennen gekennzeichnet ist. So kann auch die Medikamenteneinnahme als Akt der Selbstfürsorge in einem werteorientierten Kontext geschehen. Beispielsweise können diese Erleichterungs- und Zentrierungsstrategien dann in den Notfallkoffer gegepackt werden.