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1. Die Entstehung der Ökumene aus dem Geist des Pazifismus

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Wie oft mag in diesem Jahr gesagt worden sein, Martin Luther sei nicht angetreten, um die Kirche zu spalten, sondern um sie zu reformieren? Dass es anders kam, dafür sind bekanntlich viele Faktoren maßgebend und viele Personen verantwortlich gewesen. Ob Luther die heutige römisch-katholische Kirche und den gegenwärtigen Papst so harsch kritisieren würde wie die Institutionen und Personen seiner Zeit, den Papst wegen seiner Schriftauslegung gar als Antichrist bezeichnen würde? Diese Frage lässt sich seriöserweise ebenso wenig beantworten wie diejenige, was er zu den heutigen ökumenischen Bemühungen sagen und ob er Ergebnisse wie die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre akzeptieren würde.

Erasmus zeigte sich in seinem 1533, wenige Jahre nach dem heftigen Streit mit Luther über den freien Willen veröffentlichten Liber de sarcienda Ecclesiae concordia,2 einem Kommentar zu Psalm 83(84), überzeugt, dass die Krankheit der Spaltung noch nicht so weit fortgeschritten sei, dass sie nicht mehr geheilt werden könne. Als sanfte Medizin schlug er das Aufeinander-Zugehen beider Lager vor, welches er mit einem aus dem Sprachgebrauch der griechischen Kirchenväter stammenden Begriff bezeichnet, der dort für die Inkarnation des Logos gebraucht wird (συγκατάβασις = Herablassung). Erasmus fordert zum einen Reformen, die vor allem den geistlichen Charakter des kirchlichen Amtes wieder deutlich werden lassen, und warnt zum andern davor, Überkommenes leichtfertig aufzugeben. Er plädiert dafür, Gebräuche, die von den Lutheranern als Missbräuche gebrandmarkt werden, wie das Gebet für die Verstorbenen, die Anrufung der Heiligen, die Verehrung von Bildern und Reliquien, die Beichte usw., als Zeugnisse wirklicher Frömmigkeit anzuerkennen und entsprechend zu tolerieren. Seine Hoffnung für eine Einigung setzt er auf ein allgemeines Konzil.3

Von evangelischer Seite kamen unterschiedliche Reaktionen.4 Der Straßburger Reformator Wolfgang Fabricius Capito (1478–1541) übersetzte das Werk ins Deutsche, aber so, dass das »Schwergewicht […] deutlich auf die Forderung nach Duldung des reformatorischen Glaubensverständnisses gelegt [ist] und nicht auf die Wiedervereinigung der zerrissenen Christenheit.«5 Diese Übersetzung ordnet sich damit

»in die Reihe der anderen deutschen Erasmusausgaben durch die Straßburger Reformatoren ein, die aus den verschiedenen Erasmustexten zur Ketzerbehandlung sowie zur Einheit und Reinheit der Kirchen die Gedanken herausarbeiteten und publizierten, welche die gewaltfreie Duldung insbesondere des Glaubensverständnisses der Reformation zu fördern schienen.«6

Martin Luther lehnt den Vorschlag des Erasmus explizit ab. Er unterscheidet Eintracht im Glauben und Eintracht in der Liebe.7 Dass es Letztere nicht gebe, sei Schuld der »Papisten«. Die Eintracht im Glauben sei keine Sache des Nachgebens, Glaubensgewissheit könne es nur auf der Basis der Heiligen Schrift, nicht aufgrund kirchlicher Lehrentscheidungen geben.8

Die Erinnerung an Capito und Luther soll keineswegs bedeuten, das Scheitern der Bemühungen um die Wiederherstellung der Kircheneinheit sei allein der evangelischen Seite anzulasten. Auf altgläubiger Seite hat der Vorschlag des Erasmus, außer bei den sog. Vermittlungstheologen, ebenso wenig positive Resonanz gefunden. Das Tischtuch war zerschnitten. Das von Erasmus geforderte Konzil lag noch in weiter Ferne. Als es 1545 endlich in Trient zusammentrat, war es für eine gemeinsame Beratung alt- und neugläubiger Vertreter zu spät.9 Während der 2. Tagungsperiode des Trienter Konzils (1551/52) waren endlich Protestanten anwesend, zu wirklichen Verhandlungen kam es jedoch nicht.10 Aber es gab noch während der 3. Tagungsperiode (1562–1563) Konzilsväter, die meinten, man müsse einige bereits gefasste Beschlüsse suspendieren und erneut gemeinsam mit den Protestanten beraten.11

Ich übergehe die ökumenischen Bemühungen der folgenden Jahrhunderte, vor allem zur Zeit der Aufklärung,12 und komme zu der ökumenischen Bewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm und noch heute andauert.13 Entstanden ist sie im protestantischen Raum. Die ersten Katholiken, die sich daran beteiligten, waren Sonderlinge, und zwar in zweifacher Hinsicht: Sie waren Pazifisten und lernten bei pazifistischen Zusammenkünften Gesinnungsgenossen aus anderen Konfessionen kennen und schätzen und wurden so zu Ökumenikern. Zu nennen ist hier etwa der Freiburger Diözesanpriester Max Josef Metzger (1887–1944), der aus dem konfessionell gemischten Schopfheim stammte, aber erst über die Friedensbewegung zur Ökumene fand.14 Sein Anreger war der evangelische Theologe Friedrich Siegmund-Schultze (1885–1969),15 der Gründer des Internationalen Versöhnungsbundes (1914). Später trat Metzger in Kontakt mit dem Erzbischof von Uppsala Nathan Söderblom (1866–1931),16 der ebenfalls von der Friedensbewegung zur Ökumene gekommen war und 1930 den Friedensnobelpreis erhielt. Als Pazifist konnte der katholische Priester Metzger sich zwar durch die Friedensinitiativen Papst Benedikts XV. (1914–1922) während des Ersten Weltkriegs gedeckt sehen, wohingegen er beim deutschen Episkopat weitgehend auf taube Ohren stieß. Seine ökumenischen Aktivitäten fanden allerdings weder in Rom noch bei den deutschen Bischöfen Rückhalt. Benedikt XV. lehnte 1919 eine Mitarbeit bei »Faith and Order« ab und forderte stattdessen die Protestanten zur Rückkehr in die katholische Kirche auf. Sein Nachfolger Pius XI. (1922–1939) hat sich 1928 in der Enzyklika Mortalium animos17 gleichsam kirchenamtlich gegen die ökumenische Bewegung ausgesprochen und die Aufforderung zur Rückkehr bekräftigt. 1927, ein Jahr zuvor, hatten Metzger und ein weiterer katholischer Priester, Manfred Hoffmann (1878–1972) aus der Diözese Breslau, an der ersten Welt-Konferenz von »Faith and Order« in Lausanne als Beobachter teilgenommen. Mehr war nicht möglich, da der Vatikan eine offizielle Teilnahme abgelehnt hatte und auch an einem Bericht über die Ergebnisse der Tagung nicht interessiert war.18 1943 wurde Metzger wegen pazifistischer Aktivitäten und Ablehnung des Nationalsozialismus zum Tode verurteilt und ein Jahr später hingerichtet. Sein Bischof, der Freiburger Erzbischof Konrad Gröber (1872–1948), der ihn für einen weltfremden Menschen hielt, hat, um Metzger vor dem Schafott zu retten, allen Ernstes vorgeschlagen, den Pazifisten an die Front zu schicken, um dort sein Verbrechen (!) zu sühnen.19

1948 wurde als ein Meilenstein der ökumenischen Bewegung in Amsterdam der noch heute bestehende Ökumenische Rat der Kirchen mit Sitz in Genf gegründet, in dem sich reformatorische und orthodoxe Kirchen zusammenschlossen.20 Die römisch-katholische Kirche reagierte darauf mit einem Monitum des S. Officium, das Katholiken die Teilnahme an solchen Unternehmungen weiterhin verbot. Dass bereits eineinhalb Jahre später dasselbe römische Dikasterium eine vorsichtige Öffnung aussprach, ist den Bemühungen des damaligen Paderborner Erzbischofs Lorenz Jaeger (1892–1975) zu verdanken.21 Er gehört zu den ökumenischen Pionieren von katholischer Seite, der dafür 1965 von Paul VI. (1963–1978) zum Kardinal erhoben wurde. Auf Einladung Jaegers und des Oldenburgischen Landesbischofs Wilhelm Stählin (1883–1975) trafen sich seit 1946 in Paderborn Theologen von beiden Seiten, um sich auszutauschen und näher kennen zu lernen.22 Den Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen gibt es noch heute. Er hat durch seine Studie Lehrverurteilungenkirchentrennend?23 (1985) wesentlich zum Zustandekommen der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (1999) beigetragen.24

Mit dem II. Vaticanum,25 genauer mit der Ankündigung des Konzils durch Papst Johannes XXIII. (1958–1963), ist die römisch-katholische Kirche offiziell in die ökumenische Bewegung eingestiegen. Johannes XXIII. hat das Konzil am 25. Januar 1959, am letzten Tag der damaligen Weltgebetsoktav für die Einheit der Christen, angekündigt. Er hat das Datum bewusst gewählt und davon gesprochen, dass es dem Konzil darum gehen soll, die Einheit der Christenheit vorzubereiten.26 Johannes XXIII. war noch der Meinung, dass die getrennten Christen, wenn die katholische Kirche evangeliumsgemäßer wird, zurückkommen. Das Konzil hat die Initiative von Johannes XXIII., die viele Bischofskonferenzen, auch die Deutsche, sich bei ihren Rückmeldungen im Vorfeld des Konzils zu eigen gemacht haben,27 umzusetzen versucht. Eine transparentere Liturgie in der Muttersprache, wie sie die Liturgiekonstitution ermöglichte, war ein Schritt hin auf die reformatorischen Kirchen, ebenso die Wiederentdeckung des gemeinsamen Priestertums aller Getauften, auch als Grundlage des geistlichen Amtes. Nicht zuletzt nahm das Konzil in der Liturgiekonstitution wie in der Offenbarungskonstitution mit der Hochschätzung der Heiligen Schrift ein Grundanliegen der Reformation auf.28

Die Hoffnung auf eine Wiederherstellung der Kircheneinheit ging nicht in Erfüllung. Die weitere Entwicklung nach dem Konzil hat zu der Einsicht geführt, dass es nicht um die Rückkehr der anderen gehen kann, sondern dass das Ziel der Ökumene die Einheit der Kirche aus und in Kirchen ist. Johannes XXIII. und das Konzil haben etwas angestoßen, wovon sie selber noch nicht sagen konnten, wohin das führt und was daraus wird. Die Konzilserklärung über die Ökumene verpflichtet die katholische Kirche darauf, an der Ökumene mitzuarbeiten und gemeinsam nach Wegen zu suchen.

Übrigens war das II. Vaticanum auch ein Ort der Völkerverständigung. Hier haben sich nicht nur Bischöfe aus den während des Zweiten Weltkriegs sich bekämpfenden Nationen getroffen, sondern auch solche aus ehemaligen Kolonien mit solchen aus den Ländern der Kolonialherren. Während des Konzils haben die Deutsche und die Polnische Bischofskonferenz wechselseitig ihre Vergebungsbereitschaft erklärt und Vergebung ausgesprochen.29 Es ist ein keineswegs zu unterschätzendes Zeichen, dass in diesen Tagen die Polnische Bischofskonferenz daran erinnert und die Regierung warnt, mit antideutscher Polemik die Versöhnung aufs Spiel zu setzen.30

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