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4. Konfessionen als Konfliktgemeinschaften

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Für das ungelöste Problem, wie sich angesichts all der binnenkonfessionellen Pluralitäten dennoch die Einheit einer Konfession begreifen lässt, scheint mir die soziologische Konflikttheorie von Georg Simmel (1858–1918) weiterführend und auch kulturwissenschaftlich reformulierbar zu sein.19 Konflikte, Streit und Antagonismen müssen soziale Einheiten nicht dysfunktional in jedwedem Fall zersetzen, sondern können sie geradezu erzeugen und dauerhaft begründen. In diesem Sinne wäre von Konfessionskulturen in einem dialektischen und paradoxen Sinn als von Konflikteinheiten zu sprechen. Zugespitzt formuliert, bestünde die Einheit der Konfessionen in der Zwietracht und folgte daraus. Konfessionen sind dann komplexe, differenzierte Personengruppen, die aus divergierenden und konvergierenden Elementen bestehen. Gerade der Streit um dieselbe Sache trennte und einte sie zugleich als Konfliktgemeinschaft. Konfessionen sind als Diskurs- und Handlungsfelder zwischen Individuen oder Institutionen anzusehen, die »miteinander um ein und dieselbe Sache konkurrieren«20. Zur selben Konfession gehörte, wer miteinander über dieselbe Sache stritt, wer sich dieselben Disputanten wählte und wer seine Position als eine legitime Ausdrucks- und Auslegungsform seiner eigenen, distinkten Konfession begriff. Eine Grenze des Katholischen vermochte lediglich die (durchaus kontingente und situativ schwankende) Konstruktion des Nicht-Katholischen zu markieren. Mit anderen Worten: Innerhalb der katholischen Konfessionskultur schien vieles, fast alles möglich, nur protestantisch sollte es nicht genannt werden dürfen. In aller Vielfalt gab es freilich dominante Mainstream-Positionen, die obrigkeitlich begünstigt wurden. Aber jenseits dessen existierte eine Fülle von Alternativen. In der Mitte tummelten sich die vielen, aber zwischen den Rändern und Grenzen lag ein weites Feld.

Forschungsstrategisch hieße das: In einem genuin kulturwissenschaftlich ausgerichteten Konzept von Konfessionskultur würden konfessionelle Proprien primär handlungstheoretisch erhoben. Einerseits wäre zu erforschen, welche spezifischen Handlungsrepertoires zur Lösung von Konflikten sich innerhalb der Konfessionsgemeinschaften herausbildeten. Und zum anderen würde eine forscherliche Fokussierung auf dominierende Symbolpraktiken – mit all ihren Flauten und Konjunkturen – die Möglichkeit bieten, vielleicht doch so etwas wie historische Verlaufsmodelle zu erstellen und sehr grundlegende und folgenreiche konfessionelle Unterschiede und Austauschprozesse zwischen den Konfessionen besser in den Blick zu bekommen.

Für den katholischen Bereich sehe ich insbesondere vier gemeinsame Streitobjekte, die dem frühneuzeitlichen Katholizismus eine spezifische Kontur verliehen und die innerhalb der katholischen Kirche zur Herausbildung eines gemeinsamen Handlungsrepertoires führten, mit dem Konflikte dann ausgetragen wurden: (1) Zunächst wäre die permanente Konkurrenz unter den verschiedenen in der frühmodernen katholischen Kirche noch existierenden Jurisdiktionsinstanzen zu nennen. Die neuere Katholizismusgeschichte begreift ihren Gegenstand ja nicht mehr als einen zentralistisch von Rom aus geführten päpstlichen Einheitsstaat, sondern als eine Art plurizentrisches, supranationales, universales »Imperium«, in dem sich zahlreiche, ganz verschiedene legislative wie judikative Organe und Personen in einem ununterbrochenen Aushandlungsprozess befanden und in dem eine nicht abreißende Kontroverse über die grundsätzliche Verfassung der katholischen Kirche geführt wurde.21 (2) Ein zweiter Streitpunkt, der den Katholizismus einte, war – wie bereits erwähnt – der so uneindeutige Lehr- und Disziplinarkorpus des Trienter Konzils, über dessen Interpretation die verschiedenen lokalen Kirchen weltweit untereinander und mit der römischen Konzilskongregation verhandelten. (3) Mit dem relativ offenen Trienter Rechtfertigungsdekret hängen drittens auch die so heftig geführten frühneuzeitlichen Gnadendebatten zusammen, die – allem Uniformierungsdruck zum Trotz – quer verliefen zu allen konfessionellen Frontlinien und in denen ganze Länder konträr standen zu der von Rom vorgegebenen Linie.22 (4) Und schließlich trennten und einten den Katholizismus die oben genannten Symbolstreitigkeiten und die damit zusammenhängenden Repräsentationspraktiken in katholischer Kunst und Frömmigkeit. Wie überaus groß gerade hier die Dehnungen waren, die der Katholizismus aushielt und zuließ, hat die neuere Inquisitionsforschung zur Kontrolle der Sakramentspraxis und zur Zensur der Andachtsliteratur zutage gefördert.23

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