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Europa – das war über Jahrhunderte das Zentrum des Christentums. Die religiöskulturelle Symbiose »europäisches Christentum«, insbesondere ihre lateineuropäischen Varianten römisch-katholischer und protestantischer Art, verbreitete sich seit dem 19. Jahrhundert fast über die ganze Welt. Damit wurde die konfessionelle Vielfalt Europas und seines Ablegers Nordamerika exportiert, die Fülle verschiedener Katechismen, Liturgien und Amtsstrukturen; in dem allen aber doch ein identifizierbarer gemeinsamer Kern europäischer christlicher Tradition in kirchlicher Lehre und kirchlichem Leben. Wie weit das so bleibt, wissen wir nicht. Denn das Zentrum des Christentums ist Europa – samt Nordamerika – längst nicht mehr, die Zahl der Christen auf der südlichen Welthalbkugel übertrifft die der nördlichen schon jetzt bei Weitem, und die Schere tut sich immer weiter auf. In der Anglican Communion, um nur das spektakulärste Beispiel zu nennen, machen allein die Afrikaner bereits mehr als die Hälfte der Mitglieder aus. Zwar ist der Einfluss der europäischen – und nordamerikanischen – Kirchen dank ihrer intellektuellen und finanziellen Ressourcen nach wie vor groß. Doch mit den steigenden Zahlen im Süden steigen auch das Selbstbewusstsein und der Anspruch, über Lehre, Leben und Ordnung der Kirche mitzubestimmen. Das Auseinanderbrechen der anglikanischen Gemeinschaft, das sich in diesen Jahren zwischen der Mehrzahl der nördlichen Provinzen und dem Global South vollzieht, ist symptomatisch. Z. T. rühren die Spannungen zwischen europäischen und außereuropäischen Kirchen daher, dass diese sich als die treuen Sachwalter des eigentlichen, früher in Europa beheimateten, doch nun von ihm verratenen Christentums verstehen – etwa in Fragen der Sexualethik. Doch es gibt auch Bewegungen, die gegenüber der europäischen Erbschaft auf Eigenständigkeit in Verkündigung und Ritual bestehen, die die Umprägung der ererbten Form des Christentums durch die Aufnahme indigener Vorstellungen, Riten und Strukturen verfechten. Was für Synthesen sich dabei langfristig ergeben, wie weit sie aus unserer Sicht noch christlich erscheinen werden, ist eine offene Frage und liegt nicht in unserer Hand. Doch das gänzlich neue Kapitel in der Geschichte der Christenheit, das wir gerade erleben, erinnert daran, dass das christliche Europa mit seinen Epochen und Varianten trotz seiner ausgedehnten, lebendigen, symbiotischen Geschichte nur eine Phase eines längeren Weges ist. Mit Martin Luther gesprochen: Der Platzregen zieht weiter, und welche Bäume er in Zukunft zum Blühen bringen wird, weiß nur Gott allein.

Christentum und Europa

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