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IV. Theologie als Gewissheitsexplikation und -konstitution: Eine Frage an Eilert Herms

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Eilert Herms hat 1996 in einem Aufsatz unter dem Titel »Die Theologie als Wissenschaft und die Theologischen Fakultäten an der Universität« die Unterscheidung zwischen der »gewißheitskonstitutiven und der gewißheitsexplikativen Leistung der reflektierenden Vernunft« und deren Zuordnung zur Theologie im Rahmen ihrer kulturgeschichtlichen Verortung im Ausgang vom Hellenismus vorgenommen.25 Das Problem dieser Entwicklung sieht er darin, dass

»die Frage unbedacht und offen [bleibe], ob diese Reflexionspraxis der Vernunft selbst die Produzentin der von allen Vernünftigen geteilten Gewißheit ist oder ob sie sich selbst nur auf dem Boden und im Lichte von ihr immer schon vorgegebenen Gewißheiten zu vollziehen vermag […]«.26

Im Kontext des Judentums und des Christentums sei diese gewissheitsexplizierende Vernunft zu Recht aufgenommen und als Theologie institutionalisiert worden. Die Theologie könne niemals »mit gewißheitskonstitutiven, sondern nur mit gewißheitsexplizierenden Leistungen der reflektierenden Vernunft rechnen, die sich deshalb stets auf ein vorgängiges Gewißheitsfundament in den Erschließungsleistungen geschichtlicher Lebenserfahrung beziehen« müsse, nämlich auf Gottes Offenbarsein in der Tora und im »am Kreuz vollendeten Lebenszeugnis« Jesu Christi.27 Auch in Herms’ Beitrag dieses Bandes spielt dieser Gedanke eine wichtige Rolle;28 ebenso wie in seiner Systematischen Theologie § 9 bestimmt Herms das Verhältnis von »Offenbarung und Vernunft« programmatisch als ein »asymmetrisches Konstitutionsverhältnis« und äußert eine ähnliche Kritik an einer vermeintlichen »Einheitskultur der Vernunft«.29

Mir leuchtet sofort ein, dass Herms Offenbarung und Vernunft aus einer unfruchtbaren Gegensätzlichkeit zu befreien sucht, denn die dem Glauben eigene Rationalität gilt es tatsächlich nachdrücklich zu verteidigen; mir leuchtet jedoch weniger die Entgegensetzung von Explikation und Konstitution ein. Zwar ist diese begriffliche Unterscheidung hilfreich, weil der Begriff »gewissheitsexplikativ« bzw. die Aufgabe, vorfindliche und auf verschiedene Weise artikulierte Gewissheiten explizieren zu wollen, im Gespräch mit naturwissenschaftlichen Disziplinen zu unseren ersten Aufgaben gehört. Der Begriff ist ebenfalls hilfreich, weil er nicht von vornherein mit der Assoziation des Dogmatischen bzw. eines Dogmatismus einhergeht, der der Theologie ohnehin oft unterstellt wird. »Gewissheitsexplikativ«, in dieser Hinsicht gebraucht, deckt sich mit der von Walter Sparn vorgeschlagenen Formel vom Christentum als der Kultur eines Wissens, »das sich seiner Motive, Gründe, Bedingungen, mithin auch seiner Grenzen bewusst« sei.30

Ausweichen können wir der Assoziation bzw. dem Vorwurf des Dogmatismus allerdings nur dann, wenn der Begriff »gewissheitsexplikativ« methodisch konsequent als hermeneutischer Begriff verwendet wird. Er bedeutet dann, dass wir uns in der Theologie auf Texte bzw. Aussagen beziehen, die von den biblischen Schriften an bis heute in zeugnishaftem Ausdruck von der Gewissheit getragen sind, dass Gott ist, handelt und regiert. Da die Theologie zu diesen Äußerungen seit ihren Anfängen analysierend, kritisch und konstruktiv fortschreibend Stellung nimmt, ohne selbst religiöse Gewissheitsrede zu sein, hat sie sich ein Interpretationswissen angeeignet, das auch für die Deutung gegenwärtiger religiöser bzw. spiritueller Vorstellungen, Selbst- und Fremddeutungen und deren Ansprüche relevant ist; und zwar gerade dann, wenn uns diese Vorstellungen, gespiegelt über den interdisziplinären Diskurs, in einer bunten, unsortierten, konflikthaften und synkretistischen Vielfalt begegnen. So wichtig die bleibende Differenz zur religiösen Gewissheitsrede ist, so deutlich ist freilich auch, dass jede gewissheitsexplikative Leistung zugleich eine gewissheitskonstitutive Funktion hat.31 Denn was auch immer die reflektierende Vernunft in gewissheitsexplikativer Weise von Gott sagt – sie ist mit ihrer explikativen Leistung Teil neuer Gewissheitskonstitution, und zwar gerade dann, wenn es um »Gewissheit« geht und nicht um »Gott selbst«. Dass keine menschliche Rede »Gott selbst« konstituieren könnte, ist klar. Aber jede einzelne Deutung Gottes als Gott, jede Rede von Gottes Selbstoffenbarung als Selbstoffenbarung ist ein konstitutiver Prozess. Die explikative Suchbewegungdes Verstehens und Vermittelns ist an die konstitutive Deutung gebunden, so dass beide Hinsichten zwar klar unterschieden werden müssen, aber nicht getrennt werden können. Mit Walter Sparn gesagt geht es um den elementaren Sachverhalt, »dass menschliches Wissen stets im Kontext von Verstehen erworben und gebraucht wird, dass Verstehen stets ein Sich-Verstehen und ein Sich-Verstehen-auf einschließt.«32

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