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Gott ist immer Gott
ОглавлениеIsabelle My Hanh Derungs
Oft schon wurde ich gefragt, zu welcher Religion ich gehöre. Dann staunten die Fragenden darüber, dass ich so viel Zeit benötigte, um ihnen eine Antwort zu geben. Doch gerade das, was in uns und mit uns wohnt, scheint schwierig zu erfassen. Ich wusste oft nicht, wie ich den Leuten eine verständliche Antwort geben konnte. Mein Gott hat keine Nationalität, kennt keine Hautfarbe, gehört zu keiner Partei und lässt sich in keine Religion einordnen. Er ist weder christlich noch buddhistisch noch muslimisch. Er ist Gott. Genauer gesagt, er ist mein Gott. Nicht weil er mir allein gehört, sondern weil ich nicht weiss, ob die Fragenden diesen Gott meinen.
Da mein Gott keine Erklärung braucht, aber ich und die Menschen, die mich fragten, antwortete ich in ihrer Sprache: «Meine Mutter ist reformiert, meine Onkel sind buddhistisch.» Die Leute gaben sich damit kaum zufrieden. Nochmals erklärte ich: «Mein Urgrossvater hatte zehn Kinder. Er wurde konfuzianisch erzogen, Taoismus und Buddhismus waren in seinen alltäglichen Handlungen eingebettet. Ein Ahnenaltar stand im Zentrum des Hauses. Als meine Grossmutter durch die Kriegswirren |29| des Ersten Indochina-Krieges im Alter von 25 Jahren ihren Mann verlor, bat sie ihren Vater um Erlaubnis, zum Christentum überzutreten. Mein Urgrossvater tat mehr, als es nur zu erlauben. Er beschützte sie in ihrem Entscheid in einer Zeit, in der gerade die westliche Kultur den Konflikt im Lande auslöste. Er unterstützte sie, nicht, weil er glaubte, das Christentum sei die bessere Religion, sondern weil er alle seine zehn Kinder liebte und jedem und jeder die Freiheit gab, die Religion zu wählen, die ihnen half, das Leben lieben zu lernen.» Mein Urgrossvater hat seine Heimat und seinen Geburtsort nie verlassen. Kein Krieg konnte ihn von seinem Herkunftsort wegbringen. Er starb in seinem Haus, nahe bei seinem Ahnen- und Familiengrab, das heute umgeben ist von Mais- und Reisfeldern, Bananenpalmen und Obstbäumen, vom Garten, den er einst so liebevoll inmitten der Herzen seiner Vorfahren pflegte und der ihn heute in seinem Schoss umarmt. Heute gehen manche Bauern an seinem Grab vorbei, und manche zünden Weihrauchstäbchen an, als wäre er auch ihr Urgrossvater. Mögen er und sein Garten auch ihnen Segen bringen. Doch wie lange sein Grab noch dort stehen darf, weiss nur der viel gelobte Fortschritt. Vielleicht kommt sehr bald ein Kran. Die Ahnen verschwinden, so auch die Bäume.