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Wiederentdeckung
ОглавлениеViele Jahre später lernte ich meinen heutigen Mann kennen. Er ist katholisch. Er ging in die Kirche oft vor oder nach der Messe. Er betrachtete jede Skulptur, jedes Ornament genau. Er fand die meisten reformierten Kirchen zu abstrakt. Am Anfang konnte ich ihn nicht verstehen und fasste seine Bemerkungen fast als Beleidigungen auf. Dabei lehrte er mich, das wieder zu entdecken, was ich vergessen hatte. Wir besuchten viele Kirchen und betrachteten die Landschaft, in der sich die Kirchen befanden. Wir lernten die Sprache der Landschaft und der alten Traditionen kennen. Wir entdeckten Spuren, die mich in meine Heimat zurückbrachten. In manchen Kirchen zündete ich wieder Kerzen an, als wären sie Weihrauchstäbchen. Der Duft |31| der Myrrhe und Myrthen erinnerte mich an den Rauch in den Tempeln. Geschichten und Mythen, die mit der Landschaft und den Kirchen verwoben waren, erzählten mir von den Seelen der Steine, Quellen und Bäume. Sie erweckten in mir Kindheits- und Jugenderinnerungen. Wie oft sass ich im Wald und sprach mit den Bäumen. Stundenlang konnte ich am Strand den Wellen zusehen, wie sie kamen und gingen und wieder kamen und gingen – und mich sehen als einen Wellenschlag. Der Drache, gegen den der Heilige Georg kämpfte, flösste mir keine Angst mehr ein, ebenso wenig die Schlange, die Sankt Margaretha in den Händen hielt. Ich dachte an die Felsen in den Meeresbuchten von Ha Long (Fluss der Drachen), die sich in der Abenddämmerung in Riesenschildkröten und Drachen verwandelten. Doch Ungeheuer waren sie nie.