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Angst und Gottesnähe
ОглавлениеIn der Schweiz ging meine Mutter in die freie evangelische Kirche und ich als ihre Tochter mit ihr. Zum ersten Mal hörte ich, was Gott liebte und hasste, wen er beschützte und bestrafte. Dass Jesus für mich am Kreuz gestorben sei. Dass ich sündig sei. Dass Adam und Eva meine Vorfahren seien und den Apfel gegessen hatten – die |30| Äpfel, die ich gar nicht mochte. Und dass ich mich vor dem Teufel in Acht nehmen sollte. Ich lernte die Angst, die ich vorher nicht kannte. Ich wurde von der New Life Gemeinde nochmals getauft, ich wurde fromm. Ich wusste nicht, wo ich Gott näher war: wenn ich in der Kirche von meinen Sünden hörte oder wenn ich jeden Mittwoch in die Bibelstunde ging oder wenn ich hörte, dass nur die Christen gerettet werden, oder wenn meine New-Life-FreundInnen sich Mühe gaben, meine Fragen zu beantworten und mich berieten, welche Bücher ich lesen sollte und welche besser nicht. Ich fühlte mich meinem Gott sehr nahe, wenn ich in den Wald flüchtete, dort dem Rascheln der Blätter lauschte, mit den Vögeln sang und an den Garten meines Urgrossvaters dachte. Ich fühlte mich meinem Gott sehr nahe, wenn ich den Mond betrachtete, der überall auf der Welt zu sehen ist, ob im Norden oder im Süden, ob auf dem Lande oder in den Städten. Ich fühlte mich meinem Gott sehr nahe, wenn ich die mir entgegenrinnenden Regentropfen empfing. Ich fühlte mich meinem Gott sehr nahe, wenn ich den Ameisen zuschaute, wie sie Samen sammelten, um ihre Nachkommen zu nähren, und sich wahrscheinlich nicht die Frage stellten, ob Gott eine rote oder schwarze Ameise sei. Ich sah Gott in den Gesichtern von Kindern, die mich nicht kannten und mich trotzdem lachend willkommen hiessen. Ich sah Gott in den Gesichtern von Menschen, die gestern noch Offiziere waren und durch den Krieg Rikschafahrer wurden und sich immer noch über die klare Nacht freuten, weil sie in ihrer Hütte die Sterne leuchten sahen. Ich sah Gott in den Gesichtern von Männern und Frauen, die mich mit ihrem Blick umarmten, als wäre ich ein Teil von ihnen: eine Schwester, eine Tochter, eine Tante …
In die Bibelstunde kam ich immer mit der Frage, was mit den gläubigen Muslimen geschieht. Als ich neunzehn wurde, verliebte ich mich in einen Muslim. Er war ein gläubiger Mann. Meine Freunde klärten mich auf, dass ich als Christin besser einen Christen zum Mann wählen sollte. An einem Sonntag in der Kirche sangen wir gerade das Hallelujah. Ich sah plötzlich den jungen Mann in einer anderen Reihe. Er war gekommen, um mir eine Freude zu bereiten; und ich verstand, dass Gott keine Grenzen kennt. In diesem Augenblick war mein Gott auch sein Gott, wie sein Gott meiner ist.