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Das Land der Ahnendüfte
ОглавлениеMeine Mutter hat also die Religion ihrer Mutter übernommen. Sie und ihre Mutter gingen jeden Sonntag in die einzige evangelische Kirche in Saigon (die ehemalige Hauptstadt Südvietnams, heute Ho Chi Minh), und ich folgte ihnen als Tochter und Enkelin. Ich ging am liebsten zu Weihnachten in die Kirche. Alle Kinder kriegten dann nämlich eine Tüte voller Bonbons, und die Erwachsenen waren an diesem Tag besonders nett, auch zu den hässlichsten. Ich erhielt auch die Gelegenheit, meine Tanten und Cousinen in buddhistische Tempel und in die katholische Kirche zu begleiten. Beeindruckt und gleichzeitig eingeschüchtert war ich vom aufsteigenden Rauch der Weihrauchstäbchen, der allmählich eine immer grössere und mächtigere Gestalt annahm und dann auf einmal verschwand, aber tief in alle meine Poren drang, so dass ich zu Hause noch lange den Duft der Gestalt an mir und in mir riechen konnte. In Vietnam machte ich mir wenig Gedanken über Gott und die Welt. Warum auch? Ich fühlte mich trotz den Bombardierungen um Saigon geborgen. Menschen, die ich liebte, waren da. Jeden Morgen durfte ich meine Lieblingssuppe essen, abends fuhr ich mit meinem Onkel und Cousin zum Hafen, um frische Muscheln zu geniessen. Ich freute mich auf die Regenzeit. Der Himmel, der meine Haut und die Seele mit seinen Tränen benetzte. Meine Heimat ist das Land der Ahnendüfte.