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Praktizierte Lebensform
ОглавлениеDiese Glaubenswelt formte die Menschen, die zu ihr gehörten und bestimmte ihre Lebensform. Der Islam war überall und in jeder Handlung des Alltags zu spüren, wenn man das Verhalten der Menschen beobachtete: wie sie die Geschehnisse beurteilten, wie sie sich gegenseitig ermahnten, wenn sie über jemanden etwas Unangenehmes sagten, wie sie bei jeder Gelegenheit sich selbst oder einander an die göttlichen Gesetze erinnerten …, da war der Islam ständig gegenwärtig. «Halkin gözü, hakkin gözü», sagte man (wie du von anderen gesehen wirst, wirst du auch von Gott gesehen). Auf diese Weise wurde jede und jeder zur Selbstkontrolle und Weiterentwicklung verpflichtet. Das kleine Mädchen beobachtete alles – je älter, desto bewusster – und auf diese Weise bekam es den ersten «Religionsunterricht» als praktizierte Lebensform. So sah es zum Beispiel wie seine Mutter der bettlägerigen |34| Grossmutter, die sie pflegte, manchmal zuhörte: «… und zu den Eltern sollst du gut sein. Wenn jemand von ihnen oder alle beide bei dir im Haus hochbetagt geworden sind, dann sag nicht ‹pfui› zu ihnen und fahr sie nicht an, sondern sprich ehrerbietig zu ihnen und senke für sie in Barmherzigkeit den Flügel der Selbsterniedrigung und sag: ‹Herr, erbarm Dich ihrer ebenso mitleidig, wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein war›.» (Sura 17/23f – Übersetzung von Anne Marie Schimmel) Das Mädchen beobachtete, wie die Älteren ein auf den Boden gefallenes Stück Brot aufhoben, es küssten und an die Stirn drückten, und es dann so verstauten, dass es nicht zertreten werden konnte. Es beobachtete die fastenden Älteren in der Familie, wie sie innig beteten, bevor sie nach einem langen Tag, an dem sie weder assen noch tranken, den ersten Schluck Wasser zu sich nahmen und eine Olive assen. Es ass mit, als hätte auch es gefastet. Diese Teilnahme ermöglichte ihm später, vor der Nahrung und allen Gaben Gottes Dankbarkeit und Ehrfurcht zu spüren.