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Ausgezogen aus dem Paradies
ОглавлениеDie jüdische Mystik kennt die Vorstellung, dass Gott aus dem Paradies ausgezogen ist und ihre Kinder im Exil begleitet. Gott hält es allein nicht aus im Paradies, hat sich gleichsam selbst vertrieben und begleitet uns auf unserem Weg, irrt und leidet mit uns. Gott ist meine Unruhe und meine Verzweiflung, meine Sehnsucht und mein Hoffen. Gott ist ein anderer Name für das schmerzliche Bewusstsein von dem, was nicht ist, die ständige und quälende Erinnerung an das, was sein könnte und doch nicht sein wird. Gott beruhigt nicht und tröstet nicht, fügt nicht zusammen, was zertrennt ist, und heilt nicht, was verwundet ist.
Gott ist unsere Macht und unsere Lust, die Welt zu schaffen, jeden Tag neu zu schaffen. Täglich wird Gott inkarniert in unzähligen Engagements, nehmen Frauen und Männer ihre Macht wahr, damit Gott und Menschen nicht dem Tod ausgeliefert werden, sondern ins Leben auferstehen können. Gott ist die Zusage, dass Umkehr möglich ist, menschenmöglich. Und Gott ist die inständige Bitte, dass wir nochmals von vorne anfangen können, beschrieben von der Dichterin Hilde Domin:
Abel steh auf
es muss neu gespielt werden
täglich muss neu gespielt werden
täglich muss die Antwort noch vor uns sein
…
steh auf
damit Kain sagt
damit er es sagen kann
Ich bin dein Hüter
Bruder7
Hilde Domin
Erschienen in FAMA 1/1998: «Gott oh Gott»
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