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Nicht Hinwegsehen
ОглавлениеIch glaube nicht an Gott, den Allmächtigen, nicht an den unendlich Gütigen. In diesen Bildern liegt die Versuchung, über das, was unheil ist, hinwegzusehen. Sie nehmen die leidvollen Erfahrungen von Gewalt und Ungerechtigkeit nicht ernst, erkennen nicht, dass Folterung, Hunger und Gleichgültigkeit die Menschheit und Gott vernichten. Doch welche Aussage über Gott hält stand «in der Gegenwart verbrennender Kinder» (Elie Wiesel)?
Ich glaube, dass Gott ist. «Gott ist die dringlichste Aufforderung, Wirklichkeit wahrzunehmen» (Dorothee Sölle), die Augen nicht zu verschliessen vor der bitteren Realität, vor Gewalt und Leiden, vor Opfern und Tätern. Auch im Moment des Hasses steckt ein Moment der Wahrheit. Gott als Aufforderung, die Wirklichkeit wahrzunehmen, heisst den bedrängenden Fragen nach Gut und Bös standzuhalten, beides ist den Menschen zurechenbar. Kein Gott nimmt mir die Last der Frage nach den Finsternissen dieser Welt. Im Gegenteil, Gott macht mir das Leben schwer. |43|
Gott ist der Trümmerhaufen, der hinter uns zum Himmel wächst (Walter Benjamin) und den Blick verstellt aufs Paradies, der uns zwingt hinzuschauen, zwingt zu verharren, damit wir den Schmerz spüren, den Unrecht, Zerstörung, Gleichgültigkeit bewirken. Zu sagen: Gott ist, heisst, sich nicht einverstanden erklären mit dem, was ist, heisst klagen, die bittere Wahrheit beklagen, protestieren, rufen und ausrufen, zürnen, schreien. Heisst weinen. Lässt nicht der Prophet Jeremia Gott sagen: «Ich werde heimlich weinen»? Heisst das nicht, dass Gott dort ist, wo wir weinen?