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… aber ich glaube daran
ОглавлениеDoris Strahm
Ich glaube nicht an Gott. Ich suche nach den Spuren der Gegenwart dessen, was die Menschen seit alters her Gott genannt haben, in meiner, in unserer Lebenswelt. Ich suche nach den Spuren dessen, was der Sinnlosigkeit, dem Schmerz des menschlichen Daseins und dem abgrundtief Bösen, das Menschen einander antun, standhält. Deshalb bin ich Theologin geworden.
Die Sprache, die einmal aufschwang, Dich zu loben
Zieht sich zusammen, singt nicht mehr
In unserem Essigmund
…
Und dennoch wirst Du fordern, dass wir Dich
Beweisen unaufhörlich, so wie wir sind
In diesem armen Gewande, mit diesen glanzlosen Augen
Mit diesen Händen, die nicht mehr zu bilden verstehen
Mit diesem Herzen ohne Trost und Traum.8
Marie Luise Kaschnitz
Ich glaube nicht an Gott. Doch manchmal ahne ich etwas vom göttlichen Geheimnis des Lebens, das mich umhüllt, in dem ich lebe und bin. Manchmal erfahre ich in der Begegnung mit einem Du eine Ahnung von jenem grösseren Du, das nicht dingfest gemacht und erkannt werden kann, aber in jeder echten Begegnung sich für Augenblicke enthüllt.
Man findet Gott nicht, wenn man in der Welt bleibt, man findet Gott nicht, wenn man aus der Welt geht. Wer mit dem ganzen Wesen zu seinem Du ausgeht und alles Weltwesen ihm zuträgt, findet ihn, den man nicht suchen kann. Gewiss ist Gott «das ganz Andere»; aber er ist auch das ganz Selbe: das ganz Gegenwärtige. … Wenn du das Leben der Dinge und der Bedingtheit ergründest, kommst du an das Unauflösbare, wenn du das Leben der Dinge und der Bedingtheit bestreitest, gerätst du vor das Nichts, wenn du das Leben heiligst, begegnest du dem lebendigen Gott. 9
Martin Buber
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Ich glaube nicht an Gott. Aber ich sammle Texte, Geschichten, in denen der Atem des Göttlichen mich anweht: Geschichten aus der Bibel, Geschichten von heute und Gedichte, die wie Zaubersprüche manchmal Wunden heilen, Verborgenes ans Licht holen, von der Schönheit und von der Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens erzählen – und die Sehnsucht lebendig erhalten nach einer Welt, in der das Wunder trotz allem täglich geschehen kann.
Unsere Kissen sind nass
von den Tränen
verstörter Träume.
Aber wieder steigt
aus unseren leeren
hilflosen Händen
die Taube auf. 10
Hilde Domin
Ich glaube nicht an Gott. Aber ich glaube an «das von Gott in uns», wie die Quäker sagen, an den göttlichen Funken in uns, der uns fähig macht zur Liebe, zur Zärtlichkeit, zur Freude, zur Hingabe, zum Staunen, zur Vergebung, zur Anteilnahme, zum Mitleiden.
Was wir noch können
Was ist, was sein wird, womöglich sein wird, und dass wir solche Dinge wahrnehmen und beklagen, Grausamkeiten noch wahrnehmen und beklagen, Ungerechtigkeiten noch wahrnehmen und beklagen, während es doch denkbar wäre, eine Zeit denkbar wäre, in der wir umherkriechen empfindungslos, in der uns nichts mehr angeht, unter die Haut geht, neben uns schreit ein Sterbender und wir wenden den Kopf nicht, neben uns wird ein Kind gegen eine Mauer geschleudert und wir erschrecken nicht. Demgegenüber scheint auf jeder noch so bescheidenen Anteilnahme, jedem noch so billigen Erbarmen der Schimmer eines goldenen Zeitalters zu liegen. Wir können noch sehen, wir können noch hören, wir können noch leiden, noch lieben.11
Marie Luise Kaschnitz
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Ich glaube nicht an Gott. Aber ich erfahre so etwas wie eine göttliche Kraft in Momenten der Liebe und höchsten Lust, wenn die Zeit stillsteht und ich ganz ausser mir verloren bin in Dir; ich spüre sie, die göttliche Lebenskraft, im Rausch des Tanzes, wenn der Rhythmus des Lebens meinen Körper durchpulst, in den Klängen der Musik, deren Melodie in mir widerhallt; ich höre sie manchmal, diese Kraft, in der Stille, die zu mir spricht; ich sehe sie in der Unendlichkeit des Meeres, in der Weite des Himmels …
Die Seele der Dinge
lässt mich ahnen
die Eigenheiten
unendlicher Welten
Beklommen
such ich das Antlitz
eines jeden Dinges
und finde in jedem
ein Mysterium
Geheimnisse reden zu mir
eine lebendige Sprache
Ich höre das Herz des Himmels
pochen
in meinem Herzen.12
Rose Ausländer
Ich glaube nicht an Gott. Und doch ist da manchmal der verzweifelte Wunsch, es gäbe etwas, eine transzendente Macht, die alles zum Guten lenkt, uns nicht allein lässt in all dem Elend und Tod, eine Macht, die die Krankheit der Freundin wegzaubert, die Wunden der Opfer heilt, die Tränen der Trauernden abwischt, der Gewalt und dem Hass zwischen den Menschen ein Ende setzt.
Ein Tag wird kommen, an dem die Menschen schwarzgoldene Augen haben, sie werden die Schönheit sehen, sie werden vom Schmutz befreit sein und von jeder Last, sie werden sich in die Lüfte heben, sie werden unter die Wasser gehen, sie werden ihre Schwielen und ihre Nöte vergessen. Ein Tag wird |47| kommen, sie werden frei sein, es werden alle Menschen frei sein, auch von der Freiheit, die sie gemeint haben. Es wird eine grössere Freiheit sein, sie wird über die Massen sein, sie wird für ein ganzes Leben sein …
Ein Tag wird kommen, an dem die Menschen rotgoldene Augen und siderische Stimmen haben, an dem ihre Hände begabt sein werden für die Liebe, und die Poesie ihres Geschlechts wird wiedererschaffen sein … und ihre Hände werden begabt sein für die Güte, sie werden nach den höchsten aller Güter mit ihren schuldlosen Händen greifen, denn sie sollen nicht ewig, denn es sollen die Menschen nicht ewig, sie werden nicht ewig warten müssen …13
Ingeborg Bachmann
Ich glaube nicht an Gott. Aber ich glaube daran, dass «Gott» geschieht, wann immer wir das Leben und unser Menschsein heiligen, wann immer wir uns mit Achtung einander zuwenden, uns berühren lassen von der Not und den Bedürfnissen der anderen und voll Zorn das Unrecht, das ihnen angetan wird, beim Namen nennen. Ich glaube daran, dass «Gott» geschieht, wenn wir uns gegen die Normativität des Faktischen die Vision einer anderen Welt, von Schalom und einem «Leben in Fülle» für alle Menschen bewahren und sie fragmentarisch Gestalt werden lassen in unserem Leben. Deshalb bin ich bis heute Theologin geblieben.
Ich habe keinen Respekt
Vor dem Wort Gott
Habe grossen Respekt
Vor dem Wort
Das mich erschuf
Damit ich Gott helfe
die Welt zu erschaffen14
Rose Ausländer
Erschienen in FAMA 1/1998: «Gott oh Gott»
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