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2 Die Dominanz des Kaiserhofs vom Ende des 7. bis zum 12. Jahrhundert
Von Maria-Verena Blümmel
ОглавлениеEpochenüberblick
Diese Epoche, die rund 500 Jahre, also ein knappes Drittel der vormodernen Geschichte Japans, umfasst, entspricht in der meistgebräuchlichen Periodisierung, welche die einzelnen Abschnitte nach dem Ort des jeweiligen Regierungssitzes benennt, der sog. Nara- (710–784) und Heian-Zeit (794–1185). Ihr prägendstes Merkmal ist die Ausübung der Regierung durch eine zivile Elite auf der Basis einer gesetzlich geregelten bürokratischen Verwaltung und familiärer Bindungen. Dabei bildete diese um den Tennō gruppierte Hofaristokratie eine Kultur aus, die weit über das Ende der Epoche und ihre sozialen Grenzen hinaus normsetzend wirkte.
Seit dem 6. Jahrhundert standen die Machtkämpfe um Thronfolge oder Vorrang einzelner Familien des Erbadels immer auch in Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um Zustimmung oder Ablehnung neuer Ideen aus China, so bei der Einführung des Buddhismus, der Schaffung eines Verdienstadels oder der Frage der Stellung des Tennō. Die Siege der Reformer ermöglichten im Verlauf des 7. Jahrhunderts eine schrittweise Modernisierung des bestehenden Geschlechterstaates nach chinesischem Vorbild, so dass zu Beginn des 8. Jahrhunderts die gesetzlichen Grundlagen eines zentralisierten Beamtenstaates unter einem absoluten Kaiser kodifiziert werden konnten. Dessen Position jedoch beruhte auf der Abstammung von seinen göttlichen Vorfahren und deren Herrschaftsauftrag. Ein solcher Staat zwang zur Aufgabe der Praxis häufig wechselnder Residenzen. So wurden 710 der Palast und die Stadt Heijō (das heutige Nara) errichtet zur Aufnahme des Hofes und der Verwaltung, der Aristokratie sowie der buddhistischen Klöster, die inzwischen mit wichtigen Funktionen in das Staatsgefüge integriert worden waren. Dieser Kaiserhof von Nara kam der chinesischen Vorstellung eines politisch mächtigen Kaisers und einer gebildeten Beamtenschaft sehr nahe; er war weltoffen und pflegte auf vielen Ebenen intensiven Austausch mit China und anderen Ländern des Kontinents. Dennoch war das chinesische Vorbild nicht vollständig übernommen, geschweige denn umgesetzt worden; das Land hatte andere Dimensionen, und nicht für alle tradierten Institutionen fand sich ein überzeugender Ersatz. Es waren vor allem zwei Elemente des Reformwerks, die sich nicht durchsetzen bzw. nicht mit den japanischen Verhältnissen aussöhnen ließen: die Reklamierung allen Landes als Staatsland und die Bindung von Ämtern und Rängen an Bildung oder Verdienst.
Am Ende des 8. Jahrhunderts wurde die Hauptstadt doch noch einmal verlegt: 794 entstand Heian (das heutige Kyōto) nach denselben architektonischen Prinzipien, aber in größeren Ausmaßen als Heijō und sollte bis 1869 Sitz des Kaiserhofes bleiben.
Bis zum 9. Jahrhundert waren einige Abweichungen von den gesetzlich verankerten Reformen so sehr zur Regel geworden, dass man sie als Institutionen »außerhalb der Gesetze« legalisierte, nämlich privaten und damit vererbbaren Großgrundbesitz (s. Kap. 3) sowie das Regentenamt für eine dem Kaiserhaus durch Einheirat verbundene Familie. Diese Konstellation einer dualen Machtausübung durch Kaiser und Regent, wobei dem Tennō Ritual und Zeremoniell und den Regenten die Ausführung weltlich-alltäglicher Aufgaben oblagen, behielt durch die gesamte vormoderne Geschichte Japans hindurch nahezu unangefochten ihre Gültigkeit. Inhaber und äußere Form des Regentenamtes wechselten in Abhängigkeit von den tatsächlichen Machtverhältnissen im Land, doch erst die Übertragung der Regentschaft an einen von der kaiserlichen Familie unabhängigen Angehörigen der Militärelite beendete am Ausgang des 12. Jahrhunderts die Epoche der Dominanz des Kaiserhofs.
Nahezu zeitgleich mit dem Rückzug der Tennō aus der Tagespolitik zog sich auch das Land auf sich selbst zurück: Am Ende des 9. Jahrhunderts wurde der diplomatische Austausch mit China eingestellt. Handelskontakte sowie Studienoder Missionsreisen buddhistischer Mönche fanden jedoch weiterhin statt.
In dieser Zeit verwandten der Kaiserhof und die Damen und Herren des Hofadels ihren Reichtum und ihre Muße darauf, in allen Bereichen der materiellen Kultur und der schönen Künste höchst elegante und empfindsame Formen zu entwickeln bzw. deren Ausgestaltung zu fördern, wobei zu den größten Leistungen die Schaffung einer eigenen Schrift sowie einer sehr subtilen Vers- und Prosaliteratur zählen. Diese Kultur wurde für alle folgenden Generationen und Gesellschaftsschichten zum Maßstab schlechthin.
Außerhalb der sehr abgehobenen Welt des Kaiserhofes und der Hauptstadt verloren die Reformgesetze noch schneller ihren Einfluss und ihre Gültigkeit. Steuerfreier Grundbesitz weitete sich aus und seine Konzentration in den Händen weniger Familien machte bewaffneten Schutz notwendig. So entstand neben der beamteten Provinzverwaltung eine militärische Elite mit direktem Landbesitz und persönlicher Gefolgschaft, die während des 12. Jahrhunderts vom Hofadel zunehmend in die Auseinandersetzungen um Thronfolge und Regentschaft hineingezogen wurde. Das Jahrhundert endete kriegerisch und mit dem Verlust der ungeteilten Macht des Kaiserhofes: 1192 wurde der erste erbliche Shōgun ernannt und damit erstmals die Regentschaft durch einen Angehörigen der Militärelite vom Hof anerkannt. Daran sollte sich, trotz einiger erfolgloser Restaurationsversuche, bis 1867 nichts mehr ändern.
Die Epoche kaiserlicher Dominanz war durch eine Umwandlung des bestehenden Geschlechterstaats in einen modernen, zentral organisierten Beamtenstaat nach dem Vorbild der chinesischen Sui- und Tang-Dynastien (589–906) eingeleitet und erreicht worden. Trotz der unbestreitbaren Vorteile und des Entwicklungsschubs, den diese Reformen bewirkten, wurden vom 9. Jahrhundert an verschiedene Anpassungen dieses Systems an überkommene japanische Verhältnisse vorgenommen: Erbanspruch galt wieder vor Anspruch durch Bildung, und die duale Form der Regierungsausübung wurde fest etabliert. Aus dem chinesischen Erbe übernommen wurde der hohe Respekt vor Zivilisation und Bildung insgesamt sowie die Bedeutung dieser Kriterien für die Beurteilung des einzelnen Menschen.
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375 Der Überlieferung nach Einführung der chinesischen Schrift
538 (oder 552) Der Überlieferung nach Einführung des Buddhismus
604 »17-Artikel-Verfassung« des Kronprinzen Shō toku (574 – 622)
607 Stiftung des Hō ryū-ji-Tempels bei Nara durch den Kronprinzen Shō toku
645 Taika-Putsch, Vernichtung der Familie Soga
Beginn der Jahreszählung in Regierungsdevisen (nengō): Taika (Große Wandlung)
Prinz Naka no Ōe, der spätere Tenji-Tennō, wird Kronprinz
646 Erlass des Taika-Reformedikts: kein privater Landbesitz; zentrale Verwaltung, Steuern und Dienste
Naniwa wird Residenz
657 Gründung der Hossō-Schule des Buddhismus
661–671 Regierungszeit des Tenji-Tennō
663 Rückzug Japans von der koreanischen Halbinsel
667 Ōtsu (Ōmi-Palast) wird Residenz
668 Erste Kodifikation der Reformgesetze (nicht gesichert)
669 Tod des Nakatomi (später Fujiwara) no Kamatari (geb. 614), Ahnherr der Familie Fujiwara, neben Tenji-Tennō Motor der Reformen
672 Jinshin no ran (Aufruhr im Jahr Wasser-Affe [mizunoe/ jin-saru/shin]): Erbfolgekrieg zwischen Sohn und Bruder des Tenji-Tennō
673–686 Regierungszeit des Temmu-Tennō
673 Asuka (Kiyomigahara-Palast) wird Residenz
Einrichtung eines Amtes für Angelegenheiten der (shintoistischen) Gottheiten sowie der »Kanzlei der Hochschule«
681 Einrichtung einer Kommission zur Kompilation einer Chronik
682–689 Kodifikation der Reformgesetze (nicht erhalten)
684 Neue Rangfolge für den Adel
685 Anordnung, in jedem Haus einen Buddha-Altar aufzustellen
694 Fujiwara wird die erste Hauptstadt mit Gittergrundriss
697–707 Regierungszeit des Mommu-Tennō
701 Fertigstellung des Taihō-Kodex: Systematisierung der Reformgesetze, Abschluss der Taika-Reform
710 Heijō (Nara) wird Hauptstadt
712 Fertigstellung des Kojiki (Bericht von alten Dingen)
713 Erlass zur Kompilation von Provinztopographien Fudoki
718 Revision des Taihō-Kodex: Yō rō-Kodex
720 Tod des Fujiwara no Fuhito (geb. 659), Schwiegervater des Mommu-Tennō sowie Groß- und Schwiegervater des Shō mu-Tennō
Fertigstellung des ersten (von sechs) offiziellen Annalenwerken, Nihongi (Annalen des Sonnenursprungslandes)
724–749 Regierungszeit des Shō mu-Tennō
731 Einrichtung eines Staatsrats
736 Gründung der Kegon-Schule des Buddhismus
741 Anordnung zum Bau von Provinzhaupttempeln
743 Legalisierung der Erblichkeit des Grundbesitzes
745–752 Guss und Einweihung des Großen Buddha im
Tō dai-ji-Tempel in Nara
751 Kompilation der chinesischen Gedichtanthologie
Kaifūsō
753 Gründung der Ritsu-Schule des Buddhismus und Einrichtung der ersten Weihebühne in Japan durch Ganjin (688–763)
756 Übergabe der Hinterlassenschaften des Shō mu-Tennō an das Schatzhaus (Shō sō-in) des Tō dai-ji-Tempels
8. Jh. (2. Hälfte) Kompilation der japanischen Gedichtanthologie Manyō shū (Zehntausend-Blatt-Sammlung)
765–770 Affäre um den Mönch Dō kyō
781–806 Regierungszeit des Kammu-Tennō
784 Nagaoka wird Hauptstadt
792 Ersatz der Dienstpflichtigen durch lokale Milizen
794 Heian (Kyōto) wird Hauptstadt
797 Ernennung des Sakanoue no Tamuramaro zum Oberbefehlshaber (sei’i-tai-Shōgun) gegen die Emishi im Nordosten
Fertigstellung des Shoku-Nihongi (Fortgesetzte Annalen des Sonnenursprungslandes)
9. Jh. Entwicklung der Kana-Silbenschriften
805 Gründung der Tendai-Schule des Buddhismus
806 Gründung der Shingon-Schule des Buddhismus
809–823 Regierungszeit des Saga-Tennō
810 Einrichtung eines Archivarbüros
811 Letzter Feldzug gegen die Emishi, danach kulturelle Angleichung
820 Einrichtung einer Polizeibehörde
821 Fertigstellung des Dairi-shiki (Ausführungsbestimmungen [zu den Gesetzen] für den Palast)
834 Veröffentlichung des amtlichen Gesetzeskommentars Ryō no gige
838 Letzte offizielle Gesandtschaft nach China
844 Letzte dokumentierte Landneuzuteilung
9. Jh. (2. Hälfte) Entstehung der ältesten japanisch geschriebenen Prosaerzählung Taketori-monogatari (Die Erzählung vom Bambussammler)
858 Fujiwara no Yoshifusa (804–872) wird Regent für den minderjährigen Seiwa-Tennō
884 Fujiwara no Mototsune (836–891) wird Regent für den erwachsenen Kō kō-Tennō
885–891 Sugawara no Michizane (845–903) in hohen Staatsämtern, 901 Verbannung
894 Abbruch der offiziellen Beziehungen zu China
901 Fertigstellung des letzten offiziellen Annalenwerkes Sandai-jitsuroku (Aufzeichnungen über die drei Kaiser = Seiwa-, Yō zei- und Kō kō – Tennō)
905 Kompilation der ersten (von 21) Kaiserlichen Gedichtanthologie Kokin[waka]shū (Sammlung [von Gedichten] aus alter und neuer Zeit)
906 Ende der Tang-Dynastie in China
927 Fertigstellung des Engi-shiki (Ausführungsbestimmungen der Ära Engi [zu den Gesetzen])
935 Entstehung des Tosa-nikki (Tosa-[Reise-]Tagebuch) des Ki no Tsurayuki
995 Fujiwara no Michinaga (966–1028) wird Oberhaupt der Familie: Höhepunkt der Macht der Fujiwara
966–1028 Lebenszeit des Fujiwara no Michinaga
1002 Entstehung des Makura no sō shi (Kopfkissenheftchen) der Hofdame Sei Shō nagon
um 1010 Entstehung des Genji-monogatari (Erzählung vom [Prinzen] Genji) der Hofdame Murasaki Shikibu
1016–1017 Michinaga wird Regent: er ist Schwiegervater von vier und Großvater von drei Tennō
11. Jh. (2. Hälfte) Fertigstellung des Eiga-monogatari (Erzählung von strahlender Blüte): Fortführung der Historiographie in Erzählform
1052–53 Bau der Amida-Halle des Byō dō-in-Tempels
1068–1072 Regierungszeit des Go-Sanjō-Tennō (1034–1073)
1069 Einrichtung des Dokumentarbüros zur Kontrolle des Landbesitzes
1072–1086 Regierungszeit des Shirakawa-Tennō (1053–1129), danach Exkaiser bis 1129
1086 Einrichtung der »Regierung durch abgedankte Kaiser« (insei)
1123 Gründung der Yūzū-nembutsu-Schule des Buddhismus
1153 Taira no Kiyomori (1118–1181) übernimmt die Führung seiner Familie
1156 Hō gen no ran (Aufruhr der Ära Hō gen [1156–59]): Thronfolgestreit, der militärisch ausgetragen wird
1159 Heiji no ran (Aufruhr der Ära Heiji [1159–60]): Machtkampf um Einfluss bei Hof, ausgetragen zwischen Angehörigen der Kriegerfamilien Taira und Minamoto, Sieg der Taira
1167 Taira no Kiyomori wird Großkanzler
1175 Gründung der Jō do(Reines Land)-Schule des Buddhismus
1177 Zerstörung der Großen Staatszeremonienhalle
1180 Thronbesteigung des Antoku-Tennō (1178–85), des Enkels von Taira no Kiyomori
1180–1185 landesweiter Krieg zwischen den Taira und den Minamoto, endet mit der Seeschlacht von Dan-no-ura (bei Shimonoseki), Sieg der Minamoto
1185 Minamoto no Yoritomo (1147–1199) kann in allen Provinzen Militärgouverneure (shugo) und Landverwalter (jitō) einsetzen
1191 Gründung der Rinzai-Schule des Zen
1192 Yoritomo wird vom Tennō zum erblichen Militärregenten (sei’i-tai-Shōgun) ernannt