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Die Zeit des Umbruchs
ОглавлениеDie Versorgung der Bevölkerung mit Ackerland bildete einen Grundpfeiler der Agrarpolitik des alten Zentralstaats. Die »Förderung des Ackerbaus« war neben der Aufrechterhaltung der rechten Ordnung die Grundlage des Herrschaftsethos der Regierenden. Hauptanbaufrucht war in allen vormodernen Epochen der Nassreis, und so drehte sich die Agrarpolitik um die Schaffung und Instandhaltung von Be- und Entwässerungsanlagen, Neuzuteilung und Umteilung von Ackerland, Ausweitung der Anbauflächen, Ausleihe von Saatgut, Unterstützung in Notzeiten und sogar Fürbitten um günstiges Wetter. Höchster Eigentümer des gesamten Landes war der Staat, personifiziert im Monarchen, dem Tennō. Die Entstehung des Feudalismus bedeutet hinsichtlich der Agrarverfassung, dass dieses Obereigentum durch neue, komplexere Formen der Verfügungsgewalt über den Boden abgelöst wurde. Dass die staatliche Kontrolle über das Land im Altertum nicht nur auf dem Papier stand, lässt sich zum Beispiel an den schachbrettartigen Planfluren erkennen, die vor mehr als einem Jahrtausend unter dem alten Zentralstaat angelegt wurden und die sich bis heute in einigen noch nicht zersiedelten Agrarlandschaften des Altsiedellandes von Kyūshū im Südwesten bis weit in den Nordosten der Hauptinsel erhalten haben – dank dem Engagement von Bürgern, die sich für die Erhaltung auch solcher Kulturdenkmäler einsetzen.
Die Planfluren erleichterten die Identifizierung jedes Streifens Ackerland durch die Behörden. Von diesen Ackerfluren sind auch einige Pläne erhalten, deren älteste aus der Mitte des 8. Jahrhunderts datieren und die somit zu den ältesten maßstäblich angelegten Karten der Welt gehören. Gegenstand der Besteuerung war der Fiskalhaushalt (ko), ein aus durchschnittlich 20 bis 30 Personen bestehender Familienverband. Um die Fiskalhaushalte mit dem jeweils nötigen Ackerland zu versorgen und sie damit besteuerungsfähig zu erhalten, wurden regelmäßige Landumteilungen vorgenommen. Das Ackerland blieb Gemeindebesitz bzw. Staatseigentum, nur an den Hausstätten und am Gartenland wurde den Haushalten ein dauerhaftes Besitzrecht zugestanden. 50 Fiskalhaushalte wurden zu einer Gemeinde (gō) zusammengefasst, von denen mehrere einen Distrikt (gun) bildeten.
Während die Vorsteher der beiden unteren Verwaltungseinheiten zwar von der Zentrale ernannt, aber aus der lokalen Elite rekrutiert wurden, gehörte das Amt des Gouverneurs einer Provinz (kuni/koku) zur Karrierelaufbahn des Hofadels. Die Dienstzeit in der Provinz währte vier Jahre. Die Gouverneure waren unmittelbar der Zentralregierung verantwortliche Leiter der Provinzbehörden. Aus den von der Provinzverwaltung erhobenen Steuermitteln wurden Aufwendungen für lokale und zentrale öffentliche Aufgaben bestritten, der größte Teil davon wurde dem hauptstädtischen »Konsumtionsfonds« einverleibt, aus dem Kaiserhaus, Hofadel, geistliche Einrichtungen und die Beamtenschaft die ihnen zustehenden Einnahmen zugewiesen bekamen. Der Staat besaß somit ökonomische Funktionen, die für das Gesamtsystem grundlegend waren: Für die Angehörigen des Herrschenden-Status war dies seine Distributionsfunktion, für den Beherrschten-Status, die unmittelbaren Produzenten, die Sorge für die Bedingungen eines stabilen Ackerbaus.
Das Eigentum an der wichtigsten Quelle allen gesellschaftlichen Reichtums, am Grund und Boden, war unter dem ritsuryō-Staat so rigider staatlicher Kontrolle unterworfen, dass man versucht ist, dafür den anachronistisch modern anmutenden Begriff Staatseigentum zu verwenden. Eigentumslosigkeit – oder vielleicht zutreffender: faktisch kollektiver Besitz – am Land galt nicht nur für die Produzierenden, sondern auch für die Mitglieder des Herrschenden-Status – Kaiserhaus, Hofadel, große buddhistische Klöster und Shintō-Schreine und staatliche Funktionsträger in den Provinzen. Je nach Rang und Amt standen den Mitgliedern dieser Gruppen neben genau festgelegtem Einkommen in Naturalien und Hauspersonal auch eine bestimmte Anzahl leistungspflichtiger Fiskalhaushalte und Ackerflächen zu. An diesen hatten sie jedoch genauso wenig – oder eher noch weniger als jene – Eigentumsrechte wie die Ackerbauern an ihren Umteilungsfeldern. Der Grundgedanke war hier ein ähnlicher wie bei den ackerbäuerlichen Umteilungsfeldern. Den Berechtigten sollte ein durchschnittlich zu erwartender Feldertrag als Einkommen zufließen. Solche Felder waren nicht im Kataster lokalisiert, die Berechtigten verfügten auch über keine eigenen organisatorischen Mittel, um sich ihre Einkünfte von diesen Feldern selbst zu beschaffen. Diese Aufgabe erfüllten für sie die Provinzbehörden und die zuständigen Amtsstellen in der Hauptstadt. So waren, wenn alles nach den Regeln vonstattenging, ihre Einkünfte gesichert, ohne dass sie einen Eigentumstitel auf bestimmte Flächen oder Territorien hätten geltend machen können. Auch in dieser Eigentumsverfassung der staatlichen Funktionsträger (zwischen Adel und Beamtentum / staatlichen Funktionären lässt sich keine klare Trennlinie ziehen) liegt ein grundlegender Unterschied zu den mittelalterlich-feudalen Verhältnissen. Den Prozess der Veränderung dieses Systems gilt es hier genauer zu betrachten. Ein dauerndes Konfliktfeld bildete die Politik zur Ausweitung der Anbauflächen, um neue staatliche Einkunftsquellen zu erschließen. Die Zentralregierung versuchte, Anreize für die Erschließung neuer Flächen durch Zugeständnisse in den Besitzrechten zu schaffen. Aber die staatlichen Maßnahmen waren höchst widersprüchlich, Zugeständnisse wurden gemacht, um ein oder zwei Jahrzehnte später wieder kassiert zu werden. Weniger eine Durchbrechung des staatlichen Eigentumsanspruchs bzw. die Unfähigkeit, ihm nötigenfalls auch Nachdruck zu verleihen, lässt sich aus all dem ablesen, sondern eher der Wille, den staatlichen Anspruch immer wieder aufs neue durchzusetzen, auch unter Änderung der ursprünglichen Vorgaben des ritsuryō-Kodex. Dies zeigt sich zum Beispiel auch bei den Ackerflächen, die in der Mitte des 8. Jahrhunderts in den Provinzen neu erschlossen oder umgewidmet wurden, um aus ihrem Ertrag Mittel für die Errichtung und Erweiterung des Klosters Tō dai-ji in Nara zu gewinnen. Die für dieses Unternehmen neugewonnenen Flächen wurden shō oder shōen genannt (in der Forschung »frühe shōen«, um sie von den mittelalterlichen shōen-Grundherrschaften zu unterscheiden). Sie wurden in Pacht oder Fron bearbeitet, und der Großteil des Ertrags wurde von den Provinzbehörden, die auch die Erschließung in Kooperation mit den lokalen Honoratioren organisiert hatten, an eine eigens für die Durchführung dieses Großprojekts eingerichtete Behörde in der Hauptstadt abgeführt und von dort an die Klosterobrigkeit weitergeleitet. Man kann dabei durchaus von einer Art »Staatsunternehmen« sprechen. Die wirtschaftliche und politische Verfassung des ritsuryō-Systems hatte als kohärente Struktur etwa bis ins 10. Jahrhundert Bestand. Im 10. Jahrhundert vollzog sich ein tiefgehender sozialer, politischer und wirtschaftlicher Wandel. Dem hofadligen Gelehrten und Karrierepolitiker Miyoshi no Kiyoyuki verdanken wir ein Dokument dieses Umbruchs. Er hatte in einer Denkschrift dem Tennō gegenüber seine Kritik vor allem der Fiskalpolitik erläutert. Er forderte, dass die knapper werdenden Finanzmittel für die Aufstockung des Behördenpersonals und für öffentliche Einrichtungen in Landwirtschaft und Verkehr verwandt und dass die im 9. Jahrhundert zum Erliegen gekommene Umteilung des Ackerlandes wieder aufgenommen werden sollte, um eine stabile fiskalische Basis zu schaffen. Auch können wir aus diesem Dokument herauslesen, dass maßgebliche Vertreter des Hofs noch im frühen 9. Jahrhundert die ritsuryō-Ordnung für wiederherstellbar hielten, wenn denn nur der politische Wille vorhanden wäre. Eine 988, gut 80 Jahre später, verfasste Klageschrift von Distriktsvorstehern der Provinz Owari (heutiges Nagoya) und Großbauern über das Missregiment ihres Gouverneurs vermittelt ein dramatisches Bild von dem sozialen und ökonomischen Wandel in den Provinzen. Umteilungsfelder werden zwar noch erwähnt, aber neue Umteilungen fanden schon längst nicht mehr statt. Das gesamte Steuerwesen ist auf eine neue Grundlage gestellt worden. Da die Register der Fiskalhaushalte obsolet geworden waren, wurde die einheitliche staatliche Kontrolle über Menschen und Boden durch eine rigide Kontrolle des Bodens ersetzt. Die Provinzverwaltung vergab Landareale an Mitglieder der lokalen Mittel- und Oberschicht in Steuerpacht. Diese Areale von einigen wenigen bis zu mehr als einem Dutzend Hektar wurden mit dem Namen ihrer Steuerpächter versehen, sie hießen deshalb myō (»Namen«) oder fumyō (»auf seinen Namen übernehmen«). Der Zuschnitt der Steuerpachtbezirke war weitgehend unabhängig von örtlichen betrieblichen Zusammenhängen vorgenommen worden. Entscheidende Vorbedingung für den Abschluss des Pachtvertrags war, dass der Pächter die fälligen Steuern entrichtete und für die Ableistung von auf dem Land lastenden Arbeitsdiensten sorgte; den Überschuss konnte er als Gewinn einbehalten. Blieb er die Steuern schuldig, verlor er alle Rechte an seinem Pachtbezirk. Das Steuersystem der ganzen Provinz war nunmehr auf Steuerpacht aufgebaut. Für jede Provinz galt eine fixe Steuerveranschlagung, die allein auf Grundlage der bestehenden Landregister ermittelt war, Revisionen der Veranschlagung auf Basis neuer Landaufnahmen wurden in der Regel nicht vorgenommen. Die mit Steuern in Sach- und Arbeitsleistungen belasteten Flächen wurden als »staatliche Nassreisfelder« (kō den) in von der Provinzbehörde verwalteten Registern (denzu, ō tabumi) verzeichnet. Die »staatlichen Nassreisfelder« waren nicht katastermäßig fixiert, da das Ziel der Registrierung nur die Sicherung eines zu erwartenden, festgelegten Durchschnittsertrags einer bestimmten Fläche, nicht aber die Erfassung des Bodens an und für sich war. Eine gewisse räumliche Fixierung gab es nur insofern, als für die einzelnen territorialen Untereinheiten einer Provinz (Distrikte, gō-Gemeinden, myō-Pachtbezirke etc.) die Flächen von »staatlichen Nassreisfeldern« als Rechnungseinheit festgelegt waren. Das bedeutet, dass auch Neulanderschließungen zwar die Produktivität der Provinz erhöhten, aber nicht unmittelbar in die Liste der »staatlichen Nassreisfelder« aufgenommen wurden. Sie bedeuteten also für die Hauptstadt eine steuerrechtliche Grauzone. Um ihre steuerrechtliche Behandlung entbrannten in der Folgezeit zahlreiche Auseinandersetzungen.
Der Ertrag, den der Provinzgouverneur über die festgelegten Steuerleistungen hinaus aus der Provinz herauswirtschaftete, bildete sein Einkommen. Der Unterschied im wirtschaftlichen Denken von fumyō-Steuerpächter und Provinzgouverneur lag darin, dass ersterer Interesse an einem dauerhaften oder steigenden Ertrag hatte und entsprechend auch eher zu investieren geneigt war, letzterer in den vier Jahren seiner Amtszeit möglichst viel aus seiner Provinz herauszuholen bestrebt war.
Nicht nur die Staatsfinanzen plagten den Hof im 10. Jahrhundert, es gab auch Ereignisse, die ihn in Endzeitstimmung versetzen mussten. Fast gleichzeitig brachten in der Mitte des 10. Jahrhunderts die Rebellionen von Taira no Masakado in Ostjapan und von Fujiwara no Sumitomo im Westen das Land und den Hof in Aufruhr. Beide Protagonisten verkörpern – bis auf ihr dramatisches Ende – einen Karriereweg, der für viele Mitglieder der mittleren Ränge des Hofadels typisch geworden war: Da sie in der Hauptstadt nicht mehr auf eine Karriere rechnen durften, versuchten sie ihr Glück in der Provinz.
Sumitomo bekämpfte von 931 bis 938 als militärischer Beauftragter die Piraten im Binnenmeer zwischen den drei Hauptinseln Honshū, Shikoku und Kyūshū (Seto-Inlandsee), dem wichtigsten Transportweg für den Güterverkehr aus den reichen westlichen Landesteilen und vom Festland in die Hauptstadt. Für seine Verdienste hatte er den Posten eines Geschäftsführenden Gouverneurs der Provinz Iyo auf Shikoku erhalten. Unzufrieden mit der Belohnung ließ sich Sumitomo auf einer Insel im Meer vor Iyo nieder und ging nun selbst dem Gewerbe nach, das er bislang bekämpft hatte. Schon 939 war er der mächtigste Piratenanführer der Region. Alarmiert von den Hiobsbotschaften, die zur gleichen Zeit auch aus Kantō die Hauptstadt erreichten, schickte der Hof in einer gewaltigen Anstrengung eine Land- und Seestreitmacht gegen Sumitomo und seine aus Freibeuterhändlern und Fischern bestehende Bündnisflotte aus. Durch Verrat konnte er schließlich 941 gefangen genommen werden und starb kurz darauf im Kerker.
Taira no Masakado war ein Nachkomme des Kammu-Tennō. Sein Großvater, ein kaiserlicher Prinz, hatte sich nach etlichen Dienstjahren in der Provinzverwaltung in Kantō im Osten des Landes – wie Sumitomo im Westen – entschlossen, in der Provinz sein Glück zu versuchen, und in der Folge hatten sich vor allem in der Kantō-Ebene zahlreiche Vertreter der Kammu-Linie der Taira niedergelassen. 935 war zwischen Taira no Masakado und seinem Onkel Kunika ein Streit entbrannt. Der Konflikt weitete sich auf mehrere Provinzen in Zentral- und Ost-Kantō aus und eskalierte schließlich zur politischen Rebellion. Wohl eingedenk seiner Vorfahren rief sich Masakado 939 zum neuen Tennō aus, richtete einen eigenen Hofstaat ein und ernannte für die Provinzen in Kantō ihm ergebene Gouverneure, nachdem er die von der Hauptstadt entsandten vertrieben hatte. 940 wurde er von einem Bündnis regionaler Machthaber, zu dem auch seine Gegner in der eigenen Sippe gehörten, getötet, bevor eine aus der Hauptstadt entsandte Streitmacht hatte eingreifen können. Um beide Rebellen rankten sich bald zahlreiche Legenden und verwoben sich mit dem Kult von Zorngeistern (onryō), die als Rache für im Vorleben erlittenes Unrecht Krankheiten und Katastrophen über die Menschen bringen. Auch dies war eine Form, in der sich die soziale Unruhe in den Provinzen artikulierte. Religiös inspirierte überregionale soziale Bewegungen solcher Art werden zum Beispiel für 939 und für 945 in den Quellen erwähnt. Sie sind Vorreiter sozialer Bewegungen in religiöser Gestalt, die für das Mittelalter charakteristisch waren. Durch die Rebellionen von Masakado und Sumitomo kommen auch zwei weitere Phänomene in den Blick, die das herannahende Mittelalter ankündigten: zum einen das Berufskriegertum, zum anderen der Trend, dass Abkömmlinge des Hofadels, die im Provinzdienst tätig waren, sich in der Provinz niederließen. Ermöglicht wurde dies durch die gewachsene Autonomie der Provinzen, die sich nicht nur auf die Finanzverfassung beschränkte. In den Provinzen ansässige Krieger bildeten das menschliche Reservoir, aus dem der neue herrschende Stand des Kriegeradels entstand.