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Die höfische Kultur
ОглавлениеKulturelle Leistungen im engeren Sinne erbrachten zu Beginn dieser Zeit der Dominanz des Kaiserhofes vor allem die buddhistischen Klöster: Seit der Errichtung des Hō ryū-ji-Tempels (erste Bauten vom Ende des 6. Jahrhunderts) sind durch sie bedeutende Beispiele der Architektur, Plastik und Malerei auf uns gekommen. Der spezifische Beitrag des Hofes zur japanischen Kultur aber ist die Gestaltung der Etikette sowie die Kultivierung der Schrift und des Schreibens.
Diese begann 673 mit der Einrichtung der Hochschule (daigaku) zur Ausbildung einer in chinesischer Sprache und Schrift sowie Philosophie und Literatur versierten Beamtenelite, die allein über ihren Bildungserfolg zu Rängen und Ämtern bei Hof kommen sollte. Zuvor, seit Einführung der chinesischen Schrift nach Japan an der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert, waren Schreiben und Lesen das Monopol einer Schreibergilde und des buddhistischen Klerus gewesen, die selbst meist chinesischer oder koreanischer Herkunft (Kikajin) waren.
Bei dem genau entgegenlaufenden Satzbau der beiden Sprachen war die chinesische Schrift als eine nicht phonetische, sondern Piktogrammschrift wenig geeignet für die Wiedergabe der japanischen Sprache, so dass das Schreiben lange Zeit auf das Amtliche beschränkt und in Schrift und Sprache chinesisch blieb. Doch schon dabei war zur Wiedergabe von Namen, bei denen die Aussprache von Bedeutung ist, Kreativität vonnöten: Hier wurde der erste Schritt zu einer nur am Lautwert orientierten Verwendung der chinesischen Schriftzeichen getan.
Wegen dieser Einschränkungen standen auch die ältesten japanischen Literaturwerke zunächst noch in direktem Zusammenhang mit den Intentionen des höfischen Beamtenstaates und entstammen der Zeit unmittelbar nach der Etablierung der kaiserlichen Regierung in der neuen Hauptstadt Heijō (Nara). Das Kojiki (Bericht von alten Dingen) von 712 belegt in Chronikform die Abstammung der regierenden Kaiserfamilie von der Sonnengottheit und damit ihren Herrschaftsanspruch seit mythischer Zeit, während das Nihongi (Annalen des Sonnenursprungslandes, 720) im Stil der chinesischen Kaiserannalen und mit Blick auch auf eine außerjapanische Leserschaft in reinem Chinesisch die Geschichte des Landes und seiner Herrscher bis in die unmittelbare Gegenwart (697) dokumentiert. Ihm folgen bis zum Beginn des 10. Jahrhunderts noch fünf weitere derartige offizielle Reichsannalen. Dazu kommen ergänzend die Fudoki, seit 713 erstellte Provinzbeschreibungen, die wirtschaftliche und geographische Fakten, aber auch Sagen und Legenden enthalten und die Schreibung japanischer Ortsnamen mit chinesischen Zeichen festlegen.
Um die Mitte des Jahrhunderts entstanden erste Werke der Schönen Literatur: Das Kaifūsō, eine Sammlung chinesischer Gedichte, belegt nach der philosophisch-historiographischen auch den Grad chinesisch-literarischer Bildung, den der japanische Hofadel inzwischen erreicht hatte. Das wenig später kompilierte Manyō shū (Zehntausend-Blatt-Sammlung) fasst die landessprachliche lyrische Tradition seit der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts zusammen und enthält rund 4500 Gedichte, die bislang verstreut in historiographischen Werken oder mündlich überliefert worden waren. Mit ihrer Niederschrift wurde das Verfahren, chinesische Schriftzeichen unabhängig von ihrer Bedeutung nur nach dem Lautwert zu verwenden, so weit vervollkommnet, dass eine zwar umständliche, aber doch adäquate Fixierung der fünfzig Silben der japanischen Sprache erreicht war, die als manyō gana (im Stil des Manyō [shū] geliehene Zeichen) bezeichnet wurde. Der weitere Gebrauch führte zu kursiven Vereinfachungen dieser Zeichen, die dann nicht länger Piktogramme waren, sondern ein reines Silbenalphabet darstellten, das eine leichte und vollständige Verschriftung des Japanischen ermöglichte. Dennoch blieb die chinesische Schrift und Amtssprache weiterhin das Medium der gebildeten Hofbeamtenschaft. In der gesprochenen Sprache und mit den vereinfachten Zeichen schrieben vorrangig die Hofdamen, weshalb man diese Schrift zunächst onnade (Frauenhand) nannte; der heute übliche Begriff hiragana (glatte Zeichen) stammt erst aus dem 17. Jahrhundert. Wenig später wurde von buddhistischen Mönchen ein zweites Silbenalphabet, die katakana (Teilzeichen), entwickelt, die statt der kursiven Vollform Teilelemente eines Piktogramms pars pro toto zur Darstellung von dessen Lautwert verwendeten. Dieses Silbenalphabet wird nach wie vor hauptsächlich bei Fremd- und Fachwörtern gebraucht. Mit dieser Silbenschrift konnte nun auch eine Prosaliteratur entstehen, an der die Damen des Hofes einen prägenden Anteil hatten: Erzählungen, Tagebücher und Miszellensammlungen, die in japanischer Schrift und eleganter, mit Gedichten durchsetzter Umgangssprache das Leben, Lieben und Trachten des Hofadels schildern. Ein interessantes Beispiel für den Wandel in Schrift, Sprache und Verfasserschaft ist das Tosa-nikki (Tosa-[Reise-]Tagebuch) von 935, in dem ein Mann, der Hofbeamte Ki no Tsurayuki, unter dem schützenden Vorwand, eine Frau zu sein, die japanische Silbenschrift benutzt und poetisch und gefühlvoll seine Rückkehr aus der Provinz Tosa auf Shikoku in die Hauptstadt beschreibt. Zu den herausragenden Beispielen dieser klassischen japanischen Prosaliteratur aber zählen das Makura no sō shi (Kopfkissenheftchen), das höfisches Leben in klugen Skizzen darstellt, und das Genji-monogatari (Erzählung vom [Prinzen] Genji), das dazu ein romanartiges Panorama entrollt. Beide wurden kurz nach der Jahrtausendwende von den Hofdamen Sei Shō nagon und Murasaki Shikibu verfasst, die jede in Diensten einer kaiserlichen Gemahlin, der Nichte Teishi und der Tochter Shō shi des Regenten Fujiwara no Michinaga, standen. Themenumfang, Werturteile und Zitate aus der japanischen und sogar chinesischen Literatur einschließlich der Verwendung chinesischer Schriftzeichen belegen das hohe Bildungsniveau, das Frauen zu dieser Zeit erreichen konnten.
Dieser Aufschwung der Literatur setzte nach dem Abbruch der offiziellen Beziehungen zu China (894) ein und verlief zeitgleich mit dem Aufstieg der Familie Fujiwara zum Höhepunkt ihrer Macht unter Fujiwara no Michinaga (966–1028). Es lassen sich daran ein neues kulturelles Selbstbewusstsein und gewandelte Bildungsinhalte ablesen, die zwar weiterhin chinesische Wurzeln haben, aber dennoch sehr eigenständige japanische Entwicklungen darstellen. Nachdem die Tagespolitik in der Hauskanzlei der Fujiwara-Regenten gemacht wurde und die Hofämter zunehmend rein zeremonieller Natur waren, blieb als Hauptaufgabe von Kaiser und Hofadel die Durchführung der zahlreichen Zeremonien sowie die Bildung und Formung der eigenen Persönlichkeit. Für die Männer gab es dazu die Institution der Hochschule (daigaku), die als obligatorisches Bildungsinstitut auch dann noch weiterbestand, als sie nicht länger zur Beamtenausbildung nötig war. Allerdings veränderte sich die Wertigkeit der einzelnen Fächer: Die literarischen Kenntnisse und daher auch das Lehrpersonal dieser Fakultät erlangten eine höhere Wertschätzung als das zum politischen Handeln nötige philosophische, also konfuzianische Wissen. Weibliche Bildung hingegen fand informell in der Familie statt und sollte zu einer möglichst hochrangigen Heirat bzw. zur Zulassung als Hofdame qualifizieren. Schreiben, Lesen, Musizieren sowie Kenntnisse der lyrischen Tradition und der Etikette waren unabdingbar und wurden im täglichen Miteinander durch Abschauen und Zuhören erlernt.
Die allgemeine Loslösung von chinesischen Vorbildern führte auch zu einer veränderten Geschichtsschreibung. Auf das 901 fertiggestellte letzte chinesisch geschriebene amtliche Annalenwerk Sandai-jitsuroku (Aufzeichnungen über drei Kaiser) folgte erst am Ende des 11. Jahrhunderts eine Fortführung für die Zeit von 887 bis 1092: das Eigamonogatari (Erzählung von strahlender Blüte). Sein Titel bereits erweist es als höfische Erzählung, sprachlich wie diese gestaltet von mehreren Autoren, unter denen man mit guten Gründen auch Hofdamen vermutet. Inhaltlich liegt das Schwergewicht der Darstellung nunmehr ganz im Trend der Zeit stärker auf dem Hofadel als auf den Kaisern; den größten Raum nimmt das als Zeit »strahlender Blüte« beschriebene Wirken des Fujiwara no Michinaga ein.
Die am Hof von Heian von Männern und Frauen gleichermaßen geschaffene Prosaliteratur war von entscheidender Bedeutung für die Dokumentation der gesprochenen Sprache jener Zeit wie auch für die Weiterentwicklung der japanischen Schrift zu einer Mischung aus Silbenalphabet und chinesischen Zeichen. Obwohl der normative Einfluss dieser Prosatexte auf die Sprachentwicklung unbestreitbar ist, behielten sie dennoch immer den Charakter des Privaten; offiziell dagegen und damit öffentlicher Bewertung ausgesetzt waren das chinesische Schrifttum und die Lyrik.
Die vorherrschende lyrische Form zur Zeit des Höfischen Staates war das 31silbige Kurzgedicht (tanka oder waka; Kurzgedicht bzw. japanisches Gedicht), das aus fünf Zeilen ohne Reim, aber mit einem vorgegebenen Silbenschema (5–7–5–7–7 Silben) bestand. Aus den Beispielen der frühesten Lyriksammlung Manyō shū waren formale und inhaltliche Regeln für diese Gedichtform abgeleitet worden, die in Gedichtwettstreiten bei Hof erprobt wurden und in der Folge zu unterschiedlichen Dichterschulen führten. Diese Gedichte waren unverzichtbarer Teil kultivierter Kommunikation und galten als höchster Ausdruck der literarischen Kompetenz des Hofadels. Daher beauftragte Daigo-Tennō 905 den Hofbeamten und Dichter Ki no Tsurayuki (der Verfasser des Tosa-nikki) mit der Kompilation des Kokin[waka]shū (Sammlung [von Gedichten] aus alter und neuer Zeit). Für diese Sammlung wurden rund 1100 mustergültige Gedichte aus Privatsammlungen oder Prosawerken ausgewählt und thematisch geordnet präsentiert. Bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts folgten zur Dokumentation des lyrischen Schaffens des Hofadels unter kaiserlicher Patronage noch 20 weitere derartige offizielle und repräsentative Anthologien.
Die Bedeutung dieser Gedichte reichte jedoch weit über das Literarische hinaus. Besonders in niedergeschriebener Form waren sie kleine Gesamtkunstwerke, durch die sich die umfassende Geschmacksbildung ihrer Verfasser und Verfasserinnen zeigte: Kenntnis der poetologischen Regeln, Angemessenheit des Inhalts bezüglich der Jahreszeit und des eventuellen Empfängers, Fähigkeit zur kalligraphischen Gestaltung sowie die nötigen Kenntnisse bei der Auswahl und Dekoration des Gedichtblatts waren unabdingbar, um sich – als Mann oder Frau – der kultivierten Welt zu empfehlen.
Diese Welt war der Kaiserpalast und die Hauptstadt, ab 794 für nahezu elfhundert Jahre Heian, das seit Ende des 12. Jahrhunderts nur noch schlicht Miyako (die Hauptstadt), in sinojapanischer Aussprache Kyōto, genannt wurde. Seit Fujiwara 694 Residenz geworden war, wurden die japanischen Hauptstädte nach dem Vorbild der chinesischen Metropole mit dem schon beschriebenen schachbrettartigen Grundriss und durch eine nordsüdliche Mittelachse in zwei Hälften geteilt angelegt (s. Karte 4). An den Ausfallstraßen waren Tore errichtet, Stadtmauern gab es im Gegensatz zu China nicht; im Falle von Heian boten jedoch Berge im Osten, Norden und Westen Schutz. Hier entstanden auch die Klöster der neuen buddhistischen Schulen, nachdem Kammu-Tennō Stadtgebiet untersagt hatte. eine Ansiedlung im
Im nördlichen Zentrum der Stadtanlage, als Ausgangspunkt der Mittelachse, befand sich der Kaiserpalast, ein mit Mauern von der Stadt abgegrenztes Areal, zu dem die Große Staatszeremonienhalle, die Ministerien, die Innere Palastanlage des Kaisers und seiner Familie, Gartenanlagen sowie zahlreiche Amtsstellen und Funktionsgebäude gehörten. Die Adelsresidenzen lagen in unmittelbarer Nähe in den nordöstlichen Straßenquadraten.
Die strenge Symmetrie der ursprünglichen Stadtanlage ging jedoch mit der Zeit verloren, da der tiefer gelegene, sumpfige Südwesten wohl nie vollständig bebaut worden war und die Wiederaufbauten nach Bränden oder Naturkatastrophen zu einer Nordostverschiebung der Stadt führten: Statt zwei gegengleichen – linken und rechten – Stadthälften bestimmte die Teilung in eine obere Stadt der Aristokraten (nach Schätzungen zweibis dreitausend, unter Einschluss des niederen Hofadels und des Klerus höchstens fünftausend Personen) und eine untere Stadt, bewohnt vom Rest der ca. 150 000 Einwohner, das Bild der Metropole.
Karte 4: Stadtanlage von Heian-kyō
Von den genannten Zerstörungen blieb auch der Palast nicht verschont, doch bis ins 11. Jahrhundert hinein errichtete man einzelne Gebäude immer wieder neu bis zu dem Großfeuer von 1177, dem die Große Staatszeremonienhalle endgültig zum Opfer fiel. Die offiziellen und inoffiziellen Abläufe am Kaiserhof wurden dadurch jedoch nicht grundsätzlich in Frage gestellt, da die Kaiser zu Zeiten, in denen der Palast nicht zur Verfügung stand, in Adelsresidenzen außerhalb der Palastmauern, z. B. denen ihrer mütterlichen Fujiwara-Verwandten, Wohnung nahmen. Die japanische Bauweise ermöglichte es ohne weiteres, diese Räumlichkeiten durch einige wenige charakteristische Möbelstücke zu einem, allerdings beengten, Ersatzpalast umzufunktionieren (sato-dairi, wörtlich: Palast außerhalb) und damit dem höfischen Leben weiterhin den notwendigen Rahmen zu bieten.
In dieser abgegrenzten, sich selbst genügenden Welt agierten Kaiser und Adel, nur hier konnten sie ihren Lebensstil entfalten, weshalb die Entsendung auf einen Posten außerhalb der Hauptstadt fast einer Verbannung gleichkam. Ebenso fern waren ihnen die Bewohner jenseits der Palastmauern, diese wurden bei gelegentlichen Ausfahrten als exotische Wesen mit befremdlich grobem Benehmen wahrgenommen, auch wenn dazu all die Handwerker gehörten, denen die elegante Ausstattung des Kaiserhofes zu danken war.
Der Palast war die Bühne eines weitgehend durch Zeremonien geformten Lebens: Die Vorschriften des Dairi-shiki (Ausführungsbestimmungen [zu den Gesetzen] für den Palast) regelten detailliert den Ablauf der jährlich wiederkehrenden Ereignisse im Palast. Ähnliche Texte enthielten Bestimmungen für den Tagesablauf oder Vorkommnisse des persönlichen Lebens. Durch diese schriftliche Fixierung wurden die einzelnen Vorgänge zu Präzedenzfällen, deren Gültigkeit auch aus der jeweils korrekten Durchführung resultierte. Die überlieferte Etikette gehörte zur Bildung jedes Hofadeligen, doch für das Zeremonialwissen insgesamt, die genaue Kenntnis der Abläufe und Ausstattung, gab es Expertenfamilien, die über die Traditionen und ihre Einhaltung wachten. Auch hier entstanden, wie schon in der Lyrik, aus unterschiedlichen Traditionsauffassungen verschiedene Zeremonialschulen bzw. -stile.
Mit der Einhaltung der profanen und kultischen Zeremonien leisteten die Kaiser auch nach dem Übergang der alltäglichen Politik in die Hände von Regenten ihren spezifischen Beitrag zum Funktionieren des Höfischen Staates. Daher umfassten diese Zeremonien rituelle Amtshandlungen wie Ernennungen, Entsendungen oder den formellen Beginn von Amtsgeschäften sowie im kultischen Bereich buddhistische Riten und die Verehrung der einheimischen (Shintō-)Gottheiten, vor allem der Sippengottheiten des Kaiserhauses und anderer bedeutender Familien, durch Opfer- und Reinigungsfeiern oder das Erntekosten. Diese Indienstnahme der Gottheiten zum Wohl des Staates war mehr Staatskult denn Religion, weshalb dieser im einzelnen im Rahmen der letzten wichtigen Aktualisierung der ritsuryō-Gesetze, dem Engi-shiki (Ausführungsbestimmungen der Ära Engi [zu den Gesetzen]) von 927, nochmals verbindlich geregelt wurde. Derartiges »göttliches Walten« jeglicher Provenienz benannte man zu dieser Zeit mit dem Wort shintō; zur Bezeichnung eines eigenen religiösen Lehrsystems wurde der Begriff erst wesentlich später.
Von der höfischen Kultur untrennbar, wenn auch nicht primär vom Hofadel gestaltet, ist der Buddhismus, der während der Zeit der Dominanz des Kaiserhofes wie dieser selbst gravierende Veränderungen erfuhr.
Die großen Klöster in Heijō (Nara) waren in erster Linie Studiengemeinschaften, die eine differenzierte religiöse Lehre propagierten und chinesisches Wissen übermittelten. Damit konnte die Aristokratie gewonnen werden, die vom einheimischen Götterglauben weder religiös noch intellektuell angesprochen worden war. Die daraus entstandene enge Verflechtung mit dem Kaiserhof und die Einbindung in staatliche Strukturen, ebenso die Maßnahmen des Kammu-Tennō, um dem politischen Einfluss und den finanziellen Ansprüchen der Klöster entgegenzuwirken, wurden bereits beschrieben.
Dennoch stellten die buddhistischen Mönche die beständigste Verbindung Japans mit dem Festland bis nach Zentralasien her, von wo sie nicht nur immer neue Lehrschriften, sondern auch viele künstlerische und technische Anregungen mitbrachten. Dies zeigt sich bereits an den Malereien und Plastiken des ältesten in Japan erhaltenen Tempels, des Hō ryū-ji bei Nara (gestiftet 607), später dann an den sakralen und profanen Kunstgegenständen aus der Hinterlassenschaft des Shō mu-Tennō, die seit 756 im Schatzhaus des Tempels Tō dai-ji, dem Shō sō-in, aufbewahrt werden. Der fortgesetzte Austausch kulminierte zu Beginn des 9. Jahrhunderts in der Einrichtung zweier neuer Schulen durch Mönche, die bestehenden Nara-Klöstern entstammten, aber nach der Rückkehr von Studienaufenthalten in China in der religiösen Lehre und Praxis andere Schwerpunkte setzten. Saichō begründete 805 die Tendai-Schule, die das Lotos-Sutra und Meditationsübungen (Zen) in den Mittelpunkt stellte. Ihr Zentrum war der Tempel Enryaku-ji auf dem Hiei-Berg nordöstlich der neuen Hauptstadt Heian. 806 folgte die Gründung der Shingon-Schule durch Kūkai, eine Geheimlehre mit vielen mystischen Elementen (Mandala) und einem ausgefeilten Ritualwesen mit dem Haupttempel Kongō bu-ji auf dem Kō ya-Berg in der Provinz Ki’i (heute Präf. Wakayama).
Die Verflechtung mit Hof und Adel stellte sich auch hier rasch wieder ein: Beide Gründerpersönlichkeiten entsprachen dem aristokratischen Bildungsideal; die spätere Legende machte Kūkai (postum Kō bō Daishi: »Der die Lehre weithin verbreitende große Lehrer«) gar zum Kulturheros und schrieb ihm die Erfindung der hiragana-Silbenschrift und die Einführung des Reisanbaus zu. Folgeträchtig wurde aber in vieler Hinsicht – z. B. im Zusammenhang mit der Steuerbefreiung von Landbesitz – die Übertragung hoher Klosterpositionen an die nachgeborenen Söhne des Hofadels. So bildeten sich enge, keineswegs immer harmonische Kontakte zwischen den Fujiwara und dem Tendai-Kloster Enryaku-ji, während die Kaiserfamilie mehr der Shingon-Schule verbunden war, eine ShingonHalle im Palast errichtete, Shingon-Rituale in das höfische Jahresbrauchtum aufnahm und den Tempel Ninna-ji zu einem weiteren Zentrum dieser Lehre in der Hauptstadt Heian selbst machte.
Vor allem aber trugen diese beiden Lehren wesentlich zur weiteren Verschmelzung von Buddhismus und einheimischem Götterglauben bei, indem aus ihren Kategorien die Theorie von Urstand (honji) und herabgelassener Spur (suijaku) entwickelt wurde. Das heißt, die (Shintō-)Gottheiten wurden als raum-zeitliche Manifestationen der immer gültigen Buddha-Wirklichkeit gesehen, die sich wie die Menschen erst noch die Buddhaschaft erarbeiten müssen. Damit wurden neue kultische und rituelle Formen möglich, etwa die Einrichtung von Schreintempeln – üblicherweise werden die buddhistischen Kultstätten als »Tempel«, die der einheimischen (Shintō-)Gottheiten als »Schreine« bezeichnet – zur Übernahme von Schutzfunktionen der Schreingottheiten für die Buddha: Der Kasuga-Schrein beim Tō dai-ji-Tempel in Nara ist ein Beispiel für eine derartige Verknüpfung.
Zur persönlichen Religiosität und Frömmigkeit gehörte zwar auch der Glaube an die einheimischen oder chinesisch-daoistischen Gottheiten und Geister, doch die größte Bedeutung kommt hier den Lehren um den Buddha Amida des westlichen Paradieses bzw. Reinen Landes zu. Sie verhießen Buddhaschaft, also Erlösung, allein durch das Vertrauen in die Barmherzigkeit des Buddha und das Anrufen seines Namens (nembutsu). Die Schulgründungen dieser Richtung entstanden ohne direkte Einflüsse aus China und waren auch dem einfachen Volk leicht zugänglich. 1175 gründete der Tendai-Mönch Hō nen die »Schule des Reinen Landes« (Jō doshū), die in der Folge in vier große Richtungen zerfiel und u. a. die Abschaffung des Mönchszölibats verfügte. Die Lehren und Vorstellungen vom Reinen Land wirkten sich auch in Literatur und Kunst, Architektur und Gartengestaltung aus, wo sie zur Vollendung eines vom chinesischen abgewandten, z. B. betont asymmetrischen Stils beitrugen. Ein Höhepunkt dieses Stils und zugleich eine architektonische Konkretisierung des Reinen Landes ist der Byō dō-in in Uji südlich von Kyōto, ursprünglich eine Sommerresidenz des Fujiwara no Michinaga, die sein Sohn Yorimichi 1052 in eine Tempelanlage umgestalten ließ.
Wiederum direkt auf Kontakte mit dem chinesischen Buddhismus zurückzuführen ist die Einrichtung der ersten selbständigen Zen-Schule in Japan, der Rinzai-Schule, die der Tendai-Mönch Eisai nach zwei Studienaufenthalten in China begründete. Zen (von chin. ch’an, Meditation) gehörte durchaus auch zum Repertoire der älteren Richtungen, besonders der Tendai-Schule, weshalb diese die Verselbständigung und eine Niederlassung in der Hauptstadt vehement bekämpfte. Eisai ging daher im Jahr 1200 nach Kamakura, wo seine Lehre nachhaltigen Einfluss auf die geistige Orientierung des Kriegeradels gewann.
Der Kaiserhof und die Aristokratie von Heijō und Heian (Nara und Kyōto) haben während der Phase höfischer Dominanz in der Auseinandersetzung mit China eine Kultur entwickelt, die zur Vorgabe für alle folgenden Epochen wurde. Dabei war der Buddhismus gewiss die stärkste tragende Brücke für einen fortdauernden geistigkulturellen Austausch mit China auch nach dem Abbruch der Beziehungen auf staatlicher Ebene und zugleich ein Ferment für eigenständige japanische Weiterführungen.