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Krieger und Vasallen
ОглавлениеSeit Jahrhunderten hatten sich immer wieder Hofadlige, frustriert von den geringen Aussichten, in der Hauptstadt Karriere zu machen, in den Provinzen niedergelassen, hatten »unter Stand« in die führenden Sippen der lokalen Gesellschaft eingeheiratet, waren dann, zusammen mit Gefolge aus der Provinz, auch wieder in die Hauptstadt gezogen, um dort bei Hof Dienste meist militärischer Art zu leisten. Oft hatten sie dann dort – bei Fortbestehen ihrer in der Provinz eingegangenen Ehe – in höfische Beamtenfamilien mittleren Rangs eingeheiratet; bevorzugte Heiratspartnerinnen waren Töchter der ihnen ebenbürtigen Provinzgouverneure. Kurzum, sie hatten als Wanderer zwischen den Welten in der Hauptstadt Verbindungen geknüpft, die ihnen wiederum in der Provinz nützlich waren, wie ihre Verbindungen in der Provinz umgekehrt auch für die Hofkreise von Belang waren. Sie agierten als fähige Militärs zwar im Auftrag des Hofs, aber jeder gewonnene Feldzug vergrößerte unweigerlich ihre Macht und verstärkte zugleich das Misstrauen ihrer Auftraggeber. Berühmteste Beispiele für Vertreter dieser neuen Gesellschaftsschicht waren die Geschlechter Taira (von Kammu-Tennō abstammende Linie) und Minamoto (von Seiwa-Tennō abstammende Linie). Beide Geschlechter hatten sich im Lauf der Jahrhunderte wieder in mehrere Linien und Nebenlinien aufgespalten, die sich in verschiedenen Provinzen niedergelassen hatten.
1028 hatte Taira no Tadatsune, dessen Machtbereich sich über die Provinzen Shimō sa und Kazusa in der Kantō-Ebene (heute Präf. Chiba) erstreckte, die Nachbarprovinz Awa (Süd-Spitze der Halbinsel Chiba) angegriffen und den Gouverneur getötet; außerdem hatte er in seinen eigenen Provinzen Steuermittel geraubt. 1030 wurde Minamoto no Yorinobu, Gouverneur der Kantō-Provinz Kai, vom Hof gegen Tadatsune gesandt, um ihn zur Räson zu bringen. Tadatsune unterwarf sich ihm kampflos und nannte sich von nun an Gefolgsmann von Yorinobu. Dies ist nicht nur das früheste Zeugnis der von nun an wachsenden Macht dieser Linie der Minamoto in Ostjapan, sondern auch ein Beleg für die Ausbreitung von Vasallitätsbeziehungen im japanischen Osten. 1051 wurden Yorinobus Sohn Yoriyoshi und dessen Sohn Yoshi’ie vom Hof in die Provinz Mutsu im Nordosten des Landes zur Niederschlagung der Rebellion der mächtigen lokalen Sippe der Abe entsandt, die schließlich nach neun Jahren mit Hilfe von Mitgliedern der Kiyohara-Sippe aus der Nachbarprovinz Dewa besiegt wurde. 1083 wiederum hatte Yoshi’ie, damals Gouverneur der Provinz Mutsu und Militärkommandeur, einen internen Konflikt der Kiyohara nach drei Jahren und vielen Kämpfen 1087 beigelegt. Der Hof weigerte sich jedoch, Yoshi’ies Eingreifen als staatliche Militärexpedition anzuerkennen und ihn für seine Leistungen aus dem Staatssäckel zu entschädigen. Yoshi’ie entlohnte seine im Nordosten ansässigen Truppenführer deshalb aus eigenen Mitteln. Dies machte die Runde unter den Kriegern des Nordostens und gab Yoshi’ies Prestige bei der lokalen Führungsschicht gewaltigen Auftrieb.
In der Folge überschrieben viele einflussreiche lokale Familien ihre Landbesitzrechte auf Yoshi’ie, um sich einerseits in sein Gefolge einzureihen, andererseits ihr Land seinem Schutz zu unterstellen und damit vor dem Zugriff der Provinzgouverneure zu sichern. Dagegen ging der Hof schließlich 1091 per Gesetz vor, um der wachsenden Macht Yoshi’ies in der Region entgegenzuwirken. Dies konnte aber Yoshi’ies Ansehen schon keinen Abbruch mehr tun. Auch hier zeigt sich im Ostjapan des späten 11. Jahrhunderts die wachsende Bedeutung von militärischem Gefolgschaftswesen in Kombination mit der Übertragung von Landrechten oder anderen Gerechtsamen, um sie dann als Lehen zurückzuerhalten. Die von seinen Vorfahren begründete und von Yoshi’ie ausgeweitete Einflusssphäre im Osten, vor allem in Kantō, bewog etliche seiner Nachfahren, sich im 12. Jahrhundert in Kantō niederzulassen und diese Basis weiter auszubauen. Zu den bekanntesten Sippen, die Yoshi’ies Erbe in Kantō antraten, zählen die Nitta und die Ashikaga. Um ihre Verbundenheit mit dem Land zu zeigen, hatten sie zu ihrem Geschlechternamen Minamoto den Namen der shōen-Grundherrschaft, in der sie ihren Hauptsitz errichtet hatten, als Sippennamen angenommen. Dieser Typus von Sippennamen war charakteristisch für den landsässigen Kriegeradel des japanischen Mittelalters. Im Nordosten selbst hatten die sogenannten Ōshū-Fujiwara, Verbündete der Kiyohara, nach dem Abzug des letzten der Minamoto-Feldherren im Jahre 1094 wieder ihre Herrschaft in den Provinzen Dewa und Mutsu konsolidieren können. Die Region erlebte eine Ära der Prosperität, die bis ins späte 12. Jahrhundert hinein währte, als ihrer weitgehenden Autonomie dann doch noch von den Nachfahren Yoshi’ies ein Ende bereitet wurde. Bei der Organisierung der Krieger spielten die Provinzbehörden eine entscheidende Rolle. Für militärische Expeditionen wie zum Beispiel gegen Taira no Tadatsune oder gegen die rebellischen Provinzen im Nordosten wurden die Krieger aus der Schicht der oben beschriebenen lokalen Grundherren rekrutiert. Da die alten Dienstpflichtigenheere schon seit dem 9. Jahrhundert nicht mehr aufgestellt wurden, hatten die Provinzgouverneure polizeiliche und militärische Aufgaben den Angehörigen mächtiger lokaler Familien übertragen, die sich bereits mehrfach im militärischen Metier bewährt hatten. Manche der neugeschaffenen militärischen Posten wurden in bestimmten Familien erblich, wie auch Rüstungen, Waffen, sonstige Ausrüstung und vor allem Kriegskunst in den Kriegerfamilien und daneben durch Patenschaften gepflegt und weitergegeben wurden. Die Führungspositionen wurden für jedes militärische Unternehmen neu besetzt. Die Provinzgouverneure verfügten im 11. Jahrhundert über regelrechte Namenslisten, in denen die »Krieger in der Provinz« (kokunai bushi) verzeichnet waren. Damit war auch ein wichtiger Schritt zu ihrer personellen Abschließung und ständischen Fixierung vollzogen. Der Begriff des Kriegers als eines professionellen Militärs, meist mit dem Wort bushi »Meister der Kriegskunst« bezeichnet, entstand. Die Krieger wurden vom Gouverneur für ihre Dienste mit der Übertragung von shiki-Ämtern und von myō-Bezirken belohnt. Im 12. Jahrhundert war indes den Provinzgouverneuren weitgehend die Kontrolle über die »Krieger in der Provinz« entglitten. Die Krieger hatten begonnen, sich um Inhaber hoher militärisch-polizeilicher Führungsposten mit großem Prestige und persönlichem Charisma zu sammeln, die sogenannten »bushi-Anführer« (buke no tō ryō). Die »Übergabe seines Namenszuges« war ein besonders in Kantō verbreitetes Ritual, mit dem ein Krieger seinen Eintritt in die Gefolgschaft eines Herrn dokumentierte. Von der Zentralregierung wurde diese Tendenz gefördert, weil sie sich davon größere Effizienz und stärkere Kontrolle über die für sie unberechenbaren Krieger versprach. Den bushi-Anführern und Konstablern wurde das Recht übertragen, einzelne ihrer Krieger selbst für Belohnungen vorzuschlagen, die vor allem durch Übertragung von shiki-»Ämtern« erfolgen sollten, und widersetzliche Krieger selbst zu bestrafen. Damit war der organisatorischen Autonomie der Krieger die Bahn bereitet, der Zentralstaat selbst hatte den Kriegern die Mittel zum Aufbau einer echten Vasallität an die Hand gegeben. Die wichtigsten Elemente eines feudalen Kriegerstandes waren so im 12. Jahrhundert zusammengekommen: Kriegshandwerk als eigene Profession, Vasallität als deren soziale Organisationsform und Lehnswesen als materielle Grundlage der Vasallität. Zentrifugal und persönlichkeitsfreudig wie die Zeit war auch das mittelalterliche Kriegshandwerk. Bis ins 15. Jahrhundert herrschte die Kampfform in kleinen Verbänden vor. Zu Beginn der Schlacht riefen sich die Anführer der kleinen Kriegerrotten ihre »Selbstvorstellung« zu. Kern der sehr beweglichen Kampfverbände waren berittene Bogenschützen. Die Reiter trugen eine farbenfroh verzierte Rüstung, die aus durch Leder und Schnüre zusammengehaltenen Eisenlamellen bestand. Sie schützte Oberkörper und Oberschenkel, ohne die Bewegungsfreiheit stark einzuschränken. An die Unterschenkel waren eiserne Beinschienen geschnallt. Kopf und Hals wurden durch einen reich verzierten und meist visierlosen Helm geschützt. Hauptwaffen waren der hölzerne Langbogen und das leicht gekrümmte Langschwert (tachi), eigentlich ein Säbel, eine Weiterentwicklung der Schwerter des EmishiVolkes auf Hokkaidō und in Nord-Honshū. Das Pferd blieb ungepanzert, um in schwierigem Gelände beweglich zu bleiben. Der Reiter wurde – auch im Kampf – von einem fünf bis zehn Mann starken Trupp von Vasallen, Knappen und Dienern begleitet, teils zu Pferde, teils zu Fuß, mit mehr oder weniger vollständiger Rüstung ausgestattet und ebenfalls mit Schwert und Bogen bewaffnet, wobei die Fußsoldaten vorzugsweise mit einer Art Hellebarde (naginata) und nur sehr leichter Rüstung ausgerüstet waren. Die Kampfverbände umfassten meist nur einige hundert Reiter nebst Gefolge. Erst im 15. Jahrhundert wurden diese Kleinverbände zunehmend von großen, hauptsächlich aus Fußsoldaten bestehenden Armeen abgelöst. Über die Ergebnisse einer Schlacht wurde genau und mit Nennung der Namen derer, die sich hervorgetan hatten, Register geführt: Gefallene der eigenen Partei, erbeutete Waffen, Gefangene und getötete Gegner. Prominente gefallene Gegner wurden enthauptet, ihre Häupter konserviert und dem Befehlshaber als Beweis der eigenen Tüchtigkeit vorgezeigt, um sie am Ende den Angehörigen des Gefallenen zurückzusenden. Die so dokumentierten Verdienste waren die Grundlage für die Belohnungen, die meist aus shiki-Ämtern bestanden. Hierbei kam es oft zu Streit, weil bei den Belohnungen nicht nur der materielle Wert, sondern auch das damit verbundene Prestige wichtig war.
Gerade im frühen Mittelalter besaßen Freiheit und Autonomie einen hohen Stellenwert in der Kriegergesellschaft. In der Chronik Azuma-Kagami (um 1300 entstanden) sind für die frühe Zeit des Kamakura-Shōgunats Anekdoten kolportiert, die vom Unabhängigkeitswillen der bushi erzählen. Danach bedeutete es unter den Kriegern förmlich eine Ehre, in den Verdacht des Verrats und der Rebellion zu geraten, weil dies als ein Beweis ihrer Unabhängigkeit galt. So wird berichtet, wie sich ein berittener Krieger weigerte, zur Begrüßung des Gesandten des Shōgun, seines Lehnsherrn, vom Pferd zu steigen und sich vor ihm zu verneigen; er begründete seine Weigerung damit, dass er es mit seiner Ehre nicht vereinbaren könne, sich vor irgendjemandem in dieser Weise zu erniedrigen. Der bushidō, der »Weg der Krieger« mit seiner Betonung der Loyalitätsethik gegenüber dem Herrn, ist großenteils ein postumes ideologisches Konstrukt des entstehenden japanischen Nationalstaats im 19. Jahrhundert. Er spiegelt mitnichten die Lebenswirklichkeit der bushi im Mittelalter wider.
Neben der, trotz aller Betonung der Freiwilligkeit, eben doch »vertikal« strukturierten Vasallität bestimmten stärker »horizontal« orientierte, eher egalitäre Formen sozialer und politischer Organisation das ganze Mittelalter hindurch das Leben der Krieger. Die zahlreichen bündischen Formen (tō-Bünde im 10.–12. Jahrhundert, große ikki-Einungen im 14. Jahrhundert etc.) muten geradezu republikanisch an mit ihren auf Gleichheit der Mitglieder basierenden Formen der Entscheidungsfindung. Auch verwandtschaftliche Organisationsformen prägten die militäraristokratische Gesellschaft. In der Sippe wird vom 13. Jahrhundert an Patrilinearität dominant, ohne dass aber Matrilinearität oder Bilateralität in der Erbfolge gänzlich verschwänden. Die weitverbreitete, flexible Praxis der Adoption unterläuft gewissermaßen die blutsverwandtschaftlichen Abstammungsbeziehungen, so dass eindeutige Zuordnungen zu bestimmten Mustern der Erbfolge erschwert werden. Heiratsverbindungen dienten als Mittel lokaler wie »großer« zentraler Politik. Dennoch ist festzuhalten, dass keines der drei Organisationsprinzipien: Vasallität, Bündnis oder Verwandtschaft, gänzlich dominierte. Binnenbeziehungen von Kriegersippen wurden oft durch förmliche Verträge, wie sie auch in den ikki-Einungen üblich waren, stabilisiert. Im 15. und 16. Jahrhundert banden Einungen, die von den Vasallen als eigenständige Assoziation gleichberechtigter Mitglieder gegründet worden waren, nicht selten die lokalen Lehnsherren als »Obere« ein, da man von ihnen salomonische Urteile in Streitigkeiten erwartete. Kern der mittelalterlichen Kriegergesellschaft ist der lokalgrundherrliche Hausgrund, Hauptsitz und Haushalt des Kriegers; Herrin eines solchen können auch eine unverheiratete Tochter oder eine Witwe sein. Die Autonomie des yashiki-Hausgrundes wird erst mit dem entstehenden »institutionellen Flächenstaat« im 16. Jahrhundert aufgebrochen.