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Potenzielle Problemlagen der Operationsplanung

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Auch wenn dem schweizerischen Generalstab der Schlieffenplan und der Plan XVII nicht näher bekannt waren, so ergab sich insbesondere aus den Gesprächen und Punktationen mit dem deutschen Generalstab aus der Vorkriegszeit, dass die Schweiz als solitäres Angriffsziel ausgeschlossen werden konnte. Vielmehr musste für den Fall eines neuen Krieges zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich mit dem Aufmarsch grosser Massenheere in Grenznähe gerechnet werden. In diesem Zusammenhang konnte das schweizerische Territorium potenziell als Raum für Ausweichmanöver und Entlastungsangriffe in Frage kommen. Auch ein Angriff der italienischen Armee, allenfalls mit französischer Unterstützung, musste ins Auge gefasst werden. Das Thema sollte Generalstabschef Sprecher während des ganzen Krieges umtreiben. Von Seiten Österreich-Ungarns war dagegen keine Verletzung schweizerischen Territoriums zu befürchten, da von Sprecher mit dem österreichisch-ungarischen Generalstab in engem Kontakt stand und die Ausarbeitung eines Entwurfes für ein allfälliges gemeinsames Vorgehen bei einem Angriff Italiens auf die Schweiz ins Auge gefasst wurde.4 Ein Vorgehen Österreich-Ungarns alleine gegen die Schweiz machte unter diesen Voraussetzungen keinen Sinn.

Diese Annahmen bildeten die Grundlagen der schweizerischen Mobilmachungs- und Aufmarschplanung. Die schweizerische Milizarmee war nicht in der Lage, unmittelbar von den regionalen Mobilmachungsplätzen direkt in eine aus Varianten gewählte Kampfaufstellung zu marschieren. Die Armee musste sich zuerst als Ganzes in einem Grunddispositiv regiments-, brigade- und heereseinheitsweise versammeln. Erst dann war sie in der Lage, ohne Friktionen in ein Kampfdispositiv aufzumarschieren. Als die Schweizer Armee dann ab 3. August 1914 erstmals in ihrer Geschichte als Ganzes mobilisierte, marschierte sie in ein Dispositiv, das nicht der Oberbefehlshaber, General Wille, sondern Generalstabschef Sprecher ausgearbeitet hatte.5 Die Mobilmachungsaufstellung entsprach dabei den oben beschriebenen Annahmen einer Hauptbedrohung aus Norden und Westen. Die Bedrohung aus Süden wurde demgegenüber als weit geringer erachtet, entsprechend sicherten nur Deckungskräfte die Südschweiz. Grundsätzlich schränkte die Mobilmachungsaufstellung die weiteren Dispositionsmöglichkeiten des Oberbefehlshabers nicht ein.


Die Mobilmachungsaufstellung der Schweizer Armee bei Kriegsbeginn.

Die militärische Strategie der Schweiz ergab sich nun aus einer Anzahl politischer und militärischer Vorentscheide. Auf der Grundlage einer expliziten Neutralitätserklärung bei Kriegsbeginn verfolgte das Armeekommando erstens eine defensive Strategie, welche erst militärisch aktiviert werden sollte, wenn eine fremde Armee auf Schweizer Territorium eingefallen wäre beziehungsweise zugunsten eigener militärischer Zielsetzungen versucht hätte, ihren Hauptgegner über Schweizer Territorium anzugehen. Zweitens gedachte die Schweizer Armeeführung ab Grenze jedem Invasoren entgegenzutreten und diesen mit in Reserve gehaltenen Kräften so lange aufzuhalten, bis dessen Hauptgegner der Schweizer Armee zu Hilfe eilen und zusammen mit dieser den Eindringling zurückwerfen würde. Drittens beabsichtigte die Schweizer Armeeführung dieses strategisch defensive Ziel operativ und taktisch angriffsweise zu verfolgen, um den Gegner möglichst lange hinzuhalten, bis die «fremde Hilfe» eintreffen würde.6 Diese strategischen und operativen Grundlagen wurden nicht plakativ kommuniziert, waren aber in der reichen militärischen Zeitschriftenliteratur des langen 19. Jahrhunderts nachzulesen. Landesverteidigungspläne gab es seit den frühen 1890er-Jahren keine mehr. Der Oberbefehlshaber sollte grundsätzlich frei sein, ab Mobilmachungsdispositiv diese Grundsätze in eigenen Entschlüssen umzusetzen.7

Am Rande des Sturms: Das Schweizer Militär im Ersten Weltkrieg / En marche de la tempête : les forces armées suisse pendant la Première Guerre mondiale

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