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1. Die Bibel zwischen Mythos, Legende und Geschichten

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Die Bibel erzählt wundervolle Geschichten, etwa von Abraham, von König Salomo oder von dem Propheten Jona. Dabei findet sich in der Bibel Glaubwürdiges und weniger Glaubwürdiges. Schon von daher kann das Verhältnis von Bibel und Geschichte kein einfaches sein. Wenn etwa Abram mit 318 Kriegern, die alle in seinem Haus als Sklaven geboren sind, gegen eine Koalition von vier stattlichen Königen siegreich kämpft (Gen 14,14f.), Salomo 700 Frauen und 300 Nebenfrauen hat (1Kön 11,3) oder Jona drei Tage im Bauch eines Fisches überlebt (Jona 2,1), kommen Fragen auf. Sind das Tatsachen, bloße Übertreibungen oder einfach erfundene Details? Für sog. Fundamentalisten ist in der Bibel bis ins kleinste Detail alles wahr, für andere ist die ganze Bibel bloß Erfindung, Fiktion oder Allegorie. Die einen versuchen mit allen Mitteln nachzuweisen, dass die in der Bibel erzählten Sachverhalte sich so zugetragen haben können, etwa dass das Reich Salomos tatsächlich vom Eufrat bis Gaza (1Kön 5,4) bzw. von Lebo-Hamat bis zum Bach Ägyptens (1Kön 8,65) gereicht oder die Königin von Saba ihn aus Südarabien tatsächlich im 10. Jh. v. Chr. in Jerusalem wegen seiner großen Weisheit besucht haben könnte (1Kön 10). Die anderen halten das für bloße Legenden und betonen, dass es eine Königin von Saba zur Zeit Salomos noch gar nicht gegeben haben kann und zudem in Syrien und im Libanon andere Herrscher als Salomo das Sagen hatten.47 Der Besuch der Königin von Saba mag also eine Legende sein, doch es besteht kein Zweifel, dass es Ägypter, Babylonier, Philister oder Aramäer gegeben hat, die alle in der Bibel erwähnt werden. Auch wenn keine Reste vom ersten Jerusalemer Tempel erhalten sind, weisen doch die Zerstörungen in Jerusalem und im Umland darauf hin, dass auch der Tempel von den Neubabyloniern 587/86 v. Chr. zerstört worden ist. Und wenn der israelitische König Ahab (871–852 v. Chr.) in einer Inschrift des Assyrers Salmanassar III. (859–824 v. Chr.) im Jahr 853 v. Chr. als Gegner in einer Koalition unter der Führung Hadad-Esers (ca. 875–845 v. Chr.) aus Aram-Damaskus genannt wird, lassen sich wenig Zweifel anbringen, dass »alles« nur Erfindung sei. Man mag darüber diskutieren, ob Abraham eine historische Person gewesen ist, die sich von Ur in Chaldäa nach Kanaan bewegte und bei den Eichen von Mamre wohnte (Gen 12,1–3; 13,18); doch dass der in den Makkabäerbüchern (1Makk 1,1; 6,2 u. ö.) erwähnte Makedonier Alexander der Große (356–323 v. Chr.) eine historische Figur war, wird man nicht bestreiten können. Aber vieles von dem, was über Alexander »berichtet« wird, ist Legende, etwa auch die bei dem jüdischen Schriftsteller Josephus zu findende Angabe, dass er bei seinem Zug in die südliche Levante in Jerusalem vorbeigeschaut habe (Jos. Ant. XI, 329–339). Umgekehrt sind z. B. viele geographische Details in den Erzelternerzählungen (Gen 12–36) keine bloße Erfindung.

Wo aber verläuft die Grenze zwischen Mythos, Legende und Bericht? Dass Gott die Welt nicht in sieben Tagen und schon gar nicht im Jahr 4004 v. Chr. erschaffen hat, legt die wissenschaftlich gut begründete Evolutionslehre nachdrücklich nahe. Erzählungen über eine große Flut gibt es in vielen Kulturen, u. a. im Gilgamesch-Epos oder im babylonischen Atramḫasis-Epos, was zu Beginn des 20. Jh.s n. Chr. den sog. Bibel-Babel-Streit ausgelöst hat, in dem es um die Frage nach der Originalität der biblischen Überlieferung vor dem Hintergrund der älteren Parallelüberlieferungen ging.48 Die Fluterzählungen spiegeln eher die Beschäftigung mit der Entstehung von Kultur überhaupt, als dass sie sich auf ein geschichtliches Flutereignis beziehen.49 Um die Frage, ob Abraham und Sara historische Personen im frühen zweiten Jahrtausend waren, wurde ebenfalls heftig gestritten, doch nachdem die biblische Wissenschaft die Entstehung der Abraham-Überlieferung in das fortgeschrittene erste Jahrtausend datiert hat, ist es darum doch ziemlich still geworden, und die historische Existenz Abrahams gilt den meisten als unwahrscheinlich.50 Beim Exodus, sicher der wirkmächtigsten Erzählung der Bibel, schwankt die Forschung zwischen Fiktion und Erinnerungsfigur, und zuletzt hat Jan Assmann gegen die breite Skepsis festgehalten, dass sich im Mirjam-Lied in Ex 15,21 ein geschichtlicher Haftpunkt für die Entstehung der Exodustradition finden lässt: »Ein besonderes Ereignis wird es gegeben haben, das von den Betroffenen als rettende Intervention JHWHs erfahren wurde und an das sich dann eine legendenhafte Erinnerung knüpfte.«51 Aber weit darüber hinaus kommt man nicht (s. u.). Die Erzählungen von der sog. Landnahme der Israeliten sind im Großen und Ganzen nicht als Bericht zu lesen. Nach dem Zusammenbruch der spätbronzezeitlichen Stadtkultur entsteht eine frühe Dorfkultur in und aus Kanaan und nicht in einer großen Einwanderungswelle, wie sie die Exoduserzählung uns glauben machen will.52 Dass David eine historische Figur war und in Jerusalem regierte, lässt sich seit einer 1993 gefundenen Inschrift von Tel Dan, die im 9. Jh. v. Chr. ein bytdwd »Haus Davids« bezeugt (HTAT 116), nicht mehr sinnvoll bezweifeln, aber dass er ein großer König im 10. Jh. v. Chr. in Jerusalem war, ist damit noch lange nicht erwiesen. Alle Versuche, ihn zum Herrscher eines international bedeutsamen Großreichs zu machen, wie die Bibel es etwa in 2Sam 8 schildert, sind bisher archäologisch und historisch gescheitert.53 Wenn es aber kein geeintes Königreich gegeben hätte, würde auch die in 1Kön 12 geschilderte Reichsteilung zur Legende. Jerobeam I., der in 1Kön 11–12 maßgeblich mit der Abspaltung des sog. Nordreichs in Verbindung gebracht wird, dürfte von dem weit späteren Jerobeam II. (787–747 v. Chr.) her entworfen worden sein. Zwar geht die aus der Perspektive des Südens erzählte Geschichte Judas von einer ungebrochenen dynastischen Kontinuität von David bis Zidkija aus, doch bei genauerem Hinsehen handelt es sich dabei eher um eine Rückprojektion als um eine historische Wirklichkeit.54 Denn ob es überhaupt einen König Rehabeam gegeben hat, ist ebenso unsicher wie etwa, dass Ahasja von Juda (845 v. Chr.), Joram von Juda (847–845 v. Chr.) oder Joasch von Juda (840–801 v. Chr.) Davididen, das heißt Glieder des davidischen Königsgeschlechts, gewesen sind. Sie sind eher Omriden und Nimschiden aus Samaria, die im Filialkönigtum Juda in Jerusalem für einige Zeit regierten. Das unterstreicht in historischer Sicht die große Bedeutung der Omriden für die Staatenbildung Israels und Judas. Mit ihnen steht man auch außerbiblisch auf immer festerem Boden. Der wahrscheinlich erst unter Omri (882–871 v. Chr.) gegründete Nordstaat Israel wird etwa in der moabitischen Mescha-Inschrift (HTAT 105) oder der Monolith-Inschrift Salmanassars III. (HTAT 106) aus dem 9. Jh. v. Chr. erwähnt. Da ist noch lange keine Rede von Juda als politisch wahrgenommener Größe. Der Südstaat Juda ist erst ein Jahrhundert später belegt, wenn die Tributzahlung des Königs Ahas (741–725 v. Chr.) aus dem »Land Juda« (kurIa’udāyā) an den Assyrer Tiglat-Pileser III. (745–727 v. Chr.) genannt wird (HTAT 140), die auch biblisch in 2Kön 16,7f. Erwähnung findet. Aber selbst ab dem 8. Jh. v. Chr. lässt sich oft schwer zwischen Legende und Geschichte unterscheiden, wenn etwa König Manasse (696–642 v. Chr.), der aller Wahrscheinlichkeit nach als assyrischer Vasall (HTAT 188.191) ein sehr erfolgreicher judäischer König war, in der Darstellung der Bibel geradezu verteufelt wird (2Kön 21,1–18).

Dass die Bibel Tendenzliteratur ist und sich biblische Darstellung und Geschichte nicht einfach gleichsetzen lassen, hält sich auch für die Darstellung nach dem Untergang Jerusalems 587 v. Chr. durch. Zwei Beispiele sollen dafür genügen. Der Vorstellung, dass in Deportationswellen (597/96, 587/86 und 582 v. Chr.) die ganze Bevölkerung aus Juda weggeführt worden (2Kön 25,21; vgl. Jer 13,19; 20,4; 52,27; Klgl 1,3; 2Chr 36,20) und das Land anschließend menschenleer gewesen sei (Jer 44,22), wird schon biblisch durch die Darstellung widersprochen, dass Jeremia nach seiner Freilassung »mitten unter dem Volk« bleibt, »das im Land übrig geblieben war« (Jer 40,6). Das Land war weder leer noch vollständig zerstört, sondern die Zerstörung war regional begrenzt. Jerusalem und sein Umland waren besonders betroffen.55 Dass der Perserkönig Kyrus 539 v. Chr. mit einem Erlass (2Chr 36,22–23; Esr 1,1–4) alle Exilierten zur Rückkehr aufgefordert habe und diese anschließend in einem »großen Treck« nach Jerusalem zurückgezogen seien, muss ebenso wie das »leere Land« als Mythos eingestuft werden. Die Rückkehr wird vielmehr nur langsam erfolgt sein. Zudem bezeugen Dokumente aus dem Muraššû-Archiv und aus al-Yaḫūdu in Babylonien (HTAT 274–281)56 sowie von der Nilinsel Elephantine in Ägypten (HTAT 283–294), dass auch viele Judäer »im Exil« geblieben sind und eine Diaspora bildeten. Auch wenn das Exil kein Zuckerschlecken war, so haben sich doch viele der Exilierten – das bestätigen die erwähnten Dokumente – gut integriert, wenn ihnen auch bestimmte Positionen (z. B. am Tempel in Babylon) vorenthalten blieben.

Die biblische Darstellung ist gefärbt und verfolgt bestimmte Interessen. Daher brechen zu Recht immer wieder Fragen auf, wie das Verhältnis von Bibel und Geschichte genauer zu bestimmen ist. Dieses geht nicht in der Frage der Historizität des Erzählten (»Ist das wirklich so gewesen?«) auf, doch hängt daran mehr als nur eine Einschätzungsfrage. Sowohl für das jüdische als auch das christliche Selbstverständnis bietet die Bibel nicht nur Geschichten, sondern hat auch einen Bezug zur Geschichte, und dies ist konstitutiv für den Glauben. Denn es gehört zu den Grundüberzeugungen des Glaubens, dass Gott Israel in der Geschichte erwählt hat und sich in der Geschichte offenbart. Kann das Verhältnis von Geschichten und Geschichte näher bestimmt werden? Vielleicht ist die Trennung von Geschichte und Geschichten am Ende gar nicht so sinnvoll, wie es auf den ersten Blick scheint.

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