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4. Alle Geschichte ist Konstruktion

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Dass es Geschichte an sich nicht gibt, sondern sie eine Kultur- und Deutungsleistung ist, wurde im Anschluss an die Aufklärung im 19. Jh. klar, nachdem die Ansicht, der Historiker wolle »blos zeigen, wie es eigentlich gewesen« (Leopold von Ranke), überwunden worden war. Dass diese Eigentlichkeit nicht zu haben ist, sondern das in der Geschichte Unvergangene durch den »garstigen breiten Graben« (Gotthold Ephraim Lessing) von dem Vergangenen getrennt bleibt, macht die Geschichte faktisch unüberprüfbar. Sinn macht die Geschichte erst, wenn sie auf eine Gegenwart bezogen ist, wie Walter Benjamin in seinem Essay »Über den Begriff der Geschichte« trefflich formuliert hat: »Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit sondern die von Jetztzeit erfüllte bildet.«58

Damit ist alle Geschichte Konstruktion, aber wie unterscheidet sich Konstruktion von Beliebigkeit? »Konstruiren muß man bekanntlich die Geschichte immer […]. Der Unterschied ist nur, ob man gut oder schlecht konstruirt«,59 hatte Julius Wellhausen in seinen Prolegomena zur Geschichte Israels diese Herausforderung gekontert. Aber was entscheidet darüber, ob etwas gut oder schlecht konstruiert ist? Damit ist die Frage von Quellen und Methoden angesprochen. Prinzipiell sollte eine Geschichts(re)konstruktion alle verfügbaren Daten und Informationen einbeziehen – also Bild- und Schriftzeugnisse und die materielle Kultur, und eben im Fall der Geschichte Israels auch die Bibel. Da keine Geschichtsschreibung ohne Auswahl der zur Verfügung stehenden Informationen auskommt, sollte diese methodisch nachvollziehbar transparent gemacht werden. Dazu gehört immer auch zu sagen, was man alles nicht weiß und welche Informationen fehlen. Ein Teil davon ist selbstverständlich seit dem Geschichtstheoretiker Johann Gustav Droysen die Quellenkritik, die den Erkenntniswert einer Quelle aufgrund nachvollziehbarer Kriterien zu beurteilen sucht. Von daher erscheint der Streit um die Verwendung der Bibel als Quelle, der seit den späten 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts immer wieder heftig geführt wurde, geradezu unverständlich, es sei denn, man setzte voraus, dass die Bibel als unhinterfragte Wahrheit den Ausgangspunkt darstellt und nicht eine Erzählung, sondern die Geschichte wiedergibt. Die holzschnittartig zugespitzten Positionen wurden mit den unglücklichen Bezeichnungen »Minimalisten« und »Maximalisten« belegt.60 Letztere waren diejenigen, die eine Geschichte Israels ganz von der Bibel als Quelle und Norm aus entwerfen wollten, und Minimalisten diejenigen, die die Bibel nur dann als Quelle akzeptieren wollten, wenn sie mit außerbiblischen Zeugnissen zusammenstimmt. In dem erbitterten Streit hatte es sich auch eingebürgert, im Anschluss an das 19. Jh. (Leopold von Ranke) scharf zwischen Primär- und Sekundärquellen zu unterscheiden. Während die Primärquellen, wie etwa eine Inschrift, unmittelbar ein Ereignis aus erster Hand bezeugen, sollte das bei den Sekundärquellen, wie vor allem der Bibel, nur nachgeordnet der Fall sein. Diese bot quasi nur Informationen aus zweiter Hand, während den Primärquellen Augenzeugenschaft unterstellt wurde. Doch zum einen ist die Unterscheidung nur bedingt durchführbar, zum anderen gibt es keine objektiven Quellen. Schon ein flüchtiger Blick in die »Geschichtsdarstellung« ägyptischer und altorientalischer Königsinschriften zeigt, dass diese die Geschichte so darstellen, wie es ihnen passt, und sich kein König öffentlich als Verlierer einer Schlacht inszeniert. Jede Information bedarf in der Verwendung für eine Geschichtsschreibung der Interpretation.

Die Welt der Hebräischen Bibel

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