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4. Die Septuaginta

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Das hellenistische Judentum hat die Übersetzung der Bibel ins Griechische für so bedeutsam gehalten, dass eine eigene Tradition über deren Anfänge ausgeprägt wurde: In erster Linie ist hier der pseudepigraphe Brief des Aristeas an Philokrates zu nennen.113

In der Forschung geht man zwar davon aus, dass der Anlass zur Übersetzung, entgegen der Darstellung im Aristeasbrief, nicht von außen kam, sondern dass innere Bedürfnisse der alexandrinischen Gemeinde für den Beginn des größten und wohl wichtigsten Übersetzungswerkes der Antike verantwortlich waren. Doch die Datierung des Aristeasbriefes, wonach die Tora im 3. Jh. v. Chr. übersetzt wurde, wird allgemein akzeptiert. Kurz danach wurden nach und nach die anderen Bücher der Schrift übersetzt, die Mehrzahl wohl im zweiten Jahrhundert, andere noch später. Das Werk wird nicht allein in Alexandria angefertigt worden sein, auch Leontopolis oder Antiochia sind mögliche Orte. Allein daher ist einsichtig, dass die LXX keine einheitliche Übersetzung ist, tatsächlich haben die einzelnen Schriften sehr unterschiedliche Übersetzungscharakteristika. Wie oben kurz dargestellt, wurden auch Bücher übersetzt, die später nicht in den Kanon der Hebräischen Bibel aufgenommen wurden, z. B. das Buch Tobit oder Jesus Sirach. Parallel dazu wurden andere Schriften direkt auf Griechisch verfasst, z. B. das Buch Judit oder die Weisheit Salomos. Das ist der Grund dafür, dass in heutigen Septuaginta-Ausgaben, die auf christliche Kanonslisten zurückgehen, Bücher enthalten sind, die kein Pendant in der Hebräischen Bibel haben. Diese zusätzlichen Schriften heißen im evangelischen Bereich »Apokryphen« und sind nicht in allen Bibelausgaben enthalten, im katholischen Bereich sind sie als »deuterokanonische« Schriften Teil der Bibel.

Die Bedeutung der LXX für die Bibelwissenschaft ist kaum zu überschätzen. Zum einen ist sie eine Zeugin für den Status des jeweiligen biblischen Textes zur Zeit seiner Übersetzung. Daher ist es an vielen Stellen möglich, über die LXX ältere Textformen zu rekonstruieren, als sie die erhaltenen hebräischen Handschriften bieten. Das betrifft einzelne Verse, wie etwa in Dtn 32,8, wo der hebräische Text über Gott sagt: »Er bestimmte die Gebiete der Völker nach der Zahl der Israeliten.« Der sicher ältere Text der LXX hat »nach der Zahl der Kinder Gottes«, was an eine Völkerengel-Vorstellung anspielt, die auch im biblischen Danielbuch (Dan 10) erhalten ist. Inzwischen beweist auch ein in Qumran gefundenes hebräisches Fragment das hohe Alter der griechischen Lesart.

In anderen Fällen belegt die LXX sogar die Existenz anderer Versionen einzelner Bücher. So ist die griechische Version des Buches Jeremia gegenüber der hebräischen deutlich kürzer und zudem anders aufgebaut, was wohl als die ursprünglichere Edition anzusehen ist. Im Buch Daniel ist das Gegenteil der Fall: Die LXX hat eine deutlich umfangreichere Version und zeigt damit, dass der Prozess des Textwachstums dieser Schrift angedauert hat. Hier kommt als Besonderheit noch dazu, dass schon in vorchristlicher Zeit eine zweite Übersetzung des Danielbuchs angefertigt wurde, die sog. Theodotion-Version, die sich deutlich enger an den hebräisch-aramäischen Ausgangstext hält.

Das methodische Grundproblem im Umgang mit der LXX ist, dass nicht immer eindeutig ist, ob eine von ihr bezeugte Abweichung tatsächlich auf eine ältere Version des hebräischen Textes verweist oder ob nicht der Übersetzer frei übersetzt hat, um die Aussage seinem Verständnis des Textes oder bestimmten Erfordernissen der Umwelt anzupassen. So wird etwa in Lev 11,17 der Ibis, das Tier des ägyptischen Weisheitsgottes Thot, in die Liste der unreinen Tiere aufgenommen; der hebräische Text hat dagegen den Uhu. In Jes 7,9 wird aus dem berühmten »Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht« in der LXX »wenn ihr nicht glaubt, so versteht ihr nicht«, was gut in die philosophischen Diskussionen im damaligen Bildungszentrum Alexandria passt. Wenige Verse später, in Jes 7,14, wird dann die Geburt des Immanuel nicht von einer »jungen Frau«, so der hebräische Text, sondern von einer parthenos, einer »Jungfrau« angesagt. Das ist keine Fehlübersetzung, wie oft zu lesen ist, sondern ein bewusst gesetzter theologischer Akzent, der verdeutlichen soll, dass der Messias von übernatürlicher Herkunft ist.

Auf die LXX gehen zudem verschiedene Standard-Übersetzungen zurück, die zwar den gleichen Text wie die hebräische Bibel bezeugen, dennoch den Sinn anders akzentuieren. So ist statt vom »Bund« – berît nun von der »Verfügung« – diatheke (lat. testamentum) Gottes die Rede, statt der »Weisung« – tôra steht nun das »Gesetz« – nomos, und statt des Gottesnamens Jhwh das Appellativum »Herr« – kyrios. So ist einsichtig, dass es eine beträchtliche theologische Bedeutung hat, dass im NT in der Regel die griechische Bibel und ihre Vorstellungswelt zitiert wird, nicht die hebräische; bei der Aufnahme von Jes 7,14 als Weissagung auf die Jungfrauengeburt Jesu (Mt 1,23) ist dieser Zusammenhang offensichtlich. Die Bibel der ersten Christen und der alten Kirche war griechisch, nicht hebräisch.

Wie bereits am Beispiel des Danielbuchs gezeigt, wurden schon in vorchristlicher Zeit Überarbeitungen oder Neuübersetzungen einzelner Bücher der LXX angefertigt. Das hängt damit zusammen, dass sich ab dem 2. Jh. eine standardisierte Fassung des hebräischen Textes herausbildete (s. u.), dem nun die griechische Übersetzung angepasst werden sollte. Hinzu kam ein allgemeiner Trend zu einer sehr wortgetreuen Übersetzungsweise, der ebenfalls zur Überarbeitung vorhandener Übersetzungen führte (sogenannte kai-ge-Rezension). Unter dem Einfluss der christlichen Verwendung der LXX gab es dann weitere Neuübersetzungen (z. B. Aquila) und Rezensionen (z. B. Lukian), so dass es in der Zeit der alten Kirche eine Vielzahl von Textgestalten der griechischen Bibel gab.

Wenigstens als Ausblick sei erwähnt, dass es bereits in vorchristlicher Zeit auch aramäische Übersetzungen der hebräischen Bibel gab; sie werden Targume genannt. So ist in Qumran ein Targum zum Buch Hiob erhalten; man kann auch davon ausgehen, dass Teile der Targume zu den Prophetenbüchern aus vorchristlicher Zeit stammen. Die Besonderheit dieser Übersetzung besteht darin, dass sie an vielen Stellen interpretierende Zusätze zum eigentlichen Bibeltext hinzufügen. Daher sind sie ein wichtiges Mittel, um die frühe jüdische Rezeptionsgeschichte der Bibel zu erhellen.

Als sich im 2. Jh. n. Chr. das Urchristentum zur Kirche formierte, kam langsam auch das Lateinische als gemeinsame Sprache der westlichen Christen in Gebrauch. Zunächst gab es jedoch keine Übersetzungen der Hebräischen Bibel, sondern die sog. Vetus Latina wurde als Tochterübersetzung der LXX angefertigt. Erst im 4. Jh. erarbeitete der Kirchenvater Hieronymus die Vulgata (= allgemeine Übersetzung), bei der er für den Bereich des Alten Testaments auf die hebräischen Texte als Vorlage zurückgriff, sich aber an den umfangreicheren Kanon der LXX hielt, so dass die Apokryphen Teil seiner Bibel wurden. Die Vulgata wurde zur Standardbibel der katholischen Kirche.

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