Читать книгу Praxishandbuch Altersmedizin - Группа авторов - Страница 66

5.3.2 Häufigkeit und Determinanten von Multimorbidität

Оглавление

Multimorbidität ist inzwischen eher die Regel als die Ausnahme in der medizinischen Versorgung (Salisbury et al. 2011). Hausärzte sind häufig damit konfrontiert, dass sie die multiplen Erkrankungen ihrer Patienten behandeln bzw. die Behandlung durch hinzugezogene Spezialisten koordinieren müssen, sich dabei aber häufig nicht auf belastbare Evidenz stützen können (Starfield et al. 2003). So sind heute bis zu 80 % der Arzt-Patienten-Konsultationen in der Hausarztpraxis multimorbiden Patienten wie Frau M gewidmet (Cassell et al. 2018, Salisbury et al. 2011). Weniger gut sind die Zahlen zur Prävalenz der Multimorbidität belegt. Über alle Altersklassen hinweg wird eine Häufigkeit von ca. 30–40 % angenommen (van Oostrom et al. 2016). Die Angaben variieren jedoch erheblich ( Abb. 5.3.2), in Abhängigkeit von:

• der untersuchten Population (Gesamtbevölkerung oder hausärztliche Patienten oder Krankenhauspatienten),

• der Definition von Multimorbidität (z. B. Anzahl Diagnosen mindestens zwei oder drei oder Mindestanzahl an Diagnosen aus einer definierten Liste von Erkrankungen),

• den eingesetzten Untersuchungsmethoden (z. B. Selbstauskunft von Patienten oder ärztliche Dokumentation) und

• den verwendeten Datenquellen (z. B. Routinedaten von Versicherten oder Daten aus Primärstudien) (Fortin et al. 2012).

Unstrittig ist, dass die Prävalenz und Inzidenz von Multimorbidität mit dem Alter (relativ) zunimmt ( Abb. 5.3.2; (Cassell et al. 2018)): In einer populationsbezogenen Untersuchung aus Großbritannien stieg die Prävalenz von weniger als 5 % bei jungen Erwachsenen bis auf über 80 % bei den über 85-Jährigen (Cassell et al. 2018). Wenn ein deutlich höherer Schwellenwert von mindestens sechs gleichzeitig vorliegenden Erkrankungen verwendet wurde, betrug die Multimorbiditätsprävalenz immerhin noch fast ein Drittel bei Männern und etwas mehr als ein Drittel bei Frauen über 60 Jahre (Tetzlaff et al. 2017).

Wurden nur alte Patienten in die Studien eingeschlossen, lagen die Prävalenzangaben zwischen 52 % und 75 % (Held et al. 2016, Islam et al. 2014, Sinnige et al. 2015). Obgleich der relative Anteil multimorbider Patienten in den höheren Altersgruppen deutlich höher ist als bei den jüngeren, ist derzeit mehr als die Hälfte aller von Multimorbidität betroffenen Personen jünger als 65 Jahre (Agborsangaya et al. 2012). So ist die absolute Zahl der multimorbiden Patienten unter 65 Jahre viermal höher als die der über 65-Jährigen (St Sauver et al. 2015). Mit der steigenden Lebenserwartung und besseren Überlebenschancen bei chronischen Erkrankungen, wie z. B. bei einer koronaren Herzkrankheit (KHK) ist daher anzunehmen, dass die Zahl der multimorbiden Patienten in der Zukunft erheblich zunehmen wird. ( Kap. 2). So beobachteten Tacken et al. (2011) einen Anstieg der Multimorbiditätsprävalenz während der ersten Dekade unseres Jahrhunderts. In der Mehrzahl der epidemiologischen Studien wurden zudem höhere Prävalenzen von Multimorbidität bei Frauen im Vergleich zu Männern beobachtet.

Unabhängig von Alter und Geschlecht gibt es soziale Determinanten für Multimorbidität:

Menschen aus unterprivilegierten sozialen Schichten, mit niedrigem Bildungsgrad, niedrigem Einkommen und/oder geringer Gesundheitskompetenz5 sind häufiger und im Schnitt bis zu 15 Jahre eher von Multimorbidität betroffen ( Abb. 5.3.2) (Barnett et al. 2012, Cassell et al. 2018, Puth et al. 2017). Andere Prädiktoren für das Auftreten von Multimorbidität wurden bei Weitem seltener untersucht. Die vorliegenden Studien liefern Hinweise dafür, dass psychische Störungen und ungünstige Persönlichkeitsvariablen, wie eine hohe externe Kontrollüberzeugung, Risikofaktoren für das Auftreten von Multimorbidität sind. Umgekehrt legen diese Studien nahe, dass ein gut funktionierendes soziales Netzwerk und eine hohe interne Kontrollüberzeugung protektiv wirken können ( Kap. 23) (van den Akker et al. 2000, 2001). In verschiedenen Studien ist auch der Frage nachgegangen worden, ob bei Multimorbidität bestimmte Kombinationen von Erkrankungen häufiger auftreten, als es ihre Prävalenz in der Gesamtbevölkerung erwarten lässt. In der International Classification of Diseases, 10th Revision (ICD-10) sind mehr als 14.000 verschiedene Erkrankungen bei der World Health Organization (WHO) gelistet und aus der Zahl denkbarer Kombinationen wird deutlich, dass die Identifikation von Mustern bzw. Clustern wichtige Schlussfolgerungen für die Entwicklung von Interventionen, wie auch für die Planung der gesundheitlichen Versorgung erlaubt. In Clusteruntersuchungen wurden folgende häufige Kombinationen identifiziert (Held et al. 2016, Poblador-Plou et al. 2014, Schafer et al. 2012, Sinnige et al. 2015, Zemedikun et al. 2018):


Abb. 5.3.2: Prävalenz von Multimorbidität in Abhängigkeit von Alter und sozialer Benachteiligung: dargestellt sind das 1. Quintil mit der geringsten und das 5. Quintil mit der höchsten sozialen Benachteiligung; Multimorbidität wurde definiert als das Vorliegen von mindestens zwei Erkrankungen, soziale Benachteiligung wurde mit dem britischen Index für Multiple Deprivation gemessen, Datengrundlage war ein britisches Register mit populationsbezogenen Daten (Quelle: Eigene Darstellung, Daten entnommen aus Cassell et al. 2018).

• kardiovaskuläre – metabolische Erkrankungen ( Kap. 27 und Kap. 34)

• Angsterkrankungen – Depression – andere psychische Krankheiten ( Kap. 15 und Kap. 1719)

• neuropsychiatrische ( Kap. 14) – gerontopsychiatrische Erkrankungen

Versuche, diese Cluster weiter einzugrenzen, zeigten in einzelnen Studien Ergebnisse, die in anderen Untersuchungen jedoch nicht bestätigt werden konnten (Prados-Torres et al. 2014, Violan et al. 2014).

Praxishandbuch Altersmedizin

Подняться наверх