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5.3.5.2 Geriatrische Schlüsselempfehlungen zur Behandlung von multimorbiden alten Patienten
ОглавлениеDie American Geriatric Society hat ihrerseits Schlüsselempfehlungen für klinisch tätige Ärzte zur Behandlung multimorbider alter Patienten formuliert (AGS 2012). Auch diese Empfehlungen folgen einem patientenzentrierten Ansatz und integrieren Prinzipien evidenzbasierter klinischer Entscheidungsfindung, d. h. die Einschätzung der Qualität und Übertragbarkeit der Evidenz für den individuellen Patienten, der Relevanz der berichteten Outcomes, des Ausmaßes der absoluten Risikoreduktion durch die Intervention und der potenziell für den Patienten zu erwartenden Risiken und Belastungen (AGS 2012). Eine Besonderheit besteht darin, dass hier auch eine Risiko-Nutzen-Bewertung mit Blick auf die Prognose des Patienten erfolgt. So wirken einige präventive wie therapeutische Behandlungsansätze erst zeitlich verzögert (time to benefit) und es ist zu prüfen, ob individuelle Patienten aufgrund ihrer Überlebensprognose überhaupt in den Genuss von Behandlungseffekten (positiven wie negativen) kommen können (AGS 2012).
Würde bspw. bei Frau M eine Indikation für eine Bisphosphonattherapie ihrer Osteoporose bestehen (z. B. beim Vorliegen einer Wirbelkörpersinterungsfraktur), wäre es sinnvoll, den zu erwartenden Nutzen über die Zeit in die Entscheidung für oder gegen eine Bisphosphonattherapie einzubeziehen. US-amerikanische Geriater gehen dazu z. B. so vor: die Wirksamkeit von Bisphosphonaten setzt etwa 9–18 Monate nach Therapiebeginn ein und erreicht danach eine 50 %-ige relative (bzw. 1,2 %-ige absolute) Risikoreduktion auf das frakturfreie Überleben über drei Jahre, daher wird mindestens eine geschätzte Überlebenszeit der zu behandelnden Patienten von etwa fünf Jahren vorausgesetzt, um eine Bisphosphonattherapie zu initiieren (Holmes 2012, zitiert in Jennings 2015). Würde man bspw. den von Carey et al. (2008) entwickelten Prognosescore anwenden, würde man für Frau M eine etwa 70 %-ige Überlebenswahrscheinlichkeit für fünf Jahre ermitteln und eine Empfehlung für eine Bisphosphonattherapie wäre vor dem Hintergrund ihrer geschätzten Prognose gerechtfertigt. Ein 85-jähriger Mann mit Herzinsuffizienz hätte nach diesem Score hingegen nur noch eine 20 %-ige Überlebenswahrscheinlichkeit für fünf Jahre (Carey et al. 2008).
Problematisch für die klinische Anwendung derartiger Betrachtungen ist heute, dass erstens nur in seltenen Fällen Evidenz zum Wirkeintritt über die Zeit vorliegt (und zumeist nicht aus der Studiendauer abzulesen ist) (AGS 2012) und dass zweitens die Vorhersagemöglichkeiten zur Überlebenswahrscheinlichkeit limitiert sind: die Modellgüte existierender Vorhersageinstrumente ist oft mangelhaft und/oder die Modelle sind wegen eingeschränkter Generalisierbarkeit und Praktikabilität nicht einsetzbar, wie jüngst vorgenommene systematische Bewertungen, u. a. durch das NICE ergaben (NICE National Institute for Health and Clinical Excellence 2016).