Читать книгу Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin - Группа авторов - Страница 78

8.2.3 Entscheidungskriterien: Medizinische Indikation und Patientenwille

Оглавление

Die durch den BGH klargestellte Rechtslage bei Behandlungsbegrenzungen folgt daraus, dass jede ärztliche Behandlung – auch die lebenserhaltende – einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in den Körper des Patienten darstellt [BGHSt 11, 111, 114]. Rechtfertigungsgrund ist nicht schon das Vorhandensein einer medizinischen Indikation, vielmehr hat allein der Patient das Recht darüber zu entscheiden, ob und ggf. wie lange er behandelt wird. Dieses auch mit dem Begriff der Patientenautonomie bezeichnete Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper gilt unabhängig von der Art und dem Stadium der Erkrankung sowie von den Erfolgsaussichten einer Behandlung, was sich aus § 1901 a Abs. 3 BGB ergibt und auch verfassungsrechtlich abgesichert ist [BVerfGE 153, 183, 261 f.]. Wer den Patienten gegen dessen klar erkennbaren und verantwortlich gebildeten Willen behandelt, begeht folglich eine (fahrlässige oder vorsätzliche) Körperverletzung! [s. dazu Verfügung der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg, NStZ 2008, 343 f.]. Allerdings verleiht die Patientenautonomie dem Patienten nur die Rechtsmacht, eine vom Arzt angebotene Behandlung abzulehnen. Sie verbürgt umgekehrt keinen Anspruch auf eine (bestimmte) Behandlung, insbesondere nicht auf eine Maßnahme, für die keine medizinische Indikation besteht [Lipp 2021]. Die Einwilligung des Patienten ist somit zwar notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung einer ärztlichen Behandlung [Beckmann 2009].

Die Indikationsstellung fällt in die alleinige Kompetenz des Arztes [§ 1901 b Abs. 1 BGB]. Sie beinhaltet die Definition eines sinnvollen Therapieziels und die Beurteilung der Aussichten, dieses auch zu erreichen [Borasio 2006]. Das „fachliche Urteil über den Wert oder Unwert einer medizinischen Behandlungsmethode in ihrer Anwendung auf den konkreten Fall“ [BGHZ 154, 205, 225 im Anschluss an Opderbecke 1985] ist nicht auf eine bloß naturwissenschaftliche Prognose beschränkt, sondern enthält auch – bislang noch nicht hinreichend reflektierte – normative Elemente und damit die Gefahr verdeckter Fremdbestimmung [Duttge 2006]. Es empfiehlt sich daher eine weitgehende Objektivierung und Transparenz der Indikationsstellung. Im Kontext der Sterbehilfe kann jedenfalls dann von einer fehlenden Indikation ausgegangen werden, wenn bei Patienten im Finalstadium nur noch eine Hinauszögerung des letztlich unabwendbaren und unmittelbar bevorstehenden Todeseintritts erreicht werden könnte. Eine solche als „Hilfe im Sterben“ oder „passive Sterbehilfe im engeren Sinn“ bezeichnete Änderung des Therapieziels stellt einen seit jeher anerkannten Fall einer zulässigen Behandlungsbegrenzung dar [BGHSt 40, 257, 260; 32, 367, 379 f.; Opderbecke 1985], die notfalls auch gegen den Willen des Patienten durchgeführt werden darf. Der Arzt hat also durchaus die Befugnis, eine gewünschte, aber aus medizinischer Sicht nicht (mehr) indizierte (Maximal-) Therapie abzulehnen! [Lipp 2008, Verrel 2007]


Die Berechtigung zur ärztlichen Behandlung beruht auf den beiden Säulen „medizinische Indikation“ und „Einwilligung des Patienten“. Der Arzt ist daher nicht verpflichtet, vom Patienten oder den Angehörigen gewünschte, aber nicht (mehr) indizierte Maßnahmen der Lebenserhaltung vorzunehmen und hat umgekehrt kein Recht, eine aus ärztlicher Sicht angezeigte Therapie gegen den Willen des Patienten durchzuführen.

Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin

Подняться наверх