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8.2.4 Abgrenzungen zur strafbaren Tötung auf Verlangen

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Daraus folgt, dass Behandlungsbegrenzungen dann erlaubt sind und nicht unter das Verbot des § 216 StGB fallen, wenn einer der beiden Legitimationsgründe für eine lebenserhaltende Therapie fehlt. Wie der BGH im Fall Fulda hervorgehoben hat, gilt dies unabhängig davon, ob die Begrenzung durch eine Tätigkeit (z. B. Abstellen eines Beatmungsgeräts) oder ein Unterlassen bewirkt wird. Es kommt aus juristischer Sicht auch nicht auf die Art der lebenserhaltenden Maßnahme an, die mangels Indikation oder nach dem Willen des Patienten begrenzt wird. Medikamentöse Behandlungen können ebenso eingestellt werden wie apparative Maßnahmen oder die künstliche Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr [BGHSt 55, 191; 40, 257, 260, 265 f.; BGHZ 154, 205], sofern etwaiger „Hunger und Durst als subjektive Empfindungen gestillt werden“ [Bundesärztekammer 2011].

Aus dem Vorhergesagten ergibt sich für potenziell lebensverkürzende leidenslindernde Maßnahmen, dass diese trotz ihrer phänomenologischen Nähe nicht unter das Verbot aktiver Sterbehilfe fallen, wenn sie medizinisch indiziert sind und dem (mutmaßlichen) Patientenwillen entsprechen [BGHSt 42, 301]. Mehr noch: Eine unzureichende, hinter dem Stand der heutigen Möglichkeiten der Symptomkontrolle zurückbleibende Therapie, die in aller Regel nicht dem (mutmaßlichen) Willen des Patienten entsprechen wird, kann als Körperverletzung strafbar sein! Dies gilt auch und gerade dann, wenn auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichtet wird [Lutterbeck 2007 mit Fallbeispiel]. Die Grundsätze der Bundesärztekammer weisen zu Recht auf eine stets zu gewährleistende Basisbetreuung hin, zu der insbesondere eine effektive Schmerztherapie gehört, die heute ohnehin nur noch in Ausnahmefällen mit dem Risiko einer Lebensverkürzung verbunden ist.

Die Schwelle zu § 216 StGB wird jedoch dann überschritten, wenn die Todesbeschleunigung nicht bloße Nebenfolge etwa einer Analgesie, sondern deren Primärziel ist [BGHSt 37, 376; 42, 301, 305]. Da die absichtliche Tötung eines Patienten durch eine Medikamentengabe medizinisch nicht indiziert sein kann, folgt deren Unzulässigkeit auch bei einem entsprechenden Patientenwunsch zwanglos aus dem Zusammenspiel der beiden Entscheidungskriterien. Der BGH hat dies in einer für Nichtjuristen etwas sperrigen Weise in dem 3. Leitsatz seiner Fuldaer Entscheidung so ausgedrückt:

„Gezielte Eingriffe in das Leben eines Menschen, die nicht in einem Zusammenhang mit dem Abbruch einer medizinischen Behandlung stehen, sind einer Rechtfertigung durch Einwilligung nicht zugänglich.“

Wegen der unverkennbaren praktischen Schwierigkeiten, die Behandlungsintention des Arztes im Nachhinein zu rekonstruieren, kommt der detaillierten Dokumentation und Nachvollziehbarkeit des Behandlungsverlaufs, insbesondere der Dosistitrierung große forensische Bedeutung zu [Verrel 1997]. Festzuhalten bleibt, dass die Strafbarkeit der bisher sog. aktiven Sterbehilfe (nur) die vom Patienten gewünschte und gezielte Tötung durch einen nicht indizierten, vom Krankheitsprozess gleichsam unabhängigen Eingriff erfasst. Erfolgt dieser Eingriff sogar eigenmächtig, also ohne einen entsprechenden Wunsch des Patienten, ist die Tat als Totschlag (§ 212 StGB) oder Mord (§ 211 StGB) strafbar.

Fallbeispiel

Der Schwiegersohn der wegen einer akuten Sepsis auf die Intensivstation verlegten Patientin schaltete eigenmächtig die Perfusoren ab und konnte nur durch das Eingreifen eines Pflegers daran gehindert werden, auch noch die Sauerstoffzufuhr zu unterbrechen. Die Patientenverfügung seiner Schwiegermutter war nicht einschlägig und dem Schwiegersohn inhaltlich auch gar nicht bekannt. Der BGH bestätigte die erstinstanzliche Verurteilung durch das LG Köln wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung [BGH, NStZ 2011, 274].

Praxisbuch Ethik in der Intensivmedizin

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