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Das Vermächtnis des Mohammed Atta
ОглавлениеEiner nach dem Anschlag aufgefundenen Reisetasche von Mohammed Atta verdanken wir die wohl wertvollsten Hinweise auf seine Gedankenwelt. Zwei von ihm verfasste Texte zeigen unmissverständlich, dass Atta ein zutiefst religiöser und religiös gebildeter Mensch war. Bei einem Text handelt es sich um seinen letzten Willen. Er stellt eine Anweisung dar, wie nach seinem Tod mit dem Körper zu verfahren sei.18 Der Text beginnt nach einer kurzen Erklärung mit seinem Glaubensbekenntnis:
Ich glaube, dass Mohammed Gottes Gesandter ist, und habe nicht den geringsten Zweifel, dass die Zeit kommen wird, da Gott alle Menschen aus ihren Gräbern wiederauferstehen lässt. Ich wünsche, dass meine Familie und jeder, der dies hier liest, den allmächtigen Gott fürchtet und sich nicht durch das Leben ablenken lässt; dass sie Gott fürchten und ihm und seinem Propheten nacheifern, wenn sie denn wahre Gläubige sind. Zu meinem Angedenken sollten sie sich verhalten nach dem Vorbild (des Propheten) Abraham, der seinem Sohn auftrug, als guter Muslim zu sterben.
Danach folgen achtzehn Punkte, in denen diejenigen, die mit den islamischen Totenritualen befasst sind, detailliert erfahren, was Atta wünscht und verbietet. Der Text ist in einem autoritären Befehlston gehalten, was zu den Beschreibungen passt, die Personen, die ihn gekannt hatten, bei Interviews angaben. Sein ehemaliger Fluglehrer gab an, er habe sich Anleitungen widersetzt, sich so zu verhalten, als sei er der Fluglehrer, und erst nachgegeben, als sein Rauswurf drohte.19 Einige Passagen des Vermächtnisses betreffen Personen, die sich um seinen Leichnam und um die Beerdigung kümmern sollen. Diejenigen, die den Körper aufbahren, sollen gute Muslime sein, da dies eine Empfehlung seiner eigenen Person bei Gott im Hinblick auf die Vergebung seiner Sünden sei. Sie sollen ihn neu kleiden, ihm die Augen schließen und dafür beten, dass er zum Himmel aufsteige. Allerdings solle niemand, der zu Lebzeiten nicht mit ihm auskam, von ihm Abschied nehmen. Das Gleiche gilt für „unreine Personen“ und schwangere Frauen.
Frauen sind gleich in drei Abschnitten erwähnt, und dabei geht es immer um ihren Ausschluss. Sie sollen nicht für seinen Tod Abbitte leisten und nicht bei der Beerdigung anwesend sein. Nach dem Begräbnis ist es ihnen untersagt, an sein Grab zu gehen. Dies entspricht einer islamischen Tradition. Einer der Gründe ist die Angst, nichtislamischen Praktiken Vorschub zu leisten, wie sie zurzeit Mohammeds üblich waren. So ist es auch zu verstehen, dass auf das Verbot der Abbitte durch Frauen der Satz folgt:
Ich bin nicht verantwortlich für Tieropfer vor meinem aufgebahrten Leichnam – das widerspricht den Lehren des Islam.
Auch eine andere Passage möchte unislamischen Handlungen vorbeugen. So heißt es:
Bei der Beerdigung soll niemand Sprüche auf Papier niederschreiben, die man dann als Talisman in der Tasche herumträgt. Das ist ein Aberglaube. Besser soll die Zeit genutzt werden, um zu Gott zu beten.
Es folgen genaue Anweisungen, wie die Totenwaschung zu vollziehen ist, wie die Totenkleidung beschaffen sein soll, wie der Körper ausgerichtet und gebettet werden soll – Anweisungen, die allesamt dem üblichen islamischen Beerdigungsritus entsprechen. Ähnliches gilt auch für die Gebete für sein Seelenheil, die mehrfach angeordnet werden. Eine Besonderheit, die ihn als strenggläubigen islamischen Fundamentalisten ausweist, ist folgende Aufforderung:
Niemand soll meinetwegen weinen, schreien oder gar seine Kleider zerreißen und sein Gesicht schlagen – das sind törichte Gesten.
Das Trauerverbot resultiert aus der theologischen Annahme, dass das irdische Leben nur eine Prüfung und der Tod das Tor zum wirklichen Leben im Paradies sei. In der kulturellen Realität halten sich die Hinterbliebenen jedoch oft nicht daran.
Den letzten Teil des Testaments nehmen Angaben über die Verteilungsregeln seines Besitzes ein. Den Schluss bildet eine Aufforderung zur Frömmigkeit:
Diejenigen, die ich zurücklasse, sollen gottesfürchtig sein und sich nicht von den Dingen, die das Leben bietet, etwas vorgaukeln lassen – stattdessen sollen sie zu Gott beten und gute Gläubige sein. Wer den Anweisungen des Testaments nicht entspricht oder den Geboten der Religion zuwiderhandelt, wird dafür letztendlich zur Verantwortung gezogen.
Das Testament weist Atta als gottesfürchtigen Asketen aus und keinesfalls als einen Menschen, dem es an Wissen über seine Religion mangelt. Dass er und die anderen Piloten aus seiner Gruppe nach einer geistlichen Anleitung handelten, beweist ein weiteres Dokument, das in der Reisetasche gefunden wurde. Es wird vermutet, dass Atta ebenfalls der Autor war.20 Dieser in arabischer Sprache verfasste Text diente als praktischer und spiritueller Fahrplan für die Attentate. Eine Kopie wurde im Auto von Nawaf al-Hazmi gefunden, der mit vier Kumpanen die American Airlines-Maschine (Flug 77) entführte, die ins Pentagon gelenkt wurde. Eine Übersetzung ins Deutsche wurde von Albrecht Fuess, Moez Khalfaoui und Tilman Seidensticker in einem vom Bremer Religionswissenschaftler Hans G. Kippenberg und dem Jenaer Islamwissenschaftler Tilman Seidensticker herausgegebenen Sammelband publiziert.21